Ian Birchall

 

Arbeiterbewegung und Parteiherrschaft

 

Teil I. (1943-1953)

3. Die „Flitterwochen“ zwischen Ost und West

Etwa achtzehn Monate lang, vom Herbst 1945 bis zum Frühjahr 1947, bestand ein internationales Patt. Für den Augenblick wollte weder die Sowjetunion noch die USA das Arrangement, auf das man sich in Jalta geeinigt hatte, in Frage stellen. Die Sowjetunion begann, sich von ihren schrecklichen Kriegsverlusten zu erholen, während die Vereinigten Staaten langsam ihre ökonomische Expansion nach Europa und anderswohin vorantrieben. Zwischen den kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien hatte eine Periode tastender friedlicher Koexistenz begonnen. Die Sozialdemokraten hielten es für möglich, daß die KPs sich im sozialdemokratischen Sinn gewandelt hatten und wieder in den politischen Hauptstrom eingegliedert werden konnten; die KPs warteten unterdessen ihre Zeit ab.

Wo immer sich die Möglichkeit bot, strebten die KPs die Beteiligung an Koalitionsregierungen an. Unter den Ländern, die Anfang 1947 KP-Minister hatten, waren Österreich, Belgien, Frankreich, Island, Italien, Chile und Finnland. Das Schema – Unterstützung der Produktion und Opposition gegen Streiks – war überall ähnlich; um die Errungenschaften dieser Periode abzuschätzen, genügt es, das Ergebnis der KP-Beteiligung an der Regierung in Frankreich und Italien zu betrachten.

 

 

Frankreich

Regierungsbeteiligung in Friedenszeiten war eine neue Erfahrung für die KP (in der Volksfront von 1936 hatte sie die Regierung unterstützt, war aber nicht in sie eingetreten). Bei den allgemeinen Wahlen vom Oktober 1945 gab es nur drei Parteien, die zählten – Kommunisten, Sozialdemokraten und Christdemokraten –, da sich sowohl die traditionelle Rechte wie die Radikalen während der Okkupation diskreditiert hatten. Das neue Wahlrecht, das auf einem komplexen System proportionaler Repräsentation beruhte und nur von einem Mathematiker voll zu verstehen war, zielte sorgfältig darauf ab, die Chancen der KP zu mindern. Dennoch war sie mit mehr als fünf Millionen Stimmen und 161 Abgeordneten die erfolgreichste Partei.

Die KP und die Sozialisten hatten zusammen die absolute Mehrheit und hätten alleine regieren können. Obwohl die KP dies ursprünglich forderte, gab sie nach, als die Sozialisten auf der Beteiligung der Christdemokraten beharrten.

Im November wurde de Gaulle einstimmig zum Präsidenten gewählt. De Gaulle ging es darum, die KP zu manipulieren, um die Arbeiterklasse unter Kontrolle zu halten. Er sagte ihr unverblümt, daß er zwar bereit sei, ihr Ministerien des wirtschaftlichen Bereichs zuzugestehen, aber keinerlei Ministerien von Bedeutung für die Außenpolitik, einschließlich Polizei und Armee.

Nach einem symbolischen Kompromiß, in dem das Verteidigungsministerium in drei Teile zerlegt und neben rechten Verteidigungs- und Armeeministerien ein kommunistisches Rüstungsministerium geschaffen wurde, trat die KP in die Regierung ein. Thorez wurde einer der vier Vize-Premiers, und die KP erhielt das Wirtschafts-, Industrie- und Arbeitsministerium.

Die Haltung der Partei zu de Gaulle war immer noch zwiespältig; als er im Januar 1946 zurücktrat, brachte L’Humanité einen sarkastischen Kommentar – und wurde dafür vom Parteisekretariat diszipliniert.

Die KP konnte Zugeständnisse in prinzipiellen und politischen Fragen machen, weil ihr Hauptziel der Aufbau einer eigenen Machtbasis war. Dazu mußte sie sich der Unterstützung versichern, die früher der Sozialistischen Partei zugute gekommen war, die aber die Sozialisten selbst, aufgrund der bürokratisch-kopflastigen Natur ihrer Organisation, nicht länger gewinnen konnten. Gleichzeitig mußte die KP verhindern, daß die Sozialisten ein zu enges Bündnis mit den Christdemokraten eingingen und dadurch die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit der KP verminderten, die im Augenblick noch für sie bestand. Zu diesem Zweck wurde die alte Streitfrage der öffentlichen Zuschüsse für katholische Schulen wieder aufgeworfen, um einen Keil zwischen die traditionell antiklerikalen Sozialisten und die Christdemokraten zu treiben.

Gleichzeitig brachte die KP ihre eigenen Anhänger in Machtpositionen, die ihren Ministerien unterstanden, z.B. Gewerkschaftsvertreter in Verwaltungsräte der verstaatlichten Industrien oder Posten in der Geschäftsleitung bestimmter Industrien (während Tillon Rüstungsminister war, wurden Managerposten in der Luftfahrtindustrie nur in prokommunistischen Zeitungen annonciert) usw. Die Ressorts der Regierung wurden stark erweitert.

Genau wie die Labour-Regierung in England zur selben Zeit, führte die Nachkriegskoalition einige wohlfahrtsstaatliche Reformen ein – höhere Altersrenten, Entschädigungen für Kriegsverletzungen, usw. Die gesetzlich eingerichteten Fabrik-Komitees garantierten wenigstens einige minimale Gewerkschaftsrechte in den Fabriken, aber in den zentralen Fragen des kolonialen Kampfes und der industriellen Produktion verfolgte die KP weiterhin die Politik eines skandalösen Opportunismus.

In dieser unmittelbaren Nachkriegsperiode wurde auch die Saat zweier großer Kriege gegen den französischen Imperialismus gelegt, in Algerien und in Indochina. Im Mai 1945 führte eine nationalistische Demonstration in Algerien zu Unruhen, die die Machthaber mit heftiger Unterdrückung beantworteten. Der Kommentar von L’Humanité am 19. Mai lautete: „Es ist notwendig, die hitleristischen Mörder, die an den Ereignissen des 8. Mai beteiligt waren, und die pseudonationalistischen Führer der Strafe zuzuführen, die sie verdient haben.“

In Vietnam hatte die dortige KP im März 1946 Vorschläge unterstützt, die die Rückkehr der französischen Truppen nach Tonkin vorsahen und eine eventuelle Unabhängigkeit in Aussicht stellten.

Aber die Konflikte dauerten an, obwohl der Vietminh, unter dem Einfluß der KP, auf brüderliche Zusammenarbeit mit den französischen Streitkräften drang. Die Franzosen nahmen dies zum Vorwand und bombardierten Haiphong, was 6.000 Menschen das Leben kostete. Noch nachdem dies geschehen war, stimmten die KP-Abgeordneten in der französischen Nationalversammlung für eine Resolution, die die Anstrengungen der französischen Streitkräfte begrüßte, „Im Fernen Osten die zivilisierende und friedliche Anwesenheit Frankreichs aufrecht zu erhalten.“ Im März 1947 debattierte die Nationalversammlung über Kriegskredite für Indochina. Während der Debatte erging sich die KP in einer Reihe von dramatischen Gesten; Maurice Thorez saß auf den Hinterbänken statt auf seinem Ministersessel und blieb später sitzen, als sich die Versammlung erhob, um den französischen Truppen die Ehre zu erweisen. Aber während derselben Debatte kommentierte der Premierminister Ramadier: „In der Indochina-Frage haben wir bis zum heutigen Tag die korrekte Haltung der sowjetischen Regierung registriert“. Als es zur Abstimmung kam, gaben sich die KP-Abgeordneten mit Enthaltungen zufrieden – mit Ausnahme der KP-Minister, die für die Kriegskredite stimmten, um die Kabinettseinheit zu wahren. Man wollte um jeden Preis in der Regierung bleiben – ob damit irgendetwas erreicht wurde, interessierte weniger.

In der einheimischen Wirtschaftspolitik hatte sich die KP vollkommen der Unterstützung der Regierungspolitik, d.h. dem Wiederaufbau und der Ankurbelung der Produktion verschrieben. Der amerikanische Journalist Joseph Alsop zollte dem Beitrag der KP bei der Durchführung des Monnet-Plans Beifall:

Der Schlüssel zum beträchtlichen Erfolg dieses Plans ist die enthusiastische Mitarbeit der französischen Kommunistischen Partei. Die Kommunisten kontrollieren die wichtigsten Gewerkschaften der CGT, des großen französischen Gewerkschaftsbundes. Die kommunistische Führung ist verantwortlich gewesen für so überraschende Schritte wie die Akzeptierung einer Art von modifiziertem Akkordarbeitsystem durch die französischen Schlüsselgewerkschaften, durch das eine hohe Arbeitsleistung gebührend belohnt wird. [1]

Was bedeutete das für die französische Arbeiterklasse? Im wesentlichen eine Politik der Lohneinschränkungen in einer Zeit chronischer Inflation – kurz gesagt, massive Einbrüche in ihren ohnehin schon mageren Lebensstandard. Obwohl die KP-Führer von Zeit zu Zeit demagogisch Kritik am Lohnstopp übten, machten sie nie von ihrer Stärke Gebrauch, um ihn infrage zu stellen. Die KP verfügte über beherrschenden Einfluß in den meisten Sektoren des wichtigsten Gewerkschaftsbundes, der CGT, und sie verfolgte eine harte Anti-Streik-Politik. In den Fabriken unterstützten vor allem KP-Mitglieder eine stachanowistische Einstellung zur Produktion; bei Renault denunzierten sie Arbeiter wegen Verschwendung von elektrischem Licht und sorgten dafür, daß Arbeitern gekündigt wurde, die unerlaubterweise zwei Mahlzeiten in der vom Fabrikkomitee kontrollierten Kantine einnahmen.

Aber selbst die KP konnte die Arbeiter nicht völlig vom Kampf um ihre Rechte abbringen. Im Januar 1946 breitete sich der Ruf nach einem Streik für höhere Löhne unter den Druckern aus. In dieser Branche hatte der Anarchosyndikalismus eine lange Tradition, und es waren militante Anarchosyndikalisten, die jetzt die Führung übernahmen.

Obwohl die Vertrauensleute für Schlichtung stimmten, wurde ihnen auf Massenversammlungen eine Abfuhr erteilt, und der Streik begann. Die Arbeiter erreichten schließlich zwar keine Lohnerhöhung, aber wenigstens rückwirkend einen Leistungszuschlag. Als L’Humanité nach dem Abschluß einen scharfen Angriff auf die Drucker veröffentlichen wollte, verweigerten diese den Druck, und die Tageszeitung der KP erschien mit einer leeren Stelle.

Im Juli desselben Jahres rief die CGT angesichts wachsender Unzufriedenheit unter den Postarbeitern einen Streik aus, beschränkte ihn aber auf eine halbtägige Protest-Arbeitsniederlegung. Viele Militante waren damit nicht zufrieden, und ein allgemeiner Streik brach aus. Auf Initiative eines sozialistischen Abgeordneten stimmte die Nationalversammlung für die Annahme der Forderungen der Postarbeiter. Noch hatte die KP die Arbeiterbewegung unter Kontrolle, aber die Gefahr, von links überholt zu werden, konnte nicht länger ausgeschlossen werden.

 

 

Italien

In Italien sah sich die Koalitionsregierung, an der die KP beteiligt war, noch schwereren ökonomischen Problemen gegenüber. Im Juni 1946 war die Zahl der Arbeitslosen auf zweieinhalb Millionen angestiegen, und es herrschte eine massive Inflation. Aber obwohl KP-Militante die örtliche Agitation anführten, blieb die Partei als Ganze strikt im Rahmen der Legalität. Die KP agitierte zwar für bestimmte Minimalmaßnahmen zur Verteidigung des Lebensstandards der Arbeiter wie gestaffelte Brotrationierung, Steuerreform usw., stellte aber die Grundstrategie des kapitalistischen Wiederaufbaus nicht in Frage. Die Koalitionsregierung übernahm und entwickelte das IRI (Industrielles Rekonstruktions-Institut), das eine von Mussolinis Hauptwaffen zur Sicherung der Staatsbeteiligung an der Industrie gewesen war.

In einem Punkt war die italienische KP erfolgreicher als die französische – sie sicherte sich die Zusammenarbeit mit der Sozialistischen Partei. Im Juli 1945 stimmte der Nationalrat der SP mit einer Mehrheit von 76 Prozent den Empfehlungen Nennis für ein Einheitsprogramm mit der KP zu. Die Hauptgegner waren der Ex-Kommunist Silone und Saragat, der später der Führer der antikommunistischen Abspaltung von der SP werden sollte. Im April wurde das Abkommen über eine gemeinsame Aktion erneuert, und diesmal unterstützte Saragat es enthusiastisch. Obwohl 1946 kein nationales Wahlbündnis existierte, gab es eine Zusammenarbeit zwischen KP und SP auf lokaler Ebene. Als Resultat konnte die KP ihren Einfluß in der Arbeiterbewegung erweitern.

 

 

Großbritannien

Die britische KP war nicht so eng an die Unterstützung der Regierung gebunden, da sie keine Regierungsverantwortung trug. In der Periode zwischen dem Labour-Wahlsieg von 1945 und dem Beginn des Kalten Krieges übernahmen KP-Militante eine führende Rolle in Streiks und im Wohnungskampf; die Partei wirkte aktiv mit bei der Bildung von Komitees für die Beschlagnnahmung leerstehender Häuser und bei der Verteidigung von Soldaten, die wegen Meuterei angeklagt waren.

Aber ihre Gesamtstrategie war immer noch die der Zusammenarbeit mit der Labour-Regierung. Eine Broschüre mit dem Titel Ein Lohn, der sich auf menschliche Bedürfnisse gründet von Reg Birch ist bezeichnend dafür: „Lange, lange Jahre notwendiger Arbeit starren uns entgegen. Die Metallarbeiter sind zur Kooperation bereit. Nichts darf uns im Weg stehen.“ [2]

Und einem führenden KP-Mitglied in der nationalen Bergarbeitergewerkschaft, Arthur Hörner, wurde in der halboffiziellen Parteizeitschrift Labour Monthly noch im Januar 1947 Platz eingeräumt, um mit den Anstrengungen der Gewerkschaft zur Steigerung der Produktivität zu prahlen:

Zum ersten Mal in der Geschichte der Gewerkschaftsbewegung in diesem Land hat die Bergarbeitergewerkschaft die Verantwortung auf sich genommen, aktiv bei den Anstrengungen mitzuhelfen, die Kohleproduktion zu erhöhen... Im letzten Winter ernannte die Gewerkschaft einen nationalen Produktionsoffizier und in den Distrikten acht Produktionsoffiziere, deren Gehälter aus dem Topf der nationalen Gewerkschaft bezahlt wurden.

Auch die Verstaatlichungen, die die Labour-Regierung durchführte, wurden von der KP in einer recht unkritischen Weise aufgenommen. Will Paynter, ehemals ein führender kommunistischer Gewerkschafter, berichtet:

Ich erinnere mich, wie ich am Morgen des 1. Januar 1947 – dem ersten Arbeitstag in den verstaatlichten Minen – eine begeisterte Rede hielt über die „Morgenröte eines neuen Zeitalters“ und über die Bedeutung dieses Tages, von dem an die Arbeiter sich auf die Bestimmung ihres eigenen Schicksals zubewegten, und daß wir am Anfang eines Prozesses stünden, in dem der Kapitalismus durch den Sozialismus ersetzt würde. [3]

Bei der Einschätzung der Politik der Nachkriegs-„Flitterwochen“ ist es wichtig zu betonen, daß die Politik der KPs selbst an ihrem eigenen Maßstab gemessen nicht erfolgreich war. Auch wenn man akzeptiert, daß während dieser Periode aufgrund des Gleichgewichts der Kräfte im Weltmaßstab keine wirklichen Gewinne erzielt werden konnten, und daß es notwendig war, Machtpositionen aufzubauen, ist es schwer einzusehen, wie die Politik der KPs diesem Ziel gedient haben soll. Indem sie die Arbeiter aufforderten, ihre einzige Waffe, ihre organisierte Macht in den Produktionsstätten, nicht zu benutzen, indem sie, sogar auf propagandistischer Ebene, versäumten, die Forderungen nach Unterstützung der nationalen Selbstbestimmung zu erheben, opferten die kommunistischen Parteien nicht nur kurzfristige Interessen. Sie entwaffneten die Arbeiter politisch für die heftigen Kämpfe, die in den nächsten Jahren kommen sollten.

 

Anmerkungen

1. New York Herald Tribune vom 12. Juli 1946

2. London 1946, S.16

3. W. Paynter: British Trade Unions and the Problem of Change, London 1970, S.30

 


Zuletzt aktualisiert am 3.8.2001