Ian Birchall

 

Arbeiterbewegung und Parteiherrschaft

 

Teil II. (1953-1963)

8. Imperialismus und Nationalismus

In den frühen fünfziger Jahren fanden wichtige Entwicklungen in den unterentwickelten Ländern statt. Die Handelsverhältnisse veränderten sich, was bedeutete, daß die fortgeschrittenen Länder immer weniger von Rohstoffen abhängig waren, die sie aus rückständigen Ländern importierten, deren Wirtschaften durch jahrzehntelange Einwirkung des Imperialismus deformiert waren und rückständig gehalten wurden; die formale Unabhängigkeit vom Kolonialismus war ein schlechter Trost dafür, daß sie sich weiter in wirtschaftlicher Abhängigkeit befanden. Währenddessen erweiterten die USA ihre ökonomische und militärische Herrschaft über die unterentwickelte Welt; ihre Methoden reichten von Napalm bis zur Unterstützung liberaler Politiker, aber das Ziel der Ausbeutung oder Herrschaft blieb immer dasselbe.

Bei der Ausarbeitung seiner Theorie der „permanenten Revolution“ hatte Trotzki argumentiert, daß die Bourgeoisie in Ländern, wo sie erst spät die geschichtliche Bühne betritt, sogar zur Durchführung der bürgerlichen Revolution unfähig ist; die entscheidende Rolle fällt dem Proletariat zu, während die Bauernschaft, unfähig zum selbständigen Handeln, der Führung der Arbeiter folgt. In einem solchen Prozeß wächst die demokratische Revolution hinüber in die sozialistische, obwohl dieser Prozeß nicht im nationalen Maßstab vollendet werden kann. Man muß sich daran erinnern, daß, wie Trotzki sagt, die Arbeiterklasse Führung übernehmen kann, nicht daß sie sie in jedem Fall übernehmen wird. Die Erfahrung in der Periode nach dem Zweiten Weltkrieg war die, daß aus verschiedenen Gründen, sowohl wegen der objektiven Bedingungen wie wegen des Fehlens einer politischen Führung, die Arbeiterklasse sich nicht an die Spitze setzte. Ihren Platz nahm die städtische Kleinbourgeoisie ein, die mangels einer Alternative die dynamische Hauptkraft in den nationalistischen Bewegungen war. Solche Bewegungen spülten Führer wie Nehru in Indien, Sukarno in Indonesien, Nasser in Ägypten, Ben Bella in Algerien und Nkrumah in Ghana hoch: die alle ihre nationalen Besonderheiten hatten, aber letzten Endes Produkte derselben Art von Bewegung waren. [1]

Die Lage wurde durch das massive ökonomische Eindringen der Sowjetunion in die unterentwickelte Welt seit den fünfziger Jahren noch weiter kompliziert. 1953 hatte sie erst Handelsabkommen mit drei der gerade unabhängig gewordenen ehemaligen Kolonialländer; 1964 war die Zahl auf fünfunddreißig gewachsen. 1963 belief sich der Handelsumsatz zwischen der Sowjetunion und den unterentwickelten Ländern auf ungefähr 650 Millionen Pfund oder etwa 11% des gesamten sowjetischen Außenhandels. Zwischen 1957 und 1969 gewährte die Sowjetunion Ägypten Anleihen und Kredite im Wert von 332 Millionen Pfund, eine Summe, die nur von den 535 Millionen Pfund der USA übertroffen wurde.

Diese Entwicklung war von einer jähen Veränderung der sowjetischen politischen Perspektive gegenüber der unterentwickelten Welt begleitet. Bis in die frühen fünfziger Jahre galt die „Zwei Lager-Theorie“, alle nichtkommunistischen Staaten betrachtete man als bloße Marionetten des westlichen Imperialismus. Ursprünglich wurden Figuren wie Nasser und Nkrumah öffentlich gebrandmarkt; sowjetische Quellen behaupteten Anfang der fünfziger Jahre, die Militärrevolte von 1952 in Ägypten sei von einer „reaktionären Gruppe von Offizieren im Bündnis mit den Vereinigten Staaten“ angeführt worden, während Nkrumahs Regierung und Partei als „Schilde, hinter denen die Realität der britischen imperialistischen Herrschaft sich verbirgt“ [2] klassifiziert wurden.

Der Umschwung in der sowjetischen Außenpolitik von 1953 bis 1956 bedeutete eine fundamentale Neuorientierung gegenüber der unterentwickelten Welt. Das war einer der Faktoren, die der Versöhnung mit Tito zugrunde lagen, der als „neutraler“ Führer in Afrika und Asien beträchtliches Ansehen genoß. Schepilows Rede auf dem zwanzigsten Parteitag schlug einen neuen und versöhnlicheren Ton an:

Kommunisten sind aus Prinzip Gegner sektiererischer Engstirnigkeit. Sie treten dafür ein, daß sich die Anstrengungen aller Arten von Massenbewegungen, die es heute gibt, zu einem antiimperialistischen Strom vereinigen. Die großen Bestrebungen aller niedergetretenen Völker der arabischen, asiatischen und lateinamerikanischen Länder, aller arbeitenden Menschen, ob Katholiken, Protestanten, Anhänger des Buddhismus oder des Islam, werden ihre Verwirklichung im Kampf gegen die soziale Unterdrückung, im Kampf für Frieden und Demokratie finden. Nie zuvor hat die große Parole der Einheit eine so aktive und umfassende Bedeutung gehabt.

So weit damit gemeint ist, daß soziale Kräfte und sogar Regierungen nicht nach ihrem Klasseninhalt zu beurteilen sind, sondern nach ihren „antiimperialistischen“ Positionen (das heißt nach ihrer potentiell sowjetfreundlichen Politik), stellt dies eine Fortsetzung der Volksfrontlinie der dreißiger Jahre dar.

Schon im Dezember 1955 waren Chruschtschow und Bulganin bei einer Rundreise durch Indien, Burma und Afghanistan überall begeistert empfangen worden und hatten viele schöne Reden über Frieden und Freundschaft gehalten. Die neue Politik gegenüber Indien half jedoch der indischen KP nicht viel. Am 26. Januar 1955 veröffentlichte die Prawda zum Beispiel einen Leitartikel, der die Nehru-Regierung wegen ihrer Innen- wie Außenpolitik lobte. Er erschien unmittelbar vor den Wahlen im Bundesstaat Andhra – einem Schlüsselgebiet für die KP – und die Kongreßpartei druckte Flugblätter mit dem Leitartikel und verteilte Tausende unter den Wählern, womit sie beträchtliche Verwirrung stiftete.

Im allgemeinen steigerte die sowjetische Politik jedoch die Sympathie für den Kommunismus in der unterentwickelten Welt. Für die Völker dieser Länder, besonders für das nationalistische Kleinbürgertum, war die sowjetische Erfahrung von enormer Bedeutung als Modell der Industrialisierung und wirtschaftlichen Entwicklung in einem rückständigen Land. In der unterentwickelten Welt ist ein durch Staatseingriffe in die Wirtschaft und öffentliche Wohlfahrt definierter „Sozialismus“ etwas, was fast jeder Politiker sich zu eigen macht.

Obwohl die KPs in der unterentwickelten Welt in den fünfziger Jahren einige Fortschritte machten, blieben sie in den meisten Fällen recht klein. Besonders in Afrika waren sie sehr schwach, und in vielen afrikanischen Ländern wurde gar keine Partei gegründet. Der Hauptgrund war der, daß die sowjetischen Politiker es vorzogen, mit den afrikanischen nationalistischen Führern in den neuerdings unabhängigen Ländern direkt zu verhandeln; die Existenz einer kommunistischen Partei wäre nur eine zusätzliche Komplikation gewesen. Darüber hinaus sind diese KPs in keiner Weise proletarische Parteien; ihre wirkliche Klassenbasis ist das städtische Kleinbürgertum und ihre Politik (Ausdehnung der Staatsmacht und der Beschäftigung im öffentlichen Sektor) spiegelt die Interessen dieser Klasse wider. So hatten zum Beispiel auf dem Parteitag der indischen KP von 1958 72% der Delegierten eine Hochschulbildung.

Die politische Linie der kommunistischen Parteien in der unterentwickelten Welt setzte im wesentlichen die Volksfrontkonzeption fort. Die allgemeine Leitlinie wurde von Moskau ausgegeben, in Artikeln wie dem von E. Schukow in der Prawda vom 26. August 1960:

Es ist bekannt, daß an der Spitze der meisten neuen Nationalstaaten Asiens und Afrikas bürgerliche politische Führer stehen, die gewöhnlich eine nationalistische Politik betreiben. Dies kann jedoch die fortschrittliche historische Bedeutung des Durchbruchs nicht mindern, der an der imperialistischen Front stattgefunden hat... Für viele der Länder Asiens und besonders Afrikas, die sich langsam vorwärts bewegen... besteht die zentrale Aufgabe... für eine vergleichsweise lange Periode nicht im Kampf gegen das Kapital, sondern gegen die Überbleibsel des Mittelalters. Daraus ergibt sich die Möglichkeit einer langfristigen Zusammenarbeit von Arbeitern, Bauern und der Intelligenz mit jenem Teil der nationalen Bourgeoisie, der an der eigenständigen politischen und ökonomischen Entwicklung seines Landes interessiert und bereit ist, seine Unabhängigkeit gegen jegliche Übergriffe durch die imperialistischen Mächte zu verteidigen.

Welchen Bruch mit den Traditionen der kommunistischen Internationale in ihren frühen Jahren das bedeutet, zeigt ein Vergleich mit Lenins Erklärung an den zweiten Weltkongreß 1920:

Die Kommunistische Internationale muß in den kolonialen und rückständigen Ländern ein zeitweiliges Bündnis mit der bürgerlichen Demokratie eingehen, aber sie darf nicht mit ihr verschmelzen und muß unter allen Umständen die Unabhängigkeit der proletarischen Bewegung erhalten, und sei es in ihrer elementarsten Form.

Die Strategie der kommunistischen Bewegung gegenüber den „antiimperialistischen! Staaten der „Dritten Welt“ brachte ein eigenes Vokabular hervor, das die Klasseninteressen, die auf dem Spiel standen, wirkungsvoll verschleierte. So sprach die Erklärung der 81 KPs 1960 von „nationaldemokratischen“ Staaten, in denen zwar die Bourgeoisie herrsche, die aber eine antiimperialistische Linie verfolgten. In anderen Analysen war von einer „nichtkapitalistischen“ Entwicklung die Rede. Was zählte, war die politische – d.h. internationale – Ausrichtung, nicht die soziale und ökonomische Analyse.

Die Ereignisse in Ägypten, dem Irak und Guatemala zeigen in typischer, aber dramatischer Form die Situation der KPs in der unterentwickelten Weit im Jahrzehnt nach Stalins Tod.

 

 

Ägypten

Aus geographischen und strategischen Gründen war der Mittlere Osten ein Schlüsselgebiet für die Sowjetunion; aus politischen Gründen waren die entscheidenden Länder Ägypten und der Irak. In Ägypten existierte seit 1922 eine kommunistische Partei, die indes immer schwach gewesen war und sich oft gespalten hatte.

Als Nasser nach dem Staatsstreich von 1952 an die Macht kam, war die Haltung der internationalen Bewegung ihm gegenüber zunächst sehr feindselig. Noch im August 1954 wurde berichtet, Nasser plane eine „Beratende Versammlung faschistischen Typs“. [3] Und Nassers Register von Streikzerschlagungen und Einkerkerungen von Kommunisten und anderen Kritikern seines Regimes lieferte den Linksradikalen viel Munition für ihre Kritik.

Aber 1955 änderte Nasser seine internationale Ausrichtung, obwohl die Schritte, die er unternahm, eher pragmatisch als ideologisch begründet waren. Er erkannte China an und begann, Waffen von der Tschechoslowakei zu kaufen; von da an war er viel freundlicher gegenüber der Sowjetunion. Er spielte auch eine führende Rolle auf der Bandung-Konferenz afrikanischer und asiatischer Staaten im Jahre 1955. Dem folgte 1956 die Nationalisierung des Suezkanals und die erfolglose englisch-französische Invasion, während der die Sowjetunion von den Aktionen gegen die ungarischen Arbeiter abließ, um Nasser starke verbale Unterstützung zu geben. 1956 wurden die ägyptischen Kommunisten in der „Vereinigten Ägyptischen Kommunistischen Partei“ wiedervereinigt. Diese gab am 1. Juli 1957 eine Erklärung heraus, die mit der Parole endete: „Lang lebe unsere nationale Regierung unter der Führung Gamal Abdel Nassers.“ In der Erklärung hieß es:

Wir unterstützen die allgemeine Orientierung seiner (Nassers) Politik, weil sie einer nationalen Regierung entspringt, weiche eine Politik der Unabhängigkeit verfolgt, die im Interesse unseres Volkes und unseres Parteiprogramms liegt. Wir stimmen jedoch nicht mit ihm überein in bezug auf seine Haltung gegenüber politischen Parteien und einer legalen kommunistischen Partei in unserem Land – eine Haltung, die die Demokratie schwächt und die Entwicklung unserer nationalen Front hemmt. [4]

Doch Nasser zeigte sich undankbar und erwiderte das Kompliment nicht. Am 1. Januar 1959 wurde eine große Zahl von KP-Führern verhaftet, und am 11. März 1959 nannte Nasser in einer Rede in Damaskus die Kommunisten „Agenten, die nicht an die Freiheit ihres Landes oder ihrer Nation glauben, sondern nur den Geboten von Außenstehenden hörig sind.“

Da die Russen die Einkerkerung von ägyptischen Kommunisten nicht für einen hinreichenden Grund hielten, die militärischen und ökonomischen Verbindungen mit Nasser abzubrechen, sahen sich die ägyptischen Kommunisten in der schwierigen Lage, einen Führer, der sie verfolgte, weiter unterstützen zu müssen.

Als Chruschtschow im Frühjahr 1964 Ägypten besuchte, wurden als Geste des guten Willens sechshundert Kommunisten freigelassen. Dann kündigte die KP im April 1965 ihre Selbstauflösung an – zumindest offiziell – und drängte ihre Mitglieder, sich der „Arabischen Sozialistischen Union“ (Nassers Partei) anzuschließen, um sie von ihnen zu beeinflussen. In der Folgezeit wurde die „Arabische Sozialistische Union“ eingeladen, brüderliche Delegierte zu den Parteitagen der französischen und sowjetischen KP zu schicken.

 

 

Irak

Im Irak war die Geschichte ähnlich, die Resultate aber sollten tragischer sein. Die irakische KP war viel stärker als die ägyptische, sie hatte traditionell eine linke Orientierung und eine recht starke Unterstützung durch die städtische Arbeiterklasse.

Im Juli 1958 stürzte eine Volksrevolution in Bagdad die Monarchie und brachte einen nationalistischen Führer, General Kassem, an die Macht. Die KP gewann in dieser Zeit an Stärke – sie eroberte die Führung in der Gewerkschaftsbewegung, kontrollierte die Studentenorganisationen und faßte in den Streitkräften Fuß. Während des nächsten Jahres – bis zum Sommer 1959 – verstärkte die KP den Druck auf das Regime und schien in einer Position zu sein, in der sie nach der Macht greifen konnte. Dann, im Sommer 1959, vollzog sie eine scharfe Rechtswendung und blies alle Angriffe auf Kassem ab. Es ist nicht zu beweisen, daß der Kurswechsel, wie einige Kommentatoren vermuten, direkt aus Moskau angeordnet worden war. Sicher ist, daß er wunderbar zu Chruschtschows Friedensgesten im Sommer 1959 paßte. Gerade zu dieser Zeit jubelten die italienischen Kommunisten in den Straßen Roms Eisenhower zu, und eine Konfrontation in Nahost war das letzte, was Chruschtschow wollte.

So schaltete die KP um auf einen Kurs der Unterstützung für Kassem, der der Haltung der ägyptischen KP gegenüber Nasser sehr ähnelte:

Wie bisher ruft die Kommunistische Partei zu einer breiten nationalen Front aller antiimperialistischen und antifeudalen Kräfte auf, einschließlich der nationalen Bourgeoisie. Sie unterstützt alle progressiven Maßnahmen der Regierungspolitik, verteidigt die Lebensinteressen des Volkes und führt den Kampf für Demokratie, wirtschaftliche Unabhängigkeit, Agrarreform, engere Beziehungen zwischen dem Irak und den sozialistischen Ländern und für die Verwirklichung der Ziele der Julirevolution. [5]

Man kannte jedoch nicht erwarten, daß Kassem, der besorgt um die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts der sozialen Kräfte in seinem Land war, eine allzu freundliche Haltung gegenüber der KP einnehmen würde. Er hielt sie aus seiner Regierung fern, gewährte ihr nicht einmal einen legalen Status – eine rechte Abspaltung der Partei unter Daud Sayegh wurde als „offizielle“ kommunistische Partei anerkannt. 1961 wurde die Unterdrückung gegen linke oder KP-beeinflußte Gewerkschaftler, Veröffentlichungen und Friedensorganisationen verschärft. Die KP protestierte gegen diese Maßnahmen, machte aber keinen Versuch, ihre Mitglieder gegen das Regime zu mobilisieren.

Diese Situation konnte nicht von Dauer sein. Im Februar 1963 wurde Kassem durch einen, wahrscheinlich vom CIA angestifteten, Staatsstreich gestürzt. Mindestens fünftausend Kommunisten wurden ermordet; Tausende wurden von ihrer Arbeitsstelle weg zusammengetrieben und auf Lastwagen ins Gefängnis verfrachtet. Die westlichen Ölinteressen waren erst einmal wieder sicher, und eine der stärksten Arbeiterbewegungen im Nahen Osten erlitt eine Niederlage, die zu überwinden Jahre erforderte.

 

 

Guatemala

Der sowjetische Einfluß in Lateinamerika war in den fünfziger Jahren noch gering; in einigen Ländern spielte die KP jedoch eine wichtige Rolle. 1951 wurde Jacobo Arbenz zum Präsidenten von Guatemala gewählt. Der wichtigste Programmpunkt seiner Regierung war eine vergleichsweise maßvolle Landreform, die 1952 in Angriff genommen wurde. Sie sah die Enteignung und Umverteilung unbebauten oder brachliegenden Landes oberhalb einer bestimmten Grenze vor. Intensiv bebaute Ländereien waren ausgenommen, Entschädigung wurde angeboten. Der provokativste Aspekt war die Enteignung von 400.000 Morgen unbebauten Landes der United Fruit Company, die in US-Besitz war.

Die guatemaltekische KP war nicht stark; nach einem Weißbuch des US-Außenministeriums hatte sie 1954 ungefähr 3-4 Tausend Mitglieder bei einer Gesamtbevölkerung von drei Millionen. Sie hatte vier von 56 Sitzen im Parlament, gab erst seit 1953 eine Tageszeitung heraus und hatte keine Mitglieder in der Regierung. (Um die Rechte nicht zu provozieren, behielt Arbenz einige extreme Antikommunisten in seiner Regierung.)

Die KP machte keinen Versuch, die Regierung herauszufordern; stattdessen versuchten Arbenz und die KP, einander gegenseitig zu benutzen. Die KP versorgte Arbenz mit vielen nützlichen Kadern für die Durchführung der Landreform; und von Arbenz wird berichtet, er habe (indem er Peron zitierte) gesagt:

Der Kommunismus ist wie Strychnin, bekömmlich in kleinen Dosen, aber höchst gefährlich in großen. [6]

Für Washington roch all dies nach Kommunismus. Oder vielmehr, es roch nach einer Bedrohung der United Fruit Company. John Foster Dulles, der US-Außenminister, war der gesetzmäßige Vertreter der UFC; sein Bruder, Allen Dulles, Chef der CIA, war ehemaliger Präsident der UFC; und Henry Cabot Lodge, der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, saß im UFC-Vorstand.

Man beschloß, Arbenz zu stürzen. Nach einer Reihe von Drohungen fiel am 18. Juni 1954 Oberst Castillo Armas von Honduras aus in Guatemala ein. Diese Rebellion war mit den Manövern des US-Botschafters John Peurifoy koordiniert (er war kurz zuvor aus Griechenland zurückgekehrt, wo er einer rechtsradikalen Regierung in den Sattel geholfen hatte, und sollte später auf mysteriöse Weise in Südostasien ums Leben kommen) der, häufig direkt erpresserisch, mit verschiedenen politischen Repräsentanten verhandelte.

Arbenz war unfähig, das Volk zu mobilisieren. Am 17. Juni berief die „Demokratische Front“ der Universität eine Massenversammlung auf der Plaza Barrios in Guatemala-Stadt ein, um zur Verteidigung gegen die angedrohte Aggression zu rüsten; auf Anordnung von Arbenz durfte die Versammlung nicht stattfinden.

Arbenz, von seinen eigenen militärischen Kommandeuren verraten, erklärte in einer kurzen Rundfunkansprache seinen Rücktritt. Die einzige Alternative wäre gewesen, die Arbeiter und Bauern zu bewaffnen und das Volk von Guatemala aufzurufen, für seine Unabhängigkeit zu kämpfen. Aber es gab nichts in der Vergangenheit von Arbenz, was ihm ermöglicht hätte, einen solchen Kurs einzuschlagen. Es hätte bedeutet, Volkskräfte zu entfesseln, die ihn weit Über den politischen Rahmen, in dem er operierte, hinausgetrieben hätten. Und die KP konnte, trotz ihrer privilegierten Verbindung zu Arbenz, in dieser Situation keine Führung anbieten, auch sie hatte eine Politik des Manövrierens, nicht des Mobilisierens betrieben. Da niemand da war, der die Führung übernehmen konnte, gab es keine Möglichkeit zum Widerstand.

Arbenz floh in die Schweiz; aber die Arbeiter und Bauern, die ihn unterstützt hatten, konnten nicht fliehen. Es folgte eine massive Unterdrückungsaktion; die Gewerkschaften wurden völlig reorganisiert und die Landreform rückgängig gemacht; Hunderte von Arbeitern und Bauern wurden in einer Rachewelle von denen getötet, die sich unter Arbenz unterdrückt gefühlt hatten. Wie im Irak war die KP unfähig gewesen, nach der Macht zu greifen, aber stark genug, um einen massiven Rückschlag hervorzurufen.

 

 

Anmerkungen

1. Vgl. Tony Cliff: Permanent Revolution, in: International Socialism 12, 1963 (Auf Deutsch: Umgelenkte permanente Revolution, in China, Revolution und die Dritte Welt, Ffm. 1973.)

2. Zit. bei F. Schatten: Communism in Africa, London 1966, S.73

3. World News am 7. August 1954

4. World News am 23. November 1957

5. World Marxist Review, Juni 1961

6. Zit. bei D. Horowitz: Kalter Krieg. Hintergründe der US-Außenpolitik von Jalta bis Vietnam, Berlin 1969 (Wagenbach), Bd.1, S.153

 


Zuletzt aktualisiert am 3.8.2001