Ian Birchall

 

Arbeiterbewegung und Parteiherrschaft

 

Teil IV. (Schlußfolgerungen)

15. Die revolutionäre Alternative

Der Stalinismus war das Produkt einer Niederlage. Seine Einheitlichkeit wurde durch den Sieg von Massenbewegungen in Jugoslawien und China und durch die Arbeiterkämpfe in Ungarn, Frankreich und Italien erschüttert. Aber er wird die Arbeiterbewegung solange beherrschen, bis eine revolutionäre Alternative aufgebaut ist.

Die einzige politische Strömung, die kontinuierlich dafür gekämpft hat, ist der Trotzkismus. Seit Hitlers Aufstieg zur Macht waren Trotzki und die kleine Gruppe seiner Anhänger von der Notwendigkeit des Aufbaus einer neuen Internationale überzeugt. Aber die trotzkistischen Kräfte sind immer schwach gewesen; sowohl Nazis wie Stalinisten fügten ihnen während des Zweiten Weltkriegs schwere Verluste zu. Bei Kriegsende hatte der Trotzkismus in Großbritannien, Frankreich und den USA in der Arbeiterklasse ein klein wenig Fuß gefaßt. Aber schon in den fünfziger Jahren war er wieder auf kleine Sekten von Intellektuellen reduziert – Trotzki selbst hatte immer gegen diese Gefahr gekämpft, indem er die Notwendigkeit der Verwurzelung in der Arbeiterklasse betonte.

Jede kleine Gruppe, die dazu verdammt ist, am Rande des Kampfgeschehens zu stehen, ist zwei Gefahren ausgesetzt. Die eine besteht darin, sich selbst als den Nabel der Welt zu betrachten, die Hauptaufgabe im Aufbau der (eigenen) Führung zu sehen und alle Energie auf die Verteidigung seiner Ehre und seiner Linie gegen ebenso unbedeutende Rivalen zu verwenden. Die entgegengesetzte Gefahr liegt darin, sich von seiner eigenen Schwäche derart überwältigen zu lassen, daß man sich wie besessen auf die Jagd nach einem revolutionären Ersatz begibt und ihn z.B. in der machtvollen Spontaneität der Massen, der Kolonialrevolution, einer linken Gewerkschaftsführung, den Arbeiterstaaten usw. usw. zu finden meint. Da man das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, eine revolutionäre Führung aufzubauen, verloren hat, sollen jetzt andere diese Aufgabe übernehmen.

Unglücklicherweise gelang es der trotzkistischen Bewegung nicht, diese Fallgruben zu umgehen. Sie war unfähig, eine der Bedingungen der Nachkriegswelt angemessenen Theorie zu entwickeln. Indem sie die „Volksdemokratien“ als „Arbeiterstaaten“ bezeichnete, räumte die Vierte Internationale die Möglichkeit ein, daß Arbeiterstaaten ohne eine Arbeiterrevolution entstehen können. Auf ihrem Vierten Weltkongreß 1954 stellte sie die These auf, in einigen Ländern, nämlich in China und Jugoslawien, sei eine von der KP unabhängige revolutionäre Partei nicht erforderlich. Derartige Deformationen führten zu vielen Spaltungen in der trotzkistischen Bewegung.

Die Krise der Vierten Internationale macht die Bedeutung jener Theorie deutlich, derzufolge Rußland ein „staatskapitalistisches“ Land ist. Sie geht davon aus, daß die der russischen Gesellschaft zugrundeliegende Dynamik – Akkumulation um der Akkumulation, Produktion um der Produktion willen – in letzter Instanz dieselbe ist wie im westlichen Kapitalismus. Die bürokratischen Führungsgruppen handeln als „kollektive Kapitalisten“, und weder der Staat noch die Produktionsmittel gehören in irgendeiner Weise den Arbeitern.

Diese Theorie hilft viele der Probleme lösen, mit denen sich die Revolutionäre der Nachkriegszeit konfrontiert sahen. Sie erklärt die Bewegkraft der Bürokratie und ihre Fähigkeit, ihre Herrschaft auf andere Gebiete auszudehnen; sie erklärt, wie Regimes, die dem sowjetischen glichen, ohne jedes Eingreifen seitens der Arbeiter selbst errichtet werden konnten. Sie zeigt auch, daß die im westlichen Kapitalismus bestehenden Ansätze einer geplanten und staatseigenen Wirtschaft den Entwicklungen im Ostblock parallel laufen.

Eine wesentliche Voraussetzung für den Wiederaufbau einer vom Stalinismus befreiten internationalen revolutionären Bewegung ist die Wiedergeburt einer marxistischen Opposition in den stalinistischen Ländern. Es hat viele Schritte in dieser Richtung gegeben, die allerdings, wie im russischen Samizdat, oft widersprüchlich und zusammenhanglos waren. Die bisher bedeutendste Entwicklung dieser Art ist wahrscheinlich das Revolutionär-Sozialistische Manifest der beiden Polen Kuron und Modzelewski.

In den letzten Jahren sind neue revolutionäre Kräfte aufgetaucht. Sie entstanden ursprünglich unter Studenten, beginnen aber, auch Arbeiter zu beeinflussen. Ihnen stellt sich die Aufgabe, den langen Kampf für eine neue Internationale zu führen, die sich auf tatsächlich kämpfende Massenparteien der Arbeiter gründet. Der Kampf gegen den Stalinismus in Theorie und Praxis ist ein Bestandteil dieser Aufgabe.

 


Zuletzt aktualisiert am 6.8.2001