Duncan Hallas

 

Die Rote Flut

 

8. Das Erbe der Komintern

DIE KOMINTERN WAR 1919 als eine konsequent internationalistische Organisation, als Erbe der Zimmerwalder Linken gegründet worden, und war jeder herrschenden Klasse und allen „zersetzenden Beimischungen von Opportunismus und Sozialpatriotismus“ innerhalb der Arbeiterbewegung feindlich gesinnt.

Als sie 1943 aufgelöst wurde, war sie, und zwar bereits seit fast einem Jahrzehnt, ein Instrument nationalistischer Politik, das darauf abzielte, die Unterstützung der Arbeiterklasse für die verschiedenen herrschenden Klassen gegen andere herrschende Klassen zu mobilisieren. Die Komintern hatte den „Opportunismus und Sozialpatriotismus“ auf neue Höhen getrieben.

1919 war die Komintern für den kompromißlosen Kampf der Arbeiterklasse eingetreten. 1943 trat sie, und das seit Jahren schon, für die systematische Klassenzusammenarbeit mit verschiedenen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kräften ein, wobei die Interessen der Arbeiterklasse deren Interessen – entsprechend den sich verändernden Anforderungen der russischen Diplomatie – untergeordnet wurden.

Bei ihrer Gründung hatte die Komintern ihre Gegnerschaft gegen alle Imperialismen und das Selbstbestimmungsrecht aller Völker verkündet. Schon lange vor 1943 war sie dazu übergegangen, den Befreiungskampf in den Kolonien und „Einflußsphären“ der russischen Verbündeten abzulehnen. Als der Indische Nationalkongreß seine „Unabhängigkeit Jetzt“-Kampagnen im britisch beherrschten Indien 1942 startete, brandmarkte die Kommunistische Partei Indiens die Kongreßführer als „Verräter“ und „japanische Agenten“. Die Kongreß-Führer, darunter Gandhi und Nehru, wurden durch die Briten ins Gefängnis geworfen. Die KPI-Führer unternahmen alles in ihrer Macht, um die darüber entfachte Massenagitation, Massenstreiks und Straßenkämpfe zu dämpfen, und verteidigten jede Repressionsmaßnahme der britischen Behörden. 1943 erzielten Stalin, Roosevelt und Churchill ein Übereinkommen in Teheran zur Neuaufteilung der Welt unter sich in neue Einflußsphären. Die UdSSR selbst war dem Klub der imperialistischen Mächte beigetreten.

1919 trat die Komintern unzweideutig für Arbeiterrevolution und Arbeitermacht auf der Grundlage eines Systems von Arbeiterräten ein: „Der Sieg der Arbeiterklasse liegt in der Zerstörung der Organisation der feindlichen Macht und in der Organisierung der Arbeitermacht; er besteht in der Zerstörung des bürgerlichen Staatsapparats und im Aufbau des Arbeiterstaatsapparats“, erklärte die Plattform von 1919. All dies wurde auf dem Kongreß von 1935 ausdrücklich aufgegeben und nie wiederbelebt. Trotzki nannte ihn „den Auflösungskongreß der Komintern“. Die Kominternparteien überhäuften Stalins brutale, despotische Diktatur über die Arbeiterklasse in der UdSSR mit unverfrorenem Lob. Die Komintern war ganz einfach zu einem Instrument der Klassenherrschaft der russischen Bürokratie geworden.

Das Rad hatte sich um hundertachtzig Grad gedreht. Die Komintern war zu einer Position gekommen, wo sie alles ablehnte, was sie ursprünglich erkämpfen wollte. Es handelte sich hier nicht um bloße taktische Veränderungen, um eine Anpassung an veränderte Bedingungen – obwohl man natürlich ständig zu diesem Argument griff, um jeden neuen Verrat zu rechtfertigen. Der Internationalismus, die Arbeitermacht, der Antiimperialismus – das sind keine Taktiken, sondern Prinzipien und notwendige Bedingungen für einen erfolgreichen Kampf um den Sozialismus. Es war gerade, weil die sozialdemokratischen Parteien diese Prinzipien aufgegeben hatten, daß die Komintern überhaupt gegründet wurde.

Angesichts dieses Endresultats hinterfragen natürlich viele Menschen die Gültigkeit der Tradition der frühen Komintern: Enthielt sie nicht schon von Anfang an irgendeinen Makel, Fehler oder Verzerrung, die ihre Verwandlung in ein Instrument der stalinistischen Außenpolitik bewirkte oder zumindest erleichterte?

Der alte, bis 1902 zurückreichende Mythos von der „Erbsünde“ des Bolschewismus, von der monolithischen, einem einzigen Willen von oben gehorchenden Partei, hält einer kritischen Betrachtung nicht stand – was allerdings das breite Spektrum der Gegner des Sozialismus natürlich nicht davon abhält, ihn als eine unstrittige Wahrheit hinzustellen. In Wirklichkeit zeigt eine auch nur flüchtige Bekanntschaft mit ihrer Geschichte, daß die bolschewistische Organisation alles andere als monolithisch war. Sie war von scharfen internen Konflikten gekennzeichnet, die durch Argumente, manchmal auch öffentliche, und durch Abstimmungen auf Kongressen gelöst wurden. Nicht nur einmal fand sich Lenin, der angebliche „Diktator“, in der Minderheit wieder. Darüberhinaus änderte er seine eigenen Ansichten über die Frage der Parteiorganisation immer wieder, um den Bedingungen, unter denen die Partei arbeitete, gerecht zu werden. [1]

Ein ernstzunehmenderes Argument ist das, wonach die Komintern den Parteien außerhalb Rußlands ungeeignete, den russischen Bedingungen entsprungene Organisationsformen aufgezwungen habe, was eine Hauptursache für ihre schließliche Entartung gewesen sei. Wie wir gesehen haben, war auch Lenin 1922 besorgt wegen der Tendenz, die russische Erfahrung mechanisch zu übertragen.

Die meisten Kritiker orten jedoch die behauptete Entartung zu einem früheren Zeitpunkt als 1922. Für sie liegt die Wurzel des Übels in den 21 Bedingungen von 1920. Claudin zum Beispiel, ein ehemaliger Führer der spanischen Kommunistischen Partei, beschreibt die 21 Bedingungen als ein Paradebeispiel „für Sektierertum und bürokratische Methoden in der Arbeiterbewegung ... [sie] bedeuteten praktisch, daß die Kommunisten die Spaltung der Arbeiterbewegung organisierten und weiter, daß sie es mechanisch taten und nicht über einen politischen und ideologischen Prozeß, der es den Arbeitern gestattet hätte, sich von deren Notwendigkeit zu überzeugen ... Eine große Anzahl von Sozialisten und Gewerkschaftlern, die der Kl anzugehören wünschten, weil sie mit der russischen Revolution sympathisierten und im allgemeinen die revolutionären Ziele der neuen Internationale teilten, fochten nichtsdestoweniger Teilaspekte an, speziell solche, die die Strukturen und Funktionsprinzipien betrafen.“ [2]

Laßt uns diese Einwände ernsthaft prüfen. „Eine Spaltung in der Arbeiterbewegung organisieren“? Die größte Spaltung in der Arbeiterbewegiing hat doch im August 1914, fast fünf Jahre vor der Gründung der Komintern, stattgefunden, als die größten sozialdemokratischen Parteien die internationalistische Position, für die sie auf den Stuttgarter und Baseler Kongressen der Zweiten Internationale gestimmt hatten, verleugneten und „ihre eigenen“ Regierungen im Gemetzel des Ersten Weltkriegs unterstützten. Waren Liebknecht, Luxemburg, Connolly, Maclean, Lenin, Trotzki, Debs und die anderen „Sektierer“, als sie sich weigerten, den Krieg zu unterstützen? War Liebknecht ein Sektierer, als er erklärte: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“? War Connolly ein Sektierer, als er erklärte: „Weder König noch Kaiser“? War Lenin ein Sektierer, als er 1914 schrieb: „... die zwischen dem Opportunismus und der revolutionären Sozialdemokratie hin und her schwankenden Elemente ... die den Zusammenbruch der II. Internationale zu verschweigen oder mit diplomatischen Phrasen zu bemänteln suchen, [erweisen] dem Proletariat den allerschlimmsten Dienst.“? [3]

Die Internationale ist 1914 zusammengebrochen. Die Spaltung ist auf diesen Zusammenbruch gefolgt. Beidesmal trug die sozialdemokratische Rechte die volle Verantwortung. Die Spaltung wurde weiter durch die offen konterrevolutionären Aktionen der SPD-Führer in Deutschland 1918 vertieft.

Dies war die entscheidende Spaltung, die zentrale Entzweiung, aus der heraus die anderen folgten.

Wogegen sich Claudin und seinesgleichen wenden, ist die später, 1920 erfolgte Spaltung mit den Zentristen. Politisch gesehen hatte sie bereits 1916 in Kienthal stattgefunden, aber 1920 verzeichneten einige der zentristischen Parteien „einen Zustrom von revolutionären Arbeitern“. Sie mußten gewonnen werden, und um sie zu gewinnen, war eine Trennung von den schwankenden, halbherzigen und oft genug verräterischen zentristischen Führern unverzichtbar. Daher die 21 Bedingungen. Insbesondere mußte es zu einem Bruch mit Macdonald, Karl Kautsky, Leon Blum und anderen Führern kommen, die bereitwillig die Rhetorik des revolutionären Sozialismus in den Mund nahmen, aber keine Taten folgen ließen. Sonst hätte die Bewegung Gefahr gelaufen, eine Wiederholung des August 1914 zu erleben.

Vielleicht hatten die 21 aber unerwünschte Nebeneffekte? Wir brauchen die Bedingungen hier nicht zu idealisieren. Sie wurden ziemlich hastig zusammengezimmert – noch am Vorabend des Kongresses waren es neunzehn gewesen, zwei wurden im letzten Augenblick hinzugefügt – und sie waren ein ziemlich stumpfes Instrument. Aber sie erfüllten ihren Hauptzweck. Nicht alle zentristischen Führer konnten ausgeschlossen werden, wie wir bereits gesehen haben, aber die schlimmsten Schufte wurden es. Dieses „Nichtübereinstimmen in einigen Punkten“ von dem Claudin redet, war in Wirklichkeit ein Auseinanderklaffen in Grundfragen. Und was den „politischen und ideologischen Prozeß“ anbelangt, was waren die Debatten in Halle und Tours denn sonst? Die Komintern besaß damals überhaupt keine „bürokratischen“ Mittel und Zentral- und Westeuropa, im Gegensatz zu den Zentristen und Sozialdemokraten. Und die 21 Bedingungen fanden eh in keiner der Kommunistischen Parteien volle Anwendung – oft aus falschen Gründen, manchmal aus guten Gründen. Claudins Argument läuft ins Leere.

Was hier in Wirklichkeit zur Debatte steht, ist die „Vorherrschaft Moskaus“, nicht die Bedingungen als solche. Es ist ein reales Problem. Der Niedergang der russischen Revolution und dann die stalinistische Konterrevolution, die darauf folgte, zerstörten tatsächlich die Komintern. Das ist unbestreitbar. Das Schicksal der Revolution und das der Internationale waren notwendigerweise miteinander gekoppelt. Das haben wir aufgezeigt. Jeder Plan für eine von Sowjetrußland – denn 1920 war Rußland noch ein Sowjetstaat – getrennte Internationale war eine vollkommen utopische Vorstellung.

Dabei muß nochmals festgehalten werden, daß die Ratschläge der Kominternexekutive in den Anfangsjahren denen der verschiedenen „anti-Moskau“- und „autonomen“ Fraktionen in den verschiedenen Parteien haushoch überlegen waren. Schauen wir uns die Belege an. Hatte „Moskau“ unrecht in seiner Einschätzung der französischen, deutschen und norwegischen zentristischen Führer? War es ein Fehler, einen harten Kampf gegen die Sektierer, sowohl gegen jene der passiven propagandistischen Sorte wie zum Beispiel Pannekoek und Wynkoop, als auch gegen jene der abenteuerlichen Sorte wie zum Beispiel Bela Kun, Fischer und Thalheimer, zu führen? Natürlich nicht.

War es im Jahr 1921 ein Fehler zu argumentieren, daß die revolutionäre Welle vorbei war, daß ein Rückzug notwendig war, und daß die Einheitsfronttaktik jetzt eine zentrale Rolle spielen mußte? Natürlich nicht.

Man kann natürlich auf Fehler hinweisen. Die Abspaltung von den italienischen Zentristen hätte sicherlich besser gehandhabt werden können. Die Perspektive der Roten Gewerkschaftsinternationale war verfehlt, und spätestens 1921 hätte man dies anerkennen und die notwendigen Schlüsse daraus ziehen müssen. Aber in den wichtigsten Fragen, in der Hauptstoßrichtung ihrer politischen Linie, hatte die Kominternführung recht, und alle ihre Gegner hatten auf ihre verschiedenen Arten und Weisen unrecht. Gerade deswegen ist das Erbe der ersten vier Kongresse, was Prinzipien, Strategie und Taktiken anbelangt, für revolutionäre Sozialisten heute so unverzichtbar.

Es wäre natürlich falsch, die Kominternentscheidungen in mechanischer Weise und ohne Rücksicht auf die Bedingungen buchstabengetreu anzuwenden. Wenn zum Beispiel eine genaue Untersuchung des Klassenkräfteverhältnisses, des Zustandes der Arbeiterorganisationen und der Stärke der reformistischen Parteien zeigt, daß eine Einheitsfrontarbeit in Frage kommt, dann können die grundsätzlichen Leitlinien für eine solche Arbeit aus den Anfangsjahren der Komintern gewonnen werden. Es ist genauso unerläßlich heute, wie es auch damals war, daß sich jede Einheitsfront viel mehr um Vereinbarungen zur Einheit in einer konkreten Aktion als in der Propaganda dreht; daß das Bestehen einer unabhängigen revolutionären Partei mit einer klaren politischen Linie eine Vorbedingung ist; daß das Streben nach Einheit nicht die Vertuschung von Differenzen in zentralen Fragen bedeuten kann. Das alles wissen wir nicht nur aus den revolutionären Erfahrungen in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, die in den ersten vier Kongressen der Komintern ihren konzentrierten Ausdruck finden, sondern auch aus den Katastrophen, die auf die Volksfronten der 30er Jahre folgten, als diese Prinzipien nicht angewandt wurden.

1923 war der Wendepunkt. Es fanden statt die Niederlage des Deutschen Oktobers, das beginnende Erwachen der russischen Bürokratie zum Selbstbewußtsein, die Entstehung der Linken Opposition und die gewalttätige bürokratische Reaktion darauf.

Bis zum ausgehenden Jahr 1923 war die Komintern trotz aller unvermeidlichen Schwächen und Fehler eine echte Arbeiterinternationale. Im Mittelpunkt stand immer noch der Kampf der Arbeiterklasse. Die begangenen Fehler waren, wie wir gesehen haben, viel mehr das Ergebnis von politischer Unreife und einer Fehleinschätzung des Klassenkräfteverhältnisses als von irgendeiner Verschiebung dieses Klassenstandpunktes. Aber mit dem Aufstieg der Bürokratie und der Entstehung der Lehre vom „Sozialismus in einem Lande“ begann sich der Klassenstandpunkt zu verändern. In China 1925 setzte die Komintern ihre Hoffnungen auf eine revolutionäre Veränderung in die Kuomintang, eine Organisation der Bourgeoisie, und nicht allein in die Arbeiterorganisationen.

In der Periode von 1924 bis 1928 wurde die Komintern zu einer „zentristischen“ Organisation – Trotzki zimmerte den Ausdruck „bürokratischen Zentrismus“, um ihre Politik zu beschreiben –, obwohl sie noch etwas von ihrer Tradition der Revolutionsjahre, wenn auch mit zunehmenden Verzerrungen und Entartungen, in sich trug. Nach 1928 wurden die letzten Überreste davon nach und nach getilgt, genauso wie die letzten Überreste der Arbeitermacht in Rußland getilgt wurden.

Weder der eine noch der andere Ausgang waren unvermeidlich. Wenn die deutsche Arbeiterklasse 1923 in der Lage gewesen wäre, die Macht zu ergreifen, dann hätte sich die Zukunft Europas, der UdSSR und der Welt ganz anders gestaltet. Jene „Welle, die, wenn man auf sie im Augenblick der aufsteigenden Flut aufspringt, zum Erfolg führt“, wurde verpaßt, so daß sich eine neue Klassenherrschaft in der UdSSR etablieren konnte, die der Arbeiterklasse alle Übel des Stalinismus auferlegte und im Gegenzug dazu die Sozialdemokratie stärkte.

Was heute noch Gültigkeit besitzt, ist die Kritik an der Kominternpolitik in Großbritannien, China, Deutschland und anderswo, die von der Linken Opposition formuliert wurde. Diese Kritik, die von Trotzki nach seiner Verbannung aus Rußland 1929 weiterentwickelt wurde, liegt der Herangehensweise des vorliegenden Buches zugrunde. Sie ist eine Fortführung der authentischen kommunistischen Tradition.

1929 schrieb Trotzki: „Der historische Faden zerreißt oft. Dann muß man einen neuen Knoten binden. Das eben taten wir in Zimmerwald.“ [4] Das ist es auch, was er mit der Internationalen Linken Opposition und, nach 1938, mit der Vierten Internationale zu tun versuchte. Aber, obwohl diese Tradition tatsächlich in lebendiger Weise fortgeführt wurde, wurde sie es im Rahmen einer Organisation, deren Basis in der Arbeiterklasse winzig war und die in einer Zeit arbeitete, als es nur wenige erfolgreiche Massenarbeiterkämpfe gab, aus denen man hätte lernen und auf denen man hätte aufbauen können.

Jene, die in dieser Tradition standen, wurden einer von Trotzki nicht vorhergesehenen Prüfung unterzogen. Denn nach 1944 erlebte der Stalinismus eine massive Expansion – auf der Grundlage militärischer Eroberungen und Vereinbarungen mit den herrschenden Klassen des Westens. Es gab in Wirklichkeit drei getrennte, aber miteinander verknüpfte Entwicklungen. Erstens wurde der größte Teil Osteuropas durch die Armeen der UdSSR erobert und im Zuge der Aufteilung Zentraleuropas in ihre „Einflußsphäre“ eingegliedert. 1947-48 wurden diese Länder dann von oben nach unten in mehr oder minder getreue Abbilder des stalinistischen Rußlands verwandelt. Zweitens verfolgten die Kommunistischen Parteien im Westen bis zum Ausbruch des Kalten Krieges 1947 eine Politik der Klassenzusammenarbeit, die, wenn das überhaupt möglich ist, rechts von der Politik der Volksfrontperiode stand. Sie verzeichneten einen massiven Zuwachs und waren in den Regierungen von Frankreich, Italien, Belgien, Dänemark und einer Anzahl anderer Länder vertreten, darunter auch Batistas Kuba. – Drittens entstanden 1944 in Albanien und Jugoslawien, 1948-49 in China und später in Kuba und Vietnam durch militärische Mittel, durch den Sieg von Bauernarmeen unter der Führung von Intellektuellen [5] über die schwachen einheimischen bürgerlichen Regimes – die eigentlich bloß Marionetten fremder Mächte waren – Regimes, die im Grunde genommen ähnlich waren, wie das der UdSSR.

Diese drei Prozesse wurden von den Gruppen, die die Vierte Internationale bildeten, nicht klar erkannt. Ein Faktor, der zu dieser Desorientiertheit beitrug, war Trotzkis eigene Weigerung zu akzeptieren, daß eine Konterrevolution in Rußland stattgefunden hatte, und sein Beharren darauf, daß Rußland nach wie vor eine Form von Arbeiterstaat war, egal wie entstellt. Das führte dazu, daß während des Kalten Kriegs, als der Stalinismus die Auffassung von einer in zwei feindliche Lager, das des Sozialismus gegen den Imperialismus, geteilten Welt propagierte, die Gruppen der Vierten Internationale zu einer ähnlichen Weltauffassung von Arbeiterstaaten gegen den Imperialismus gelangten. Das führte die meisten unter ihnen zu einer Position der „kritischen Unterstützung“ für den Stalinismus, und, da es nun den Anschein hatte, daß ein „Arbeiterstaat“ mit anderen Mitteln als denen der Arbeiterrevolution geschaffen werden konnte, darüberhinaus (in verschiedenem Ausmaß) zu der Übernahme von politischen Ideen, die nach einem anderen Träger für die Herbeiführung des Sozialismus als der Arbeiterklasse Ausschau hielten. So kam es dazu, daß sie einen großen Teil des Kerns der kommunistischen Tradition über Bord warfen, jener Tradition der revolutionären Komintern, für die Trotzki selbst eingetreten und gestorben war.

Denn diese Tradition nimmt als ihren Ausgangspunkt den Sozialismus als die Selbstemanzipation der Arbeiterklasse. Ihre unverzichtbaren Bestandteile sind der kompromißlose Internationalismus, die bedingungslose Unterstützung für Arbeiterkämpfe gegen jede herrschende Klasse, das Ziel eines Arbeiterstaates auf der Grundlage von Arbeiterräten als Träger des sozialistischen Übergangs, eine unzweideutige Ablehnung von allen Vorstellungen, wonach irgendeine andere Klasse oder Klassenbündnis oder politische Gruppierung oder Partei den Sozialismus stellvertretend für die Arbeiterklasse herbeiführen kann.

Aus dem Ringen heraus, diese Tradition im Verlauf von Arbeiterkämpfen anzuwenden und weiterzuentwickeln, wird eine neue Internationale geboren werden. Es wird notwendig sein, „auf dem Boden der ersten vier Kongresse“ der Komintern zu stehen. Die Bedingungen der 80er Jahre sind weitaus günstiger für die Wiedergeburt einer internationalen Arbeiterbewegung, als sie es seit vielen Jahren gewesen sind.

Die stalinistische Bewegung befindet sich weltweit in einem fortgeschrittenen Stadium des Verfalls. Die stalinistischen Staaten selbst sind durch interne Klassenkämpfe geplagt – die Ereignisse um Solidarnosc 1980-81 in Polen waren nur das spektakulärste Beispiel. Ihre Beziehungen untereinander sind oft so gespannt, daß die Konflikte nur mit Mühe und Not überdeckt werden können, oder gar ans offene Tageslicht gelangen und in militärische Zusammenstöße – wie z.B. zwischen Rußland und China in den 60er Jahren oder zwischen China und Vietnam 1982 – oder sogar in Einmärsche und Eroberungen – wie im Falle Vietnams und Kambodscha ausarten. Der Mythos vom „sozialistischen Lager“ ist wahrlich zerrüttet, und die ideologischen Konsequenzen daraus tiefgehend. Die Kommunistischen Parteien in anderen Teilen der Welt, darunter auch die bedeutende japanische Kommunistische Partei, befinden sich im Abschwung, und es wird sowieso immer schwieriger, sie von ihren sozialdemokratischen Rivalen zu unterscheiden.

Die sozialdemokratischen Organisationen, von der wieder ausgebrochenen kapitalistischen Krise eingeholt, stehen vor zunehmenden Schwierigkeiten. Die sozialdemokratischen Regierungen der 80er Jahre in Frankreich, Spanien, Portugal und Griechenland stellen bloß ihre Unfähigkeit unter Beweis, die ökonomische Krise zu lösen oder sie Überhaupt zu lindern.

Diese Krise, von der auch die stalinistischen Staaten in verschiedenem Ausmaß betroffen sind, wird im Lauf der Zeit den Klassenkampf verschärfen, egal wie deprimierend ihre kurzfristigen Auswirkungen sein mögen, das Produktionspotential der Weltwirtschaft ist unvergleichlich größer, als es je gewesen ist. Die Weltarbeiterklasse ist größer als je zuvor. Die Schwierigkeiten, die vor uns liegen, sind natürlich immens. Aber sie sind lösbar. Die Arbeiterrevolution und die Arbeitermacht sind keine Utopien. Sie sind der einzige Weg vorwärts für die Menschheit.

 

Anmerkungen

Mit * versehene Zitate konnten aus Zeitgründen nicht endgültig;ltig in deutschen Originaltexten geortet werden. Sie sind also aus dem Englischen übersetzt worden.

1. s. Tony Cliff, Lenin, London 1975-6, wo dies insbesondere im Bd.1 (auf Deutsch) und 2 demonstriert wird.

2. Claudin, Die Krise der Kommunistischen Bewegung, Verlag Olle & Wolter, Berlin 1977, Bd.1, S.116f.

3. Lenin, Werke, Bd.21, S.17.

4. Trotzki, Mein Leben, S.219.

5. s. Ian Birchall, Arbeiterbewegung und Parteiherrschaft – Zur Geschichte des internationalen Kommunismus seit 1943, Focus-Verlag, Gießen, S.197.

 


Zuletzt aktualisiert am 24.4.2002