Anne Alexander

 

Mut zum Sieg:
Revolutionäre Bewegungen im Irak 1946–1959

(2003)


Aus: International Socialism 99, London 2003.
Aus dem Englischen: Rosemarie Nünning
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für REDS – Die Roten.


Kaum einer der US-amerikanischen Kolonialbeamten, die jetzt nach Bagdad kommen, um die Macht zu übernehmen, weiß etwas über die irakische Geschichte. Es könnte sein, dass sie für diese Ignoranz noch einen hohen Preis bezahlen müssen. Das letzte Mal, als die imperialistischen Mächte ein loyales Regime in Bagdad einsetzten, wurde es durch einen großen Aufstand von unten gestürzt. Tragischerweise waren nicht die irakischen Arbeiter und Bauern die Gewinner des Zusammenbruchs der alten Ordnung. Stattdessen konnten die Nationalisten der Baathpartei wegen der Schwächen der Irakischen Kommunistischen Partei (IKP) die Initiative ergreifen und schließlich die Kontrolle über den Staat selbst. Mit Washingtons Einverständnis zerschlugen die Baathisten die revolutionären Hoffnungen der 1950er Jahre und ermordeten dabei tausende Kommunisten. [1]

Die Krise im Irak war lediglich Teil einer langen Protestwelle, die den Nahen Osten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erfasste. Von Ägypten zum Iran, von Syrien bis Algerien überzogen Massenbewegungen die Region. Aber wie im Irak eroberten gerade im Moment der revolutionären Krise nationalistische Armeeoffiziere und Intellektuelle den Staat, nicht die organisierten Arbeiter. Und nachdem sie die Macht ergriffen hatten, beugten sich die nationalistischen Führer der 1950er Jahre dem Druck des Imperialismus. Die Großmächte entdeckten schnell neue Methoden, ihre Herrschaft im Nahen Osten aufrechtzuerhalten.

Aus den Bewegungen der 1940er und 1950er Jahre können heutige Aktivisten wichtige Lehren ziehen. Dies ist die echte Tradition des Antiimperialismus und von Demokratie im Nahen Osten im Gegensatz zu dem vorgetäuschten Radikalismus der Diktatoren und den falschen Freiheiten der US-amerikanischen „Befreiung“. Die Rolle der organisierten Arbeiterklasse bei der Zerschlagung der alten kolonialen Ordnung wurde lange in den Geschichtsbüchern verschwiegen, sollte jedoch dazu beitragen, eine neue Generation von Sozialisten zu beflügeln. An diesen Bewegungen nahmen Massen von Arbeitern und Bauern teil – die Armen, die Vertriebenen und die Ausgegrenzten – um die Welt zu erneuern. Einfache Leute kämpften gegen Polizei und Arme und widersetzten sich im Namen der Freiheit der Macht des Kolonialimperiums. Trotz des Versagens ihrer Führer zeigt die Geschichte der nationalen Befreiungsbewegungen, dass Veränderung von unten kommt.

 

Der Nahe Osten am Scheideweg [2]

Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren von Instabilität und Aufruhr im gesamten Nahen Osten geprägt. Als die alten kolonialen Mächte sich zurückzogen, begannen die sozialen Strukturen, die sie seit den 1920er Jahren gestützt hatten, zu zerfallen. Überall im Nahen Osten waren die 1940er und 1950er Jahre eine Zeit tiefer revolutionärer Krisen. Der Zusammenbruch der von den Kolonialmächten geförderten Regime war nicht nur das Werk einer Hand voll Armeeoffiziere. Den Todesstoß versetzten der alten Ordnung die Eisenbahnarbeiter Bagdads und die Textilarbeiter des ägyptischen Deltas, Studenten in Kairo, Alexandria und Damaskus, und Bauernaktivisten im Niltal und in den Bergen Kurdistans.

Eine militante Gewerkschaftsbewegung entstand, die nicht nur begann, den ausländischen Kapitalisten im Namen der Nation, sondern auch den einheimischen Kapitalisten im Namen der Arbeiterklasse den Kampf anzusagen. Arbeitskämpfe wirkten auf die nationalistische Bewegung zurück, indem Straßenproteste von großen Streikwellen begleitet wurden. [3] Städtische Unruhen wurden begleitet von einem langsamen Zusammenbruch der sozialen Ordnung auf dem Land. Bauernbewegungen in Syrien und Ägypten begannen Ende der 1940er Jahre zu entstehen, um die Kontrolle der Paschas über das Land anzugreifen. [4]

Die Katastrophe in Palästina spielte eine entscheidende Rolle bei der Untergrabung der alten Ordnung. Die Schaffung des israelischen Staats 1948 und die Vertreibung hunderttausender Palästinenser aus ihrer Heimat trugen zur weiteren Radikalisierung der Massenbewegungen bei. Die völlige Unfähigkeit der alten Regime, die Palästinenser zu verteidigen, obwohl sie Truppen für den Kampf gegen die Zionisten entsandten, war der letzte Nagel zu ihrem Sarg.

Dennoch trug trotz der tiefen Krise und dem endgültigen Zusammenbruch der alten Ordnung nicht die Arbeiterklasse den Sieg davon. Die kommunistischen Parteien, die durch die stalinistische Idee eines Bündnisses mit der „progressiven nationalen Bourgeoisie“ gehemmt waren, knüpften das Schicksal der Arbeiterbewegung an nationalistische Ziele. Nachdem sie die Arbeiterbewegung politisch entwaffnet hatten, waren sie nicht in der Lage, sich gegen die Unterdrückung durch die neuen Regime zu wehren.

 

Eine Gesellschaft in Bewegung

Im Irak war das Aufbrechen der antikolonialen Massenbewegung das sichtbarste Zeichen für die sich unter der Oberfläche der Gesellschaft beschleunigende Veränderung. Zwei neue Klassen – städtische Arbeiter und die moderne untere Mittelschicht – dominierten die politischen Organisationen, die von der Bewegung hervorgebracht worden waren. Ihre politische Bedeutung spiegelte die wachsende Rolle industrieller Produktion in der irakischen Wirtschaft und das zunehmende Gewicht einer modernen Staatsbürokratie in der irakischen Gesellschaft.

Die irakische Arbeiterklasse wuchs in den 1940er und 1950er Jahren sehr schnell. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs regte die irakische Ökonomie an – vor allem die einheimische Industrieproduktion –, da der Zufluss ausländischer Waren unterbrochen war. Durch den Zustrom britischer Soldaten entstand ein wichtiger Markt für einheimische Produkte, und die Armee selbst beschäftigte eine große Zahl Iraker. [5] Die irakische Industrie erlebte einen weiteren Wachstumsschub in den 1950er Jahren – von 1953 bis 1958 stieg die Industrieproduktion um 85 Prozent. [6]

Besonders durch die explosive Ausweitung der Ölproduktion in dieser Zeit entstand eine strategisch lebenswichtige und technologisch fortgeschrittene Industrie, in der zehntausende einheimische Arbeiter beschäftigt waren. Mit einem landesweiten Streik irakischer Ölarbeiter – 1958 gab es etwa 15.000 – konnte eine Produktion in einem Sektor lahm gelegt werden, der 28 Prozent des Bruttoinlandprodukts und 61 Prozent der Regierungseinkünfte ausmachte. [7] Die Entwicklung eines modernen Transportnetzes schuf eine weitere mächtige Gruppe von Arbeitern: Den rund 1.200 Arbeitern der Eisenbahnreparaturwerkstätten in Schalchijja bei Bagdad kam eine Schlüsselstellung zu: „Zehn oder fünfzehn Tage Arbeitsniederlegung in diesem Werk konnten den gesamten Eisenbahnverkehr und den ganzen Irak zum Stillstand bringen.“ [8]

Die Struktur des irakischen Kapitalismus wies Arbeitern eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den Imperialismus zu. Europäisches und US-amerikanisches Kapital kontrollierte unmittelbar große Teile der Ökonomie. Die Ölgesellschaften waren die offensichtlichsten – und politisch umstrittensten – Symbole der Herrschaft des Auslandskapitals. Die Irakische Erdölgesellschaft war ein Konsortium der großen Ölkonzerne der Welt. British Petroleum, das die Reserven des benachbarten Irans kontrollierte, hielt daran den Löwenanteil. Shell nahm sich 25 Prozent, ebenso eine Gruppe der größten US-amerikanischen Erdölkonzerne. Ein Teil ging an die französische Regierung, und eine Einzelperson – Calouste Gulbenkian – besaß den Rest. Der irakische König Faisal, der seinen Thron den britischen Bajonetten verdankte, wurde 1925 dazu gebracht, das irakische Öl bis zum Jahr 2000 abzutreten. Die Konzerne weigerten sich, der irakischen Regierung einen Anteil von ihren Profiten zu geben und boten stattdessen Tantiemen in Höhe von vier Goldschillingen für eine Tonne Öl. [9]

Das Transportwesen und öffentliche Einrichtungen wurden durch ähnliche „Konzessionsabkommen“ mit europäischem Kapital beherrscht. Britische Konzerne kontrollierten den Hafen von Basra und das Eisenbahnsystem. [10] Generationen von Kolonialbeamten hatten hart dafür gearbeitet, die direkte Herrschaft britischen und französischen Kapitals im Nahen Osten zu sichern. Jetzt mussten sie feststellen, dass diese Konzerne sehr schnell zum Brennpunkt für die nationalistischen Bestrebungen wurden. Durch die Konzessionsgesellschaften – die einst von europäischen Aktienbesitzern und Regierungsbeamten als einträgliche Melkkühe betrachtet worden waren – wurde der Kampf um die nationale Befreiung in die Betriebe getragen, und sie erwiesen sich als fruchtbarer Übungsboden für eine neue Generation von Arbeiteraktivisten. Irakische Eisenbahn- und Hafenarbeiter bildeten in den 1940er und 1950er Jahren den Kern der Betriebsorganisationen der Kommunistischen Partei. [11]

Die Ausweitung eines weltlichen Bildungssystems und das ausufernde Wachstum der Regierungsbürokratie trugen zur Herausbildung einer kleinen, aber wichtigen modernen unteren Mittelschicht bei. [12] Die soziale Krise radikalisierte diese Schicht, aus der in dieser Zeit viele Führer der Kommunisten und der nationalistischen Bewegungen kamen. Wesentlich war, dass die moderne Mittelschicht sich selbst von der politischen Macht ausgeschlossen sah, die weiterhin in den Händen der Großgrundbesitzer lag. [13] Im Irak fiel dieser Prozess mit religiösen und ethnischen Bruchstellen zusammen. Eine kleine, säkular gebildete schiitische und kurdische Mittelschicht entstand in den 1940er Jahren im Irak, die dann ihre Entwicklung durch die fortgesetzte sunnitische und arabische Beherrschung des politischen Systems blockiert sah. [14] Für Sunniten außerhalb der herrschenden Klasse wurde die Armee zu einem wichtigen Mittel des Aufstiegs.

 

Die Krise und das alte Regime

Die korrupte und repressive haschemitische Monarchie war das britische Vermächtnis an die Menschen des Iraks. Zum Ende des Ersten Weltkriegs hatte Faisal, der erste König, für kurze Zeit um Damaskus herum ein arabisches Königreich geschaffen, ehe er von französischen Truppen hinausgeworfen wurde. Britische Berater machten sich jetzt dafür stark, ihm den irakischen Thron anzubieten. Die Errichtung der neuen irakischen Monarchie stellte sich als schwierige Aufgabe heraus. Tausende britische Soldaten und 40 Millionen Pfund waren erforderlich, den großen Aufstand von 1920 zu unterdrücken. [15] Danach setzten sich Unruhen und nationalistische Agitation noch Monate fort.

Durch Unterdrückung und Bestechung konnte schließlich der Thron für Faisal gesichert werden. Irak erhielt 1932 seine symbolische Unabhängigkeit und einen Sitz im Völkerbund. In Wirklichkeit änderte sich wenig: Britische Berater blieben hinter der Bühne fest an der Macht, und ein Vertrag zwischen den beiden Regierungen sicherte Großbritannien die militärische Herrschaft im Irak. [16] Die Verhandlungen über die Ausweitung dieses Abkommens wurden 1948 schließlich der Auslöser für eine Welle von Massenprotesten im ganzen Irak.

Selbst in den 1920er Jahren konnte die irakische Monarchie sich nur auf eine sehr kleine soziale Basis stützen. In den 1940er Jahren war diese Schicht noch isolierter, als neue soziale Kräfte wie die wachsende Arbeiterklasse, die Armen in den Städten und die neue Mittelschicht sich in den Protesten gegen ihre fortgesetzte Beherrschung zusammenschlossen. Die Regierung antwortete darauf üblicherweise mit verschärfter Repression. Parteien wurden verboten, Streikende niedergeschossen und Kommunisten in der Öffentlichkeit hingerichtet. Schon 1946 rang sogar die britische Botschaft verzweifelt die Hände. In einem Bericht der Kanzlei in Bagdad an das Außenministerium hieß es: „Solange die alte Bande an der Macht ist, kann dieses Land kaum auf Fortschritt hoffen.“ [17]

Ein zunehmendes Gefühl sozialer Polarisierung vergrößerte die Spannungen. Die Kosten für grundlegende Lebensmittel schnellten 1940 in die Höhe, und obwohl auch die Löhne auf Grund der expandierenden Kriegswirtschaft stiegen, konnten sie mit den Lebenshaltungskosten nicht Schritt halten. [18] Nach dem Krieg schwanden die Beschäftigungsmöglichkeiten in der britischen Armee, und tausende wurden zusätzlich in die Reihen der Arbeitslosen gestoßen, während Preise und Mieten unerschwinglich hoch blieben. Die Kriegsgewinnlerei zusammen mit einem Ölboom erlaubten einer kleinen Schicht der Elite eine kostspielige Lebenshaltung. Die Arroganz der Reichen gab der Wut der nationalistischen Demonstrationen zusätzliche Schärfe. In den Köpfen vieler Iraker waren die Interessen ihrer eigenen herrschenden Klasse von den Interessen des britischen Imperialismus nicht zu unterscheiden.

Zudem waren die ausländischen Kapitalisten nicht die einzigen Leute, die reich wurden. Großgrundbesitzer dominierten die kleine einheimische herrschende Klasse. Ein Aufschwung in der landwirtschaftlichen Produktion vergrößerte den Reichtum und die Macht dieser Hand voll Menschen. Durch ihr Bemühen, ihrer importierten Monarchie eine soziale Basis zu verschaffen, hatten britische Kolonialbeamte bei der Festigung der Macht dieser Klasse eine wichtige Rolle gespielt. Durch in den 1920er Jahren geänderte Eigentumsgesetze hatten Stammesscheichs und Politiker über Nacht ein Vermögen gemacht. Die Grundbesitzer hatten jedes Interesse, mit der Kolonialmacht zusammenzuarbeiten, um deren Dominanz in der irakischen Wirtschaft zu erhalten. Phebe Marr erklärt: „Irak war in hohem Maß abhängig vom Export zweier Grundstoffe – Öl und Landwirtschaftsprodukte – das eine von Auslandsinteressen kontrolliert und das andere von einer Gruppe vermögender Grundbesitzer.“ [19]

Unterdessen zog Industrialisierung selbst in kleinem Maßstab die Menschen aus den Dörfern in die großen städtischen Zentren. Bagdads Bevölkerung verdoppelte sich von 1922 bis 1946. [20] Viele Migranten fanden jedoch nicht die Arbeit, nach der sie suchten. Stattdessen gingen sie in dem wachsenden Heer der städtischen Armen und Arbeitslosen auf. „Sarifahs“ – mit Schilfmatten gedeckte Lehmhäuser – uferten an den Rändern Bagdads aus und nahmen die Neuankömmlinge auf, die eine sichtbare Rolle bei den großen Kundgebungen und Demonstrationen während der Krise spielten. [21]

Trotz des Bankrotts der Monarchie entwickelte keine der irakischen nationalistischen Oppositionsparteien eine Massenmitgliedschaft, während nationalistische Führer einer früheren Generation in den damaligen repressiven Regierungen oft eine maßgebliche Rolle spielten. [22] Tatsächlich entwickelte sich die nationalistische Bewegung wie zur selben Zeit in Ägypten schnell nach links und gewann ihre Führer eben aus jenen neuen sozialen Gruppen, die an dem bestehenden System keinen Anteil hatten. Iraks politische Zukunft wurde auf der Straße entschieden, wo die parlamentarischen Parteien wenig Einfluss hatten.

Majid Khadduri fasst treffend das Dilemma des Establishments nach dem Fall von Salih Dschabirs Regierung 1948 zusammen. Die Führer der oppositionellen Parlamentsparteien:

... schienen nur kooperiert zu haben, um die Dschabir-Regierung zum Rücktritt zu zwingen, waren jedoch überhaupt nicht darauf vorbereitet, ihren Sieg zur Übernahme der Macht zu nutzen. Ihre Schwäche wurde umso offensichtlicher, als die Parteien an die Massen appellierten (den sie unter ihrer Kontrolle glaubten), mit den Straßendemonstrationen aufzuhören; die Massen hörten nicht auf sie. [23]

 

Der Aufstieg der Kommunisten

Die organisierte kommunistische Aktivität begann im Irak in den 1930er Jahren. Zellen entstanden in Nassirija, Basra, Bagdad und anderen Städten. Ein kleiner Kern von Aktivisten reiste nach Moskau, um sich an der Kommunistischen Universität der Werktätigen des Ostens (Kuwo), eine Parteikaderschmiede der Kommunistischen Partei, einzuschreiben. [24] Der einflussreichste irakische Abgänger der Kuwo wurde Fahd (Jussuf Salman Jussuf), Generalsekretär der Partei von 1941 bis 1949.

Fahds verlässlichste Genossen kamen hauptsächlich aus einer Schicht von Arbeitern unter den Parteimitgliedern. Zu ihnen gehörte Saki Bassim, ein Gerber und später Sekretär; Ali Schukur, ein Lokführer; und Ahmad Abbas, der Sohn eines Bauern, der später in einem Eisenbahnreparaturbetrieb in Schalchijja und dann in einer Textilfabrik arbeitete, ehe er schließlich Mechaniker wurde. [25]

Der Aufstieg dieser Männer auf wichtige Posten in der Parteiführung war das äußere Zeichen für eine deutliche Hinwendung zum systematischen Organisieren von Arbeitern. Majid Khadduri, der kurz nach der Revolution von 1958 schrieb, argumentierte, dass Fahds Einfluss für diese Richtungsänderung entscheidend war. „Seine Bedeutung lag weniger darin, der Bewegung Führung zu geben – seine Führung war keinesfalls allgemein von irakischen Kommunisten akzeptiert –, sondern darin, ihre Anziehungskraft von den Intellektuellen hin zu den Massen zu verschieben.“ [26]

Hanna Batatu bietet eine detaillierte Darstellung dazu. Die Kommunisten spielten eine entscheidende Rolle im Kampf um Gewerkschaftsrechte. Die Kommunistische Partei dominierte 12 von 16 Gewerkschaften, die von 1944 bis 1945 legalisiert wurden: „Ihre Programmentwürfe stammten aus Fahds Feder.“ [27] Ein Netzwerk von Mitgliedern und Unterstützern nahm in wichtigen Industrien Form an: „Die Partei versuchte an erster Stelle die Eisenbahnen, den Hafen von Basra und die Ölfelder in kommunistische Festungen zu verwandeln.“ [28]

Die entscheidende Rolle der Kommunisten bei der Führung von Massenstreiks in all diesen Arbeitsbereichen ist der Beweis für den Erfolg dieser Strategie. Nach Batatus Berechnungen waren unter Fahds Führung 25 Prozent der Mitgliedschaft der IKP Arbeiter. Fünf Jahre nach seinem Tod stellten sie, trotz zunehmender Unterdrückung durch die Regierung, immer noch rund 20 Prozent aller bekannten IKP-Mitglieder. [29]

Die politische Arbeit unter Studenten und Gymnasiasten brachten tausende junger Aktivisten in Kontakt mit den Ideen der Partei. Studenten spielten eine wichtige Rolle in den Massenprotesten – das Signal für den Aufstand von 1948 und 1952 wurde von Studenten gegeben, die auf die Straßen Bagdads strömten. Die Bewegung der 1940er und 1950er Jahre war eine Revolte, die weitgehend von jungen Menschen angeführt wurde, und die Partei spiegelte dies in ihrer Mitgliedschaft wider – 1947 waren 74 Prozent der Basisaktivisten unter 26 Jahre alt. [30]

Noch auf eine weitere wichtige Weise begann die IKP die Hoffnungen einer Generation zu verkörpern. Die Massenbewegung trug in sich den Keim eines Angriffs auf die sektiererischen Strukturen der irakischen Gesellschaft. Die Verflechtung von Staat und Sekte war am offensichtlichsten in dem historischen Ausschluss der irakischen Schiitenmehrheit von der Regierungsmaschinerie. [31] Ein Faktor, der damals dazu beitrug, dass Schiiten von der Kommunistischen Partei angezogen wurden, war die zunehmende Wut über ihre fortgesetzte Unterdrückung durch den Staat. Der größte Teil der Parteimitglieder und 47 Prozent ihrer Führung waren 1955 Schiiten. [32] Der Zustrom schiitischer Mitglieder war auch ein Ausdruck der zunehmenden Polarisierung zwischen den Klassen in der schiitischen Gemeinschaft. Trotz der Berufung von zwei schiitischen Ministerpräsidenten 1948 begannen immer mehr junge Schiiten, sich nicht nur gegen „die Autorität oder das Vorgehen einer bestimmten Regierung“ zu wenden, sondern „gegen die gesamte Ordnung der irakischen Gesellschaft und Politik“. [33]

Die kurdischen IKP-Mitglieder spielten ebenfalls eine wichtige Rolle in der Parteiführung. In Kurdistan begann die Partei auf dem Land eine Basis aufzubauen, indem sie gegen die Grundbesitzer und Agas vorging. Die Partei unterstützte 1947 Bauernaufstände in Arbat bei Suleimanija. Die Revolte brach aus, nachdem der Grundbesitzer, Scheich Latif, die Dorfbewohner angewiesen hatte, ihm ein Drittel ihrer Ernte statt des üblichen Zehntels zu geben. Auf Grund der Unterstützung durch die IKP gewann der Aufstand, der den Scheich zum Kompromiss zwang, die Rückendeckung der Städter in Suleimanija. Die Bauern waren nicht mehr isoliert. Wie David McDowell erklärt: „Arbat war so etwas wie eine Wasserscheide: Zum ersten Mal in der Geschichte hatten es die Bauern mit der Aga-Klasse aufgenommen und gezeigt, dass Veränderungen wirklich möglich waren.“ [34]

Obwohl der kurdische Nationalismus nach 1958 wieder auflebte, führte die Unterstützung der Kommunisten für kurdische nationale Rechte verbunden mit ihrer Verteidigung kurdischer Bauern und Arbeiter dazu, dass in vielen Gegenden Kurdistans die IKP mit viel größerer Unterstützung rechnen konnte als die nationalistische Demokratische Partei Kurdistans (DPK). Tatsächlich zog die Kommunistische Partei die DPK nach links und drängte so traditionelle Führer wie Mullah Mustafa Barsani, Vater des heutigen DPK-Führers Massud Barsani, an den Rand. [35]

Von allen kommunistischen Parteien der arabischen Welt kam die IKP dem Aufbau einer revolutionären Massenpartei am nächsten. Im Jahr 1947 zählte die Organisation rund 1.800 Mitglieder – keine schlechte Leistung für eine Untergrundpartei. [36]

Auf Grund der Unterdrückung war die Mitgliedschaft am Vorabend der Revolution von 1958 auf etwa 500 gefallen, aber der Sturz des alten Regimes öffnete die Schleusen. Nach Polizeistatistiken gab es 1958/1959, als die IKP den Höhepunkt ihres Einflusses erreicht hatte, 25.000 Mitglieder. Von der Tageszeitung der Partei wurden 23.000 Exemplare verkauft. Außerdem dominierte die Partei den Bund zur Verteidigung von Frauenrechten, der seine Mitgliedschaft Mitte Juni 1959 mit 84.000 angab, die Friedenspartisanen mit rund 250.000 Mitgliedern und den Gewerkschaftsdachverband, der zum 8. Juli 1959 angab, 275.000 Arbeiter und Handwerker organisiert zu haben. [37] Die IKP dominierte – dank ihres zunehmenden Einflusses in der Arme und der Reserve – auch die Milizen des Volkswiderstands, eine halboffizielle paramilitärische Einheit, die 1959 25.000 Mitglieder hatte.

Hanna Batatu weist darauf hin, dass diese außergewöhnliche Mitgliederzunahme seine eigenen Gefahren mit sich brachte, da tausende in die Partei strömten, die in der Gunst der neuen Landesführer zu stehen schien. [38] Aber selbst fünf Jahre später, am Vorabend des Putsches der Baathpartei von 1963, schätzte ein kommunistischer Bezirksorganisator, dass es allein in Bagdad 5.000 Mitglieder gab. [39] Im selben Jahr wurden in irakischen Polizeiakten die Namen von über 200 Parteimitgliedern in den Betriebsgruppen der Partei in Basra aufgelistet. [40] Batatu erklärt das folgendermaßen:

Selbst im Jahr 1963, als das Blatt sich gewendet hatte, konnte die Baathpartei niemals, zu keinem Zeitpunkt, auch nur ein Drittel der Menge um sich scharen, die die Kommunisten 1959 anzog ... In solch armen und reinen Arbeitergegenden wie Al-Taura-Stadt oder Tabbat al-Akrad auf der Al-Rassafa-Seite, und den Bezirken Kreimat oder al-Schauwaka auf der Karch-Seite von Bagdad, begrüßte freudige Hoffnung ihren Aufstieg zu großem Einfluss. [41]

Die Schwäche der IKP lag weniger in ihrer Organisation als in ihrer Politik. Nachdem sie „großen Einfluss“ durch ihre Schlüsselrolle im nationalistischen und demokratischen Kampf gewonnen hatte, war die Partei unfähig, der Arbeiterbewegung im Moment der Krise eine unabhängige Führung zu bieten. Die Parteiführung blieb dabei, dass der Kampf im Irak zwei Etappen durchlaufen müsse: zuerst die nationale und demokratische Revolution gegen die Kolonialmacht und ihre Verbündeten im Land, und erst danach könnten Arbeiter die Frage der sozialen Revolution aufwerfen. [42] Deshalb entschied sich die Partei 1959 zurückzuweichen, als sie vor der Wahl einer Kampfansage an den Führer der Bewegung der Freien Offiziere, Abd al-Karim Kassem, stand, da so auch ihr Bündnis mit den nationalistischen Kräften, die er vertrat, gesprengt worden wäre. Solch ein Schritt hätte nicht nur bedeutet, mit Jahrzehnten stalinistischer Orthodoxie zu brechen, sondern auch mit Moskau, und die irakische Revolution auf Kollisionskurs gegen den westlichen Imperialismus zu führen. Die Folgen des Rückzugs der IKP waren tragisch – innerhalb eines Jahres war die Partei in den Untergrund zurückgedrängt, hunderte Kommunisten ermordet und die Bühne bereitet für den Aufstieg der Baathpartei.

 

Vom Aufstand zur Revolution

Iraks historisches Vokabular ist reich an Wörtern, die Protest bezeichnen. Al-Wathba, al-Intifada, al-Taura – all diese Wörter tauchen in den 13 Krisenjahren auf. Als erstes Al-Wathba, der Sprung: die große städtische Rebellion gegen das alte Regime und die Briten. Die Revolte wurde niedergeschlagen. Kommunistische Führer starben am Galgen und die Partei wurde in den Untergrund getrieben. Al-Intifada, der Aufstand, folgte: Studentenproteste kennzeichneten 1952 die Rückkehr der Massenbewegung auf die Straße. Und 1958 kam es zum Ausbruch der Revolution: al-Taura.

Zum ersten großen Proteststurm kam es, als die irakische Regierung in Verhandlungen zur Änderung des Anglo-Irakischen Vertrags von 1930 eintrat. Die Unabhängigkeit Iraks von Großbritannien zum Auslaufen des Mandats im Jahr 1932 hatte wenig Substanz, während der Vertrag in Kraft blieb. Irakische Politiker versprachen, britische „Anleitung“ in Fragen der Außenpolitik zu akzeptieren und die Königliche Luftwaffe (RAF) kontrollierte die wichtigsten Luftstützpunkte Iraks. Versuche, den Vertrag 1948 neu zu verhandeln, lösten al-Wathba aus – einen großen städtischen Aufstand von Studenten, Arbeitern und den städtischen Armen. Dennoch lag in den Protesten auch die Schärfe der Klassenwut:

Es war der Untergrund Bagdads im Aufstand gegen Hunger und ungerechte Lasten. Es waren Studenten und Schalchijja-Arbeiter (Eisenbahn), die Maschinengewehre auf der Mamunbrücke in Anschlag brachten und für ihre Ideen starben. [43]

Im Mittelpunkt der Proteste stand die Forderung nach Aufhebung des Vertrags, und als die Regierung die neuen Bedingungen verkündete – durch die der Vertrag erweitert statt aufgehoben wurde –, brachen in Bagdad riesige Demonstrationen aus. [44] Geführt von Schülern und Studenten radikalisierten sich die Proteste sehr schnell durch brutale Unterdrückung. Am 26. Januar 1948 feuerte die Polizei auf unbewaffnete Demonstranten und tötete viele:

Die Demonstranten rückten vor, trotz der Verluste scheinbar entschlossen, die Brücke zu überqueren. Einen Moment verlor die Polizei ihre Selbstgewissheit und zögerte. Ein paar Minuten später jedoch wurde eine Salve Schüsse abgefeuert. Nur ein 15 Jahre altes Mädchen, Adauijja al-Falaki, die eine Fahne trug und an der Spitze der Kolonne lief, überquerte die Brücke unversehrt. [45]

Die Proteste hatten schnell Erfolg. Salih Dschabir, Iraks erster schiitischer Ministerpräsident, wurde zum Rücktritt gezwungen, und die irakische Regierung weigerte sich, den Vertrag anzuerkennen, den er unterschrieben hatte.

Neu an dieser Bewegung war nicht ihr verzweifelter Mut, sondern dass ihr Kern aus militanten Arbeitern bestand. Dem Aufstand vom Januar 1948 folgten mehr als zwei Jahre wachsender Arbeiterkämpfe. Im Jahr 1946 trug ein wichtiger Streik von Ölarbeitern in Kirkuk wesentlich dazu bei, die Bewegung zu radikalisieren. Das Selbstbewusstein der Arbeiter der Irakischen Erdölgesellschaft (Iraq Petroleum Company), es mit der Regierung und dem Konzern aufzunehmen, spiegelte ein wachsendes Gefühl der Militanz in der Gewerkschaftsbewegung wider.

Als die großen Straßenproteste von 1948 abebbten, kam es nach wie vor zu wichtigen Streiks. Eisenbahnarbeiter streikten im März und April, während Postarbeiter im April und Mai die Arbeit niederlegten. [46] Im April streikten die Ölarbeiter der Irakischen Erdölgesellschaft erneut und forderten Lohnerhöhungen von 25 bis 40 Prozent. [47] Die Kommunistische Partei spielte die Hauptrolle bei der Organisation des Streiks, dessen Zentrum die K3-Pumpstation war. Das Streikkomitee organisierte Streikposten rund um die Uhr mit 3.000 Streikenden so effektiv, dass die Produktion vollständig zum Erliegen kam. Ein Streikführer erklärte später. „Mit einem Wort: Auf K3 war am 23. April, wenn man so will, die Diktatur des Proletariats errichtet worden.“ [48]

Um die Streikenden auszuhungern und wieder an die Arbeit zu zwingen, unterbrachen der Konzern und die Regierung schließlich die Lieferung von Lebensmitteln und die Wasserzufuhr zur Pumpstation, die inmitten von hunderten Kilometern Wüste lag. Darauf organisierten die Arbeiter einen Marsch auf Bagdad, das 250 Kilometer weit entfernt lag. Obwohl sie schließlich aufgehalten und kurz vor ihrem Ziel verhaftet wurden, wurde der „Große Marsch“ der K3-Arbeiter schnell zum Stoff für eine Legende. [49] Die Beziehung zwischen dem nationalistischen und dem Klassenkampf war ein Hauptfaktor, die Dynamik des Massenprotests aufrechtzuerhalten, wie Marion Farouk-Sluglett und Peter Sluglett beschreiben:

Fast alle Äußerungen von Opposition durch die organisierte Arbeiterschaft während der 1940er und 1950er Jahre verbanden in der Regel Forderungen nach höheren Löhnen und besseren Lebensbedingungen mit dem Kampf um nationale Unabhängigkeit, und häufig richteten sich die Streiks und Demonstrationen gegen britische Konzerne und Konzerne, die von Briten kontrolliert waren. Dadurch wurde die Arbeiterbewegung politisch klarer und auch effektiver als ihre Zahl, ihr Zusammenhalt oder ihr scheinbarer Mangel an ökonomischem Gewicht vermuten lassen würden.“ [50]

Die Forderungen der Bewegung spiegelten das Zusammenwachsen der antikolonialen, demokratischen und ökonomischen Kämpfe wieder: die Zurückweisung des Vertrags mit Großbritannien, eine Untersuchung der Unterdrückung der Demonstrationen, die Auflösung des Parlaments und die Forderung nach Neuwahlen, demokratische Freiheiten, Organisationsfreiheit für politische Parteien und die sofortige Verbesserung der Lebensmittelversorgung. [51]

Der Kriegsausbruch in Palästina erhöhte die Spannungen. Solidaritätsproteste für die Palästinenser hatten in den vorangegangenen Jahren an Kraft gewonnen. Die Liga gegen Zionismus, die von jüdischen Mitgliedern der Kommunistischen Partei geführt wurde, hatte viele frühere Proteste organisiert. Im Jahr 1948 waren die Kommunisten jedoch zeitweise wegen der Anerkennung des israelischen Staats durch die UdSSR desorientiert. Gleichzeitig ließ die Regierung bei einer groß angelegten Razzia hunderte Aktivisten verhaften und Fahd und andere kommunistische Führer im Januar 1949 hinrichten.

Nach einer kurzen Flaute Anfang der 1950er Jahre gewann die Bewegung neuen Schwung mit der Intifada, dem Aufstand von 1952. Äußere Ereignisse trugen nun zum Druck auf das alte Regime bei. Die Verstaatlichung des iranischen Öls durch Ministerpräsident Mohammed Mossadegh 1951 und Nassers Aufstieg zur Macht in Ägypten belebten die nationalistische Bewegung erneut. Die Verkündung einer Land- und Sozialreform in Ägypten wurden zum Ansporn der Bewegung im Irak. [52] Unter dem zunehmenden Druck von unten verkündete Nuri Said, mehrfach Ministerpräsident und eine Schlüsselfigur im alten Regime, dass seine Konstitutionelle Einheitspartei eine Wahlrechtsreform fordere.

Ein Spalt hatte sich in den Mauern des Establishments geöffnet und die Massenbewegung strömte erneut durch die entstehende Lücke. Studentenstreiks zu lokalen Fragen verwandelten sich schnell in Massendemonstrationen mit dem Ruf nach direkten, freien Wahlen. Arbeiter schlossen sich den Protesten an, die eine scharfe antiimperialistische Stoßrichtung behielten:

[Am 22. November] brachen die Demonstranten, denen sich Arbeiter von den Kasimainfabriken angeschlossen hatten, die zufällig einen halben freien Tag hatten, in die Büros des US-amerikanischen Informationsdienstes ein und verbrannten Unterlagen und Bücher und setzten die Büros der Iraq Times und der britischen Fluggesellschaft BOAC in Brand. Sie griffen auch eine Polizeistation an, setzten sie in Brand und töteten vier der Polizisten, die sich in der Station aufhielten. [53]

Die Regierung verhängte umgehend das Kriegsrecht und verbot alle politischen Parteien. Der Regent gab jede Vortäuschung von Demokratie auf und herrschte durch Verordnungen. Die Unterdrückung verschaffte dem alten Regime eine Atempause von einigen Jahren, obwohl sie nicht die Wiederaufnahme kommunistischer Aktivitäten verhinderte, die die Bewegung der Friedenspartisanen gründeten. Die Kommunisten versuchten auch, eine gemeinsame „Nationale Front“ mit den nationalistischen Parteien, der Istiklal (Unabhängigkeit) und den Nationaldemokraten, zu bilden. [54]

Mitte der 1950er Jahre sprang die Unzufriedenheit auch auf die Armee über. Die Suezkrise radikalisierte eine ganze Generation Offiziere, die durch Nassers Erfolg in Ägypten inspiriert waren. Die Gründung des antisowjetischen Bagdad-Pakts 1955 trieb ebenfalls viele zur Rebellion. Die nationalistischen Offiziere waren allerdings noch eine kleine Minderheit innerhalb der Armee, vielleicht zwei Gruppen mit insgesamt 200 Anhängern. [55] Es zeigte sich, dass diese Hand voll Männer ausreichte, um der irakischen Monarchie den Todesstoß zu versetzen. Am 14. Juli 1958 putschten die Freien Offiziere. Armeeeinheiten marschierten zum Königspalast, wo der König und der Kronprinz getötet wurden. Nuri Said wurde durch eine wütende Menge zu Tode geschleift, als er als Frau verkleidet zu fliehen versuchte.

Die Monarchie war am Ende. Eine paar Granatsalven hatten gereicht, sie abzuschütteln. Abgesehen von dem kläglichen Widerstand der Wachposten an Nuris Haus, hatte sich keine einzige Hand zu ihrer Verteidigung gehoben. [56]

 

Die Freien Offiziere an der Macht

Statt den revolutionären Prozess zu beenden, markierte der Putsch der Freien Offiziere den Beginn einer noch tieferen Krise. Die großen Demonstrationen, mit denen der Putsch vom Juli 1958 begrüßt worden war, bildeten das Muster für das nächste Jahr. In dieser ganzen Zeit dominierten die Kommunisten und ihre Verbündeten die Straßen jeder großen Stadt. Im April 1959 nahmen an kommunistisch geführten Demonstrationen nach einigen Berichten bis zu einer Millionen Menschen teil, für ein Land von rund 6,5 Millionen Einwohnern ein außergewöhnlich hoher Grad der Bevölkerungsmobilisierung. [57]

Die Freien Offiziere waren nicht in der Lage diese Massenbewegung zu führen, im Gegensatz zu den Kommunisten, die über ein Netzwerk von erfahrenen Aktivisten im ganzen Land verfügten. Die Offiziersbewegung war klein, politisch unerfahren und gespalten. Den neuen Führern des Iraks fehlte ein konkretes eigenes Programm, und sie mussten sich durch andere auf die Massenbewegung beziehen. Wie Marion Farouk-Sluglett und Peter Sluglett argumentieren, die Armeeoffiziere, die den Putsch angeführt hatten, waren kein einheitlicher Körper:

Den neuen Machthabern fehlte sowohl Erfahrung als auch eine gemeinsame Ideologie, weshalb grundsätzliche Fragen wie nach der Befehlsgewalt, nach der künftigen Form der Regierung und des politischen Systems ungelöst blieben. Die Parallele zu Ägypten in den ersten paar Monaten nach dem Juli 1952 ist auffällig. [58]

Die Freien Offiziere standen innerhalb weniger Tage nach der Machtübernahme vor ihrer ersten Herausforderung von Seiten der Linken. Als die Monarchie zusammenbrach, organisierten kommunistische Parteiaktivisten bewaffnete Widerstandzellen in ganz Bagdad. Abd al-Karim Kassem, Iraks neuer Präsident und die beherrschende Figur der Freien Offiziere, erließ umgehend ein Gesetz, das die Bildung von bewaffneten Gruppen außerhalb des Staats verbot. Da Kassem jedoch über keine eigene politische Basis verfügte, musste er im August 1958 die Bildung der „Volkswiderstandskräfte“ zulassen – im Wesentlichen kommunistische Widerstandszellen unter anderem Namen. Die Kommunistische Partei dominierte den neuen Verband, der innerhalb weniger Wochen nach seiner Gründung 11.000 junge Männer und Frauen als eingetragene Mitglieder zählte. [59]

Als die politische Krise sich beschleunigte, mehrten sich in ihrem Gefolge die Zeichen sozialer Revolution. Durch neue Gesetze wurden die Mieten um 20 Prozent gesenkt, der Preis für Brot fiel um ein Drittel, und der Achtstundentag wurde eingeführt. Arbeiterlöhne stiegen um bis zu 50 Prozent im ersten Jahr der neuen Republik. [60] Diese Veränderungen waren eine direkte Antwort auf das wachsende Selbstbewusstsein der organisierten Arbeiter. Obwohl die Gewerkschaften bis 1959 formell nicht legalisiert waren, trafen sich am Abend des 14. Juli 1958 Gewerkschaftsaktivisten, um die Gewerkschaftskomitees wiederzubeleben und ihr Untergrundnetzwerk neu zu organisieren. Die wichtigste Kraft in den Gewerkschaften war wiederum die Kommunistische Partei, die Anfang 1959 in die Führung fast aller legalen Gewerkschaften gewählt wurde. [61]

Auf dem Land verstärkte sich Druck von unten verbunden mit Reformen von oben. Kassem beschränkte die Macht der Großgrundbesitzer und organisierte die Umverteilung von tausenden Hektar Land an die Bauern. Die Landreform konnte mit der Radikalisierung auf dem Land kaum Schritt halten. In Kut und Amara begannen Bauern den Grundbesitz der Scheichs zu plündern und das Land zu besetzen. [62]

Ereignisse außerhalb der Grenzen des Iraks trugen zu dem wachsenden Krisengefühl bei. Gamal Abd al-Nasser war in Syrien nach dem Zusammenschluss von Syrien und Ägypten zur Vereinigten Arabischen Republik (VAR) im Februar 1958 in einen bitteren Kampf mit der Kommunistischen Partei verwickelt. Nasser wurde als Held verehrt, der sich den alten Kolonialmächten im Konflikt um den Suezkanal 1956 widersetzt hatte, und er hatte sich der Sowjetunion stärker angenähert, obwohl er die Kommunisten in Ägypten verfolgen ließ. [63] Sobald die Freien Offiziere die Macht erobert hatten, organisierten radikale Nationalisten einschließlich der Baathpartei eine Kampagne, um den Irak mit Nassers VAR zu vereinigen.

Weder Kassem, der kein Bedürfnis hatte, die Präsidentschaft über den Irak an Nasser abzutreten, noch die Kommunisten, die argumentierten, dass der Eintritt in die VAR das Ende der schwer errungenen demokratischen Freiheiten des Iraks bedeuten würde, unterstützten die Forderung nach völliger Einheit. Die IKP organisierte riesige Demonstrationen, um Kassem als „einzigen Führer“ der irakischen Revolution zu feiern, und hoffte, auf diese Weise Unterstützung für ihn als Gegengewicht zu Nasser aufzubauen. [64] Als Kassem mit seinem Vizepräsidenten Abd al-Salam Aref zusammenstieß, der engere Beziehungen zur VAR unterstützte, warfen die Kommunisten ihr Gewicht voll und ganz hinter Kassem, obwohl Aref die Verstaatlichung der irakischen Ölindustrie forderte. [65]

Im September wurde Aref von Kassem abgesetzt und im November stand der ehemalige Vizepräsident vor Gericht und war von der Todesstrafe bedroht. Dass Aref in Ungnade gefallen war, interpretierte die Auslandspresse als Zeichen für die wachsende Macht der Kommunisten – Journalisten beeilten sich, ihrer Leserschaft mitzuteilen: „Der Irak wird rot“. [66] Durch die Flure des Außenministeriums in Washington gingen die besorgten Worte vom „Roten Fruchtbaren Halbmond“ um. [67] US-amerikanische Marineinfanteristen waren bereits im Juni 1958 in den Libanon geschickt worden, um den rechten maronitischen Präsidenten Camille Chamoun zu stützen. US-amerikanische Kriegsschiffe kreuzten im Golf, während das Pentagon Atomwaffenalarm gab. [68]

Lokale und internationale Spannungen überschnitten sich im März 1959 in Mossul. Die ölreiche Stadt im Norden Iraks war bekannt für ihren sozialen Konservativismus – kommunistische Organisationen waren in Mossul schwächer als in Bagdad oder Basra. Die politische Stimmung in Verbindung mit der Nähe der Stadt zur syrischen Grenze machte sie zu einem möglichen Ziel für nationalistische Offiziere, die gegen Kassem und für Nasser waren. Anfang 1959 begannen Gerüchte die Runde zu machen, dass die Garnison von Mossul einen Putsch gegen Kassem plane. Daraufhin riefen die kommunistisch geführten Friedenspartisanen für den 6. März zu einer großen Demonstration auf. Rund eine Viertelmillion Menschen marschierten an diesem Tag durch die Straßen von Mossul, wieder unter der Parole: „Kein Führer außer Abd al-Karim Kassem!“

Während die letzten Demonstranten am folgenden Tag die Stadt verließen, brachen Kämpfe zwischen Unterstützern der Baathpartei und den Kommunisten aus, die der Auslöser für den erwarteten Putsch wurden, der die Rückendeckung der VAR hatte. Die Rebellion wurde schließlich durch den „Volkswiderstand“ und Truppenteile, die Kassem gegenüber loyal geblieben waren, niedergeschlagen, aber nicht bevor sich die Kämpfe in Mossul entlang ethnischer und religiöser Bruchstellen ausgebreitet hatten. Dennoch verlief die Hauptspaltung in dem Konflikt entlang der Klassenfrage:

Arabische Soldaten verbündeten sich nicht mit den arabischen Offizieren, sondern mit den kurdischen Soldaten. Land besitzende Stammesführer der kurdischen Al-Gargarijja verbündeten sich mit den Land besitzenden Stammesführern der arabischen Schammar ... die Armen und die Arbeiter der arabischen muslimischen Stadtviertel ... stellten sich an die Seite der kurdischen und aramäischen Bauern gegen die arabisch-muslimischen Landbesitzer. [69]

Als der Irak in den Bürgerkrieg abglitt, mobilisierte die KP am 1. Mai hunderttausende zu einer Demonstration in Bagdad. Demonstranten forderten Kassem auf, der IKP Posten in der Regierung zu geben. Als er sich weigerte, war die IKP allerdings schlecht vorbereitet. Dies war der Moment einer wirklichen Krise – würde die IKP gegenüber Kassem offen die Machtfrage stellen? Die Partei gab eine Erklärung heraus, in der sie versicherte, dass die IKP weiterhin „ihre ganzen verfügbaren Energien und Kräfte bedingungslos der Revolutionsregierung zur Verteidigung der Republik gegen Bedrohungen und gegen die Gefahr von Verschwörungen und Aggression zur Verfügung stellt“. [70]

Der letzte Schlag kam in Kirkuk im Juli 1959. Kassem gab nach und gestand IKP-Unterstützern einen Platz in seinem Kabinett zu, was sich allerdings als bedeutungsloser Sieg erwies. Während er sie einerseits als Kabinettsminister begrüßte, war Kassem gleichzeitig damit beschäftigt, die Armee von IKP-Unterstützern zu säubern. [71] Gewalttätige Auseinandersetzungen in Kirkuk am Vorabend des Jahrestags der Revolution wurden als Anlass zu umfangreichen Razzien genommen. Die turkmenische Minderheit, die traditionell das politische Leben in Kirkuk bestimmt hatte, sah sich jetzt einer Kampfansage einer kurdisch-dominierten IKP gegenüber. Über die Festlegung einer Demonstrationsstrecke zum ersten Jahrestag der Revolution brachen Kämpfe aus. Dutzende wurden getötet, die meisten waren Turkmenen. Eine Welle von Verhaftungen von IKP-Aktivisten folgte, während die Parteiführung hin- und herschwankte. Parteiführer kritisierten die Ereignisse in Mossul und distanzierten sich von denen, die an dem Gewaltausbruch teilgenommen hatten. [72]

Daraufhin folgte ein umfassender Versuch, die IKP zu zerschlagen. Kassem legalisierte eine kleine konkurrierende Fraktion an Stelle der echten IKP und begann mit einer Kampagne gegen die Führung der IKP in den Gewerkschaften. Parteizeitungen wurden verboten und IKP-Aktivisten wurden zum Ziel nationalistischer Schlägertrupps. Die kommunistischen Unterstützer in der Regierung wurden einer nach dem anderen aus dem Kabinett entlassen. [73]

Trotz einer kurzen Atempause im Herbst 1959 schwand der Einfluss der IKP weiter. Die Baathpartei wurde selbstbewusster. Ein junger Baathaktivist, Saddam Hussein, beteiligte sich an einem Anschlagsversuch gegen Kassem 1959. Obwohl der Anschlag fehlschlug, waren die Baathisten innerhalb von vier Jahren in der Lage, Kassem zu stürzen und tausende von kommunistischen Aktivisten abzuschlachten, womit sie das Blutbad General Pinochets in Chile um ein Jahrzehnt vorwegnahmen.

 

Schlussfolgerungen

Wieso kamen die irakischen Kommunisten der Machtübernahme so nahe und scheiterten dennoch? Eine wesentliche Rolle hatte die sowjetische Führung gespielt. Im Jahr 1959 war ein Botschafter aus Moskau eingetroffen, um der IKP-Führung mitzuteilen, sie könne von der UdSSR keine Hilfe erwarten, sollte sie versuchen, die Macht zu ergreifen. Trotz dieses Drucks von außen debattierte das Politbüro der IKP die Möglichkeit, mit Kassem zu brechen, eine Minderheit war für den „Mut zum Sieg“ und die Machtübernahme. [74] Das Problem, vor dem sie standen, war, dass die Partei 1958 während des ganzen Jahres keine politischen Vorbereitungen für solch einen Kampf getroffen hatte. Die Partei mobilisierte hunderttausende Arbeiter und Bauern unter der Parole der nationalen Einheit und nicht für ihre eigenen Klassenforderungen. Statt darum zu kämpfen, den sozialen Gehalt des nationalistischen Kampfes zu stärken, versuchten die Kommunisten im Wesentlichen, die Risse in dem klassenübergreifenden Bündnis zu glätten. Als Abd al-Salam Aref die Verstaatlichung der irakischen Ölindustrie in Betracht zog, war es der prokommunistische Wirtschaftsminister Ibrahim Kubba, der den multinationalen Konzernen versicherte, ihre Investitionen seien in sicheren Händen. [75]

In den Augen der Parteiführung war die irakische Revolution von 1958 eine bürgerlich-demokratische Revolution, nicht der Auftakt zur sozialistischen Revolution. Deshalb setzte die Partei ihre Hoffnungen darauf, Kassem zu beeinflussen, statt sich auf die Übernahme der Macht vorzubereiten. Der beschränkte Fortschritt, den die Republik repräsentierte, musste um jeden Preis gesichert werden. Im November 1958 versuchte die IKP, ihr Bündnis mit den nationalistischen Parteien neu zu beleben, obwohl ihre ehemaligen Partner, die Nationalisten und die Baathisten, sich nach rechts entwickelten.

Nur aus der Perspektive des Iraks betrachtet, schienen die Kommunisten kaum eine andere Wahl zu haben, als an ihrem Bündnis mit Kassem und den nationalistischen Offizieren festzuhalten. Iraks kleine Arbeiterklasse hätte auf sich gestellt keine sozialistische Gesellschaft aufbauen können. Allerdings war der entscheidende Faktor, wie Trotzki schon sehr viel früher in Bezug auf Russland festgestellt hatte, nicht die absolute Größe der Arbeiterklasse, sondern die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen den Ökonomien der „Entwicklungsländer“ und dem Herzen des kapitalistischen Systems. Die Ereignisse im Irak gehörten zu einem viel umfassenderen Muster antikolonialer Revolte und Arbeiterkämpfe, die das Potenzial hatten, sich in eine systematische Kampfansage an das kapitalistische System zu entwickeln. Dieses Potenzial gab es trotz der ursprünglichen Ziele eines Großteils der antikolonialen Bewegung, der sich auf die Frage der nationalen Befreiung und Demokratie konzentrierte. Dort, wo die Arbeiterklasse und nicht die Bourgeoisie die führende Rolle im Kampf für nationale Befreiung spielte, trug die antikoloniale Revolte den Keim der sozialistischen Revolution in sich. [76]

Die Revolution im Irak wäre ohne die Krise in der gesamten Region nicht denkbar gewesen. Besonders die Ereignisse in Ägypten, wo eine Massenbewegung das alte Regime schon 1952 zerstört hatte, hatten entscheidend zur Entwicklung der Bewegung im Irak beigetragen. Nassers Aufstieg zur Macht, und besonders sein Widerstand gegen Großbritannien, Frankreich und Israel während der Suezkrise von 1956, hatten wesentlichen Anteil an der Radikalisierung von Offizieren in der irakischen Armee. [77] Der Erfolg der nationalen Befreiungsbewegung in Ägypten erhöhte auch den Druck auf Großbritannien und erschwerte die erneute Befestigung seiner Kontrolle im Irak.

Der Einfluss Ägyptens ging aber noch tiefer. Obwohl die Arbeiterbewegung Ägyptens nicht in der Lage war, aus der Krise Nutzen zu ziehen, indem sie die Kontrolle über den Staat übernahm, war die organisierte Arbeiterklasse maßgeblich an der Zerstörung des alten Regimes beteiligt. [78] Der Sturz der ägyptischen Monarchie im Juli 1952 war mindestens ebenso den Textilarbeitern von Mahalla al-Kubra und Schubra al-Chajma zu verdanken wie Nassers Freien Offizieren. Obwohl Nasser im Sommer 1952 versuchte, die ägyptische Arbeiterbewegung mittels Repression zu zerschlagen, hatte er die Gewerkschaften nicht völlig zähmen können. Streiks und Arbeiterproteste setzten sich bis Mitte der 1950er Jahre fort. Tatsächlich trieb die Notwendigkeit für ein Programm sozialer Reformen, das den Erwartungen der Massenbewegung gerecht wurde, Nasser weiter in die Konfrontation mit dem Imperialismus. [79] Staatlich kontrollierte nationale Entwicklung und besonders die Kontrolle von entscheidenden Einrichtungen wie dem Suezkanal waren ein wesentliches Element in Nassers Strategie. So hatte die Suezkrise, die eine solch wichtige Rolle bei der Destabilisierung des alten Regimes im Irak spielte –auch ihre Wurzeln im Klassenkampf in Ägypten.

Ein Sieg der irakischen Arbeiterklasse hätte den Arbeiterkämpfen im ganzen Nahen Osten Selbstbewusstsein verleihen können. In jedem Fall wäre dadurch ein scharfer Konflikt mit Nasser heraufbeschworen, aber auch der Druck auf das Regime der ägyptischen Freien Offiziere erhöht worden, indem solch ein Sieg die ägyptische Arbeiterbewegung neu belebt hätte. Irakische Arbeiter hätten auch Verbündete in Syrien gefunden, wo die Gewerkschaftsbewegung nach der ägyptisch-syrischen Vereinigung von 1958 Nassers Versuche bekämpfte, sie staatlicher Kontrolle zu unterstellen. Gerade die Sektoren der syrischen Ökonomie, die am engsten mit dem Irak verbunden waren, hatten in dieser Zeit den militanten Kern der syrischen Gewerkschaftsbewegung gestellt. Die Arbeiter der Irakischen Erdölgesellschaft in Syrien spielten eine zentrale Rolle in den Kämpfen der 1950er und 1960er Jahre.

Die Bedrohung durch eine imperialistische Intervention war ein mächtiger Faktor, die Führung der IKP von der Konfrontation mit Kassem abzuhalten. Nach dem Putsch vom Juli 1958 landeten britische Fallschirmjäger in Amman, um König Hussein vor seinen eigenen unzufriedenen Offizieren zu schützen. US-Truppen wurden an der türkischen Grenze zum Irak zusammengezogen. [80] Dennoch griffen sie nicht ein, um die irakische Monarchie wieder herzustellen. Erst 1967 fühlte Israel, der neue Marionettenstaat der USA, sich militärisch und politisch stark genug, einen Militärschlag gegen wichtige arabische Staaten zu führen.

Durch die Ausweitung des Kampfes im Irak über die vom Nationalismus gesetzten Grenzen hinaus hätte die Massenbewegung tiefere Wurzeln schlagen können und sie wäre gestärkt worden. Die Kommunisten im Irak mussten einen hohen Preis für die Erfahrung zahlen, dass die Revolution, solange sie diese Grenzen nicht überschritt, weder ihren demokratischen Charakter bewahren noch wirksamen Widerstand gegen den Imperialismus bieten konnte. Kassems Angriff auf die Kommunisten folgte schließlich der Putsch der Baathisten. Als die Massenbewegung abgeebbt war, wurde Kassems Isolation offensichtlich. Einmal an der Macht, erwies sich die Baathregierung als sehr viel aufmerksamer gegenüber den Interessen des Imperialismus als ihre Vorgängerin, trotz aller Rhetorik von „Sozialismus“ und „arabischer Einheit“.

Die Ereignisse von 1958 zu untersuchen, hat nichts mit Nostalgie zu tun. All die Fragen, die durch die revolutionäre Krise im Irak aufgeworfen wurden, werden heute im Nahen Osten immer noch gestellt. Was ist die entscheidende Kraft im Kampf gegen den Imperialismus? Wie sieht die Verbindung zwischen dem Kampf um nationale Befreiung und dem Kampf gegen den Kapitalismus aus? Wie können die einfachen Menschen der Region sowohl ihre eigenen repressiven Herrscher als auch die imperialistischen Mächte besiegen? Die Massenproteste von 2002 in Solidarität mit den Palästinensern und die Welle von Demonstrationen von 2003 gegen den Krieg im Irak zeigen, dass im Nahen Osten eine neue Generation auf der Straße ihren politischen Ausdruck gefunden hat. Die Lehre, die aus den 1940er und 1950er Jahren gezogen werden muss, lautet, dass sowohl der organisierten Arbeiterschaft als auch der revolutionären Führung die entscheidende Rolle zukommt, nationalistische und demokratische Forderungen in eine Bewegung zu verwandeln, die die gesamte imperialistische Ordnung herausfordert.

 

 

Anmerkungen

Ich möchte Dave Renton und John Rose für ihre Anmerkungen zum Entwurf dieses Artikels danken. Bei den meisten Details habe ich mich sehr stark auf Hanna Batatus monumentale Studie über diese Zeit, The Old Social Classes and the Revolutionary Movement of Iraq, Princeton 1978, gestützt. Verweise darauf ziehen sich durch den ganzen Text, aber alle, die an der Geschichte der irakischen Arbeiterklasse interessiert sind, sollten das ganze Buch lesen.

1. Peter Sluglett und Marion Farouk-Sluglett beschreiben die Morde an und Verhaftungen von Kommunisten nach dem Putsch der Baathisten von 1963 als eine „gut koordinierte Kampagne“. Sie ergänzen: „Es ist so gut wie sicher, dass diejenigen, die Razzien auf Häuser von Verdächtigen durchführten, nach Listen vorgingen. Darüber, wie diese Listen genau zusammengestellt worden waren, lassen sich nur Vermutungen anstellen, aber als gesichert kann gelten, dass einige Führer der Baathpartei Kontakt zu amerikanischen Gehheimdiensten hatten.“ (P. Sluglett und M. Farouk-Sluglett, Iraq Since 1958, London 1990, S. 86).

2. Einen Überblick über den Beginn dieser Periode bietet T. Cliff, The Middle East at the Crossroads, in Neither Washington nur Moscow, London 1982, S. 11–23.

3. Die beste Darstellung der Geschichte dieser Zeit in Ägypten findet sich bei Joel Beinin und Zachary Lockman, Workers on the Nile: Nationalism, Communism, Islam and the Egyptian Working Class, 1888 –1954, Princeton 1987. Zur Geschichte des Iraks siehe H. Batatu, a.a.O.

4. G. Baer, Studies in the Social History of Modern Egypt, Chicago 1969, S. 102, und T. Petran, Syria, London 1972, S. 101.

5. P. Sluglett und M. Farouk-Sluglett, a.a.O., S. 38.

6. P. Marr, The Modern History of Iraq, Boulder 1985, S. 132.

7. ebd., S. 130.

8. H. Batatu, a.a.O. S. 617.

9. A. Sampson, The Seven Sisters, London 1975, S. 83–84.

10. H. Batatu, a.a.O., S. 617.

11. ebd., S. 617.

12. P. Marr, a.a.O., S. 140.

13. T. Cliff, The Middle East at the Crossroads, a.a.O., S. 15–17.

14. Y. Nakkash, The Schi’is of Iraq, Princeton 1994, S. 133.

15. S. H. Longrigg, Iraq 1900–1950, Oxford 1953, S. 123.

16. Nach dem neu verhandelten Vertrag sollten die beiden wichtigsten Luftstützpunkte Habbanija und Schuajba gemeinsam von der RAF und der irakischen Luftwaffe kontrolliert werden. Siehe hierzu M. Khadduri, Independent Iraq 1932–1958, London 1960, S. 262–265.

17. Kanzlei, Bagdad, an die Ostabteilung, Außenministerium, 16. Juli 1946, FO 371/52315/E 7045, zit. n. P. Sluglett und M. Farouk-Sluglett, a.a.O., S. 309.

18. ebd. S. 40.

19. P. Marr, a.a.O., S. 136.

20. P. Sluglett und M. Farouk-Sluglett, a.a.O., S. 38.

21. H. Batatu, a.a.O., S. 551.

22. Beispielsweise wurde Mohammed al-Sader, ein schiitischer Führer des Aufstands von 1920 gegen Großbritannien, vom Regenten an die Spitze einer Regierung gestellt, deren Aufgabe war, den Aufstand von 1948 niederzuschlagen (H. Batatu, a.a.O., S. 557).

23. M. Khadduri, a.a.O., S. 270.

24. H. Batatu, a.a.O., S. 411–414.

25. ebd., S. 508–509.

26. M. Khadduri, a.a.O., S. 360.

27. H. Batatu, a.a.O., S. 605.

28. ebd., S. 617.

29. ebd., S. 1169, 1204.

30. ebd., S. 648.

31. Y. Nakkash, a.a.O., S. 127.

32. ebd., S. 133.

33. ebd.

34. D. McDowell, A Modern History of the Kurds, London 2000, S. 297.

35. Siehe ebd., S. 298–299, zur Linkswendung der DPK.

36. H. Batatu, a.a.O., S. 1177.

37. ebd., S. 897

38. ebd., S. 897.

39. ebd., S. 1213.

40. ebd., S. 1215.

41. ebd., S. 899.

42. M.S. Agwani, Communism in the Arab East, Bombay 1969, S. 117.

43. H. Batatu, a.a.O., S. 545.

44. Der neu ausgehandelte Vertrag wurde von den meisten Irakern nicht als große Verbesserung gesehen. Für den Fall des Krieges „oder drohende Feindseligkeiten“ wurde vom irakischen König verlangt, die britischen Streitkräfte in das Land „einzuladen“. Aneurin Bevan, der Beauftragte der britischen Regierung, schien über die feindliche Haltung gegenüber dem abgeänderten Vertrag überrascht gewesen zu sein (M. Khadduri, a.a.O., S. 266).

45. H. Batatu, a.a.O., S. 557.

46. ebd., S. 563.

47. P. Sluglett und M. Farouk-Sluglett, a.a.O., S. 40.

48. H. Batatu, a.a.O., S. 625.

49. ebd.

50. P. Sluglett und M. Farouk-Sluglett, a.a.O., S. 41.

51. M. Khadduri, a.a.O., S. 271.

52. ebd., S. 278.

53. ebd., S. 283.

54. P. Sluglett und M. Farouk-Sluglett, a.a.O., S. 43.

55. ebd.

56. H. Batatu, a.a.O., S. 803.

57. M. S. Agwani, a.a.O., S. 123.

58. P. Sluglett und M. Farouk-Sluglett, a.a.O., S. 52.

59. H. Batatu, a.a.O., S. 849.

60. ebd., S. 841.

61. U. Dann, Iraq under Qassem 1958–63, London 1969, S. 123–124.

62. H. Batatu, a.a.O., S. 834.

63. J. Stork, The Soviet Union, the Great Powers and Iraq, in R. Fernea und W. Louis (Hsg.), The Iraqi Revolution of 1958: The Old Social Classes Revisited, London 1991.

64. U. Dann, a.a.O., S. 109.

65. M. S. Agwani, a.a.O., S. 118.

66. U. Dann, a.a.O., S. 108.

67. Der „Fruchtbare Halbmond“ ist ein halbkreisförmiger, fruchtbarer Landstrich, der sich vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf erstreckt.

68. P. Marshall, Intifada: Zionism, Imperialism and Palestinian Resistance, London 1989, S. 79.

69. H. Batatu, a.a.O., S. 869.

70. M.S. Agwani, a.a.O., S. 127.

71. P. Sluglett und M. Farouk-Sluglett, a.a.O., S. 70.

72. M.S. Agwani, a.a.O., S. 130.

73. ebd., S. 138–140.

74. H. Batatu, a.a.O., S. 901–902.

75. M. S. Agwani, a.a.O., S. 118.

76. Für eine genauere Diskussion dieser Idee siehe Tony Cliffs Deflected Permanent Revolution, London 1986. Außerdem J. Rees, The Democratic Revolution and the Socialist Revolution, International Socialism 83, London Sommer 1999, S. 22.

77. P. Sluglett und M. Farouk-Sluglett, a.a.O., S. 47.

78. A. Alexander, From National Liberation to Social Revolution: Egypt 1945–1953, in D. Renton und K. Flett (Hsg.), New Approaches to Socialist History, Bristol 2003.

79. Eine kurze Darstellung von Nassers schwieriger Beziehung zu den USA, seiner Hinwendung zur UdSSR und dem staatskapitalistischen Entwicklungsmodell, das sie bot, findet sich bei P. Marshall, a.a.O., S. 77.

80. P. Marshall, a.a.O., S. 80.

 


Zuletzt aktualisiert am 8 February 2010