John Molyneux

 

Marxismus und die Partei

 

7. Die revolutionäre Partei heute

 

1. Die Theorie der Partei seit dem Krieg

Wir haben jetzt die Entwicklung der marxistischen Theorie der Partei verfolgt von Marx’ ursprünglich Begründung der Idee eine Partei der Arbeiterklasse, durch Lenins Vorstellung einer Avantgarde-Partei, Rosa Luxemburgs Betonung auf der Kreativität der Massen, Trotzkis einsame Verteidigung des Leninismus bis Gramscis Analyse des Kampfs um Hegemonie. Unsere Darstellung ist jetzt im wesentlichen fertig, denn seit Trotzki und Gramsci hat es keinen größeren Beitrag zur Theorie der Partei gegeben.

Der Grund für diese Stagnation ist nicht schwer zu finden. Die Periode seit dem Zweiten Weltkrieg ist vom dauerhaftesten Aufschwung in der Geschichte des Kapitalismus dominiert worden, die zum großen Teil zur reformistischen Integration der Arbeiterklasse geführt hat. Zermalmt zwischen der relativen Passivität der Arbeiterklasse und der toten Hand der stalinistischen „Orthodoxie“, wurde der echte Marxismus sozusagen in den Untergrund gezwungen. Die wenigen, die sich für das Ziel der internationalen proletarischen Revolution engagierten, wurden notwendigerweise damit beschäftigt, die Grundsätze des Marxismus (die Rolle der Arbeiterklasse, die Arbeitswerttheorie, die Widersprüche des Kapitalismus) zu verteidigen und die größeren Änderungen, die in der Welt stattfanden (die Erscheinung des Staatskapitalismus, die permanente Rüstungswirtschaft, die Änderungen im Imperialismus), zu begreifen. Es fehlte ihnen die praktische Erfahrung des revolutionären Kampfs, die eine weitere Entwicklung der marxistischen Theorie der Partei entweder möglich oder dringend machen würde.

Entstanden sind jedoch mehrere nichtmarxistische Alternativen zur revolutionären Arbeiterpartei als Mittel dazu, den Sturz des Kapitalismus zu erringen. Die Periode nach dem Krieg hat die Wiederbelebung verschiedener formen des Voluntarismus, des Spontaneismus und der Volksfrontpolitik erlebt., aber alle sind bei der Prüfung der Praxis gescheitert. Der Voluntarismus bekam seinen extremsten und wichtigsten Ausdruck in der Theorie, daß eine Revolution durch eine kleine, aber entschlossene Bande von ländlichen Guerillas durchgeführt werden könnte, ohne darauf zu warten, bis die objektive Bedingungen sich reiften, und ohne die Mobilisierung der Masse der Arbeiterklasse. [1] Aber nach ihrer ursprünglichen spektakulären Erfolg in Kuba [2], konnte die Strategie der guerillaistischen foco in Lateinamerika keine Fortschritte machen und zerschlug sich schließlich im bolivianischen Dschungel 1967 mit dem Tode Che Guevaras. Noch hatte der Versuch, die Methode zu erhalten, aber ihren Schauplatz in die Stadt zu verlagern, wofür die Tupamaros von Uruguay als Beispiel dienten, mehr als vorläufigen Erfolg. [3] Der Spontaneismus – die Ablehnung der Organisation, der Autorität und vor allem der politischen Partei – war großenteils ein Produkt der Studentenrevolte, die Ende der 1960er Jahre sich über die Welt verbreitete. Aber die höchste Errungenschaft dieser Phase der Bewegung, die französischen Maiereignisse von 1968, war auch die überzeugendste Demonstration ihrer Unzulänglichkeit. Gerade wegen der Abwesenheit [des Fehlens] einer revolutionären Massenarbeiterpartei konnte die Kommunistische Partei Frankreichs die Militanz des großen Generalstreiks dämpfen, einen faulen Kompromiß mit De Gaulle arrangieren und die akute gesellschaftlich Krise entschärfen fast so rasch, wie sie entstanden war. [4] Schließlich wurde die Strategie der Volksfront und des friedlichen Übergangs zum Sozialismus wieder auf den Prüfstand in Form der Volkseinheitregierung von Salvador Allende in Chile gestellt mit katastrophalen Folgen, die allen bekannt sind. [5]

Diese Demonstration des Bankrotts dieser Alternativen (und die gerade zitierten Fälle sind bloß die deutlichsten vieler Beispiele) hat sich mit der raschen Vertiefung der Krise des Weltkapitalismus und dem darausfolgenden Aufstieg des Kampfs der Arbeiterklasse während des letzten Jahrzehnts verbunden, um die Aufmerksamkeit auf der marxistischen Theorie der Partei wieder zu konzentrieren.. Das Ergebnis ist einerseits das Erscheinen von mehreren Studien, die sich dem Ausgraben der marxistischen Tradition über die Frage der Partei widmen und auf Perspektiven für die Gegenwart andeuten, [6] und andererseits die Entstehung in verschiedenen Ländern von ziemlich großen Organisationen (nicht Massenparteien, aber groß genug, um einen ernsthaften Anfang zu bilden), die das Ziel haben die revolutionäre Partei aufzubauen. Als Weiterführung und Systematisierung des ersteren Projekts und als Hilfe zum letzteren wird dieses Werk betrachtet. Was deshalb übrigbleibt, besteht darin, die Hauptprinzipien der marxistischen Theorie der Partei zusammenzufassen, wie sie aus dieser Studie ihrer Entwicklung gezogen worden sind, und auf die wichtigsten Punkte für ihre Anwendung heute anzudeuten.

 

 

2. Die wichtigsten Merkmale und Aufgaben der revolutionären Partei

Die Rolle, Aufgaben und Organisationsformen der Partei sind nicht ein für allemal und für alle Orte festgelegt; sie müssen sich notwendigerweise aus der konkreten Situation stammen, worin die Partei arbeitet, und sich zu ihnen anpassen. Nichtsdestotrotz können wir auf der Basis von über 125 Jahren des Kampfes folgende Verallgemeinerungen machen:

Das Klassenwesen der Partei. Die revolutionäre Partei muß eine Arbeiterpartei sein. Dieses elementare und grundsätzliche Prinzip, das von Marx festgestellt wurde, muß noch einmal wiederholt werden, weil es oft in den letzten Jahren vergessen bzw. ignoriert worden ist. Die Partei muß proletarisch sein nicht bloß im sinne, daß ihr Programm ein klarer Ausdruck der sozialistischen Aspirationen [Hoffnungen] der Arbeiterklasse ist, sondern auch in ihrer gesellschaftlichen Zusammenfassung und im Feld ihrer tagtäglichen Aktivitäten. Keine Guerillabande, Bauernbewegung, Studentenbewegung oder Gruppierung von Intellektuellen, egal wie schön ihr Programm sein mag, kann als Ersatz für eine Partei mit ihren Wurzeln in der industriellen Arbeiterklasse dienen. Eine junge Organisation, die, wie oft der Fall ist, herausfindet, daß ihre Zusammensetzung überwiegend kleinbürgerlich ist, muß sich mit aller Kraft durch Selbstkritik und Selbstverwandlung bemühen, um den Übergang zur Arbeiterpartei zu schaffen.

Die Partei als Avantgarde [Vorhut]. Die Notwendigkeit einer Partei entsteht aus der ungleichmäßigen Entwicklung der Arbeiterklasse und die Partei zielt sich nicht darauf, die ganze Klasse (die in „normalen“ Zeiten von der bürgerlichen Ideologie beherrscht wird) umzufassen, sondern seine klassenbewußte Vorhut. Dieser Punkt, der von Lenin festgestellt wurde, ist so oft verzerrt und falsch interpretiert worden, daß er folgender Klarstellung bedarf: Die Partei ist eine Vorhut, aber die Vorhut ist nicht eine winzige Elite, die außerhalb der Hauptmasse der Klasse steht; sie besteht aus den Hunderttausenden von Arbeitern, die tatsächlich die Klasse in ihren tagtäglichen Kämpfen in den Betrieben, in den Gruben, in den Büros, in den Wohngebieten und auf den Straßen führen, sie hinkt nicht hinterher, sondern von innen führt, nicht von außen.

Die Partei ist eine Kampforganisation. Diese hat zwei Aspekte. Erstens behauptet die Partei ihre Führung der Klasse nicht als Recht, sondern muß darum kämpfen, indem sie konkrete Vorschläge für Aktion über jede Frage produziert, vor der die Arbeiterklasse steht, von der kleinsten Frage der Bedingungen in einer Fabrik bis zu den größten Frage der internationalen Politik. Die Partei muß in der Praxis, im Kampf beweisen, das sie die beste Verteidigerin der Interessen der Arbeiterklasse und aller Ausgebeuteten ist. Zweitens muß die Partei sich schließlich auf den Klassenkampf in seiner akutesten Form, den Massenaufstand ausrichten. Das heißt nicht, verfrüht eine paramilitärische Haltung in so einer Weise anzunehmen, daß man die Legalität der Partei aufopfert, was sie daran hindert, ihre grundsätzlicheren Aufgaben im tagtäglichen Kampf durchzuführen, sondern bedeutet, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt man vorsichtige Vorbereitungen macht und die Art Organisation schafft, die rasch zu einer militärischen Stellung übergehen kann. Weil in diesen Weisen die Partei eine Kampforganisation ist, hat sie keinen Platz für eine Schicht von passiven Karteileichen oder privilegierten sicheren Bürokraten. Ihre Mitglieder müssen aktiv sein und bereit dazu, sich aufzuopfern, und wird deshalb wahrscheinlich jung sein.

Demokratischer Zentralismus. Keine nützliche Verallgemeinerungen kann man über spezifische Organisationsstrukturen machen – diese müssen äußerst flexibel sein –, aber zu sagen, daß das Parteiregime Demokratie und Zentralismus miteinander verbinden muß, ist nicht bloß eine organisatorische Formel, vielmehr fließt es unmittelbar aus den Aufgaben der Partei und dem Wesen des Klassenkampfs. Die Demokratie ist wesentlich, weil die Partei nicht der Herr der Arbeiterklasse, sondern ein Werkzeug ihrer Selbstbefreiung ist. Ohne Demokratie und freie Diskussion gibt es keine Weise, wie die Partei Politiken formulieren kann, die wirklich die Bedürfnisse der Arbeiterklasse treffen und die konkrete Situation passen. Der Zentralismus ist wesentlich, weil die Partei einen bitteren Kampf gegen einen hoch zentralisierten Feind – den kapitalistischen Staat – durchführen muß. Ohne Einheit in Aktion, wie jeder Gewerkschafter weiß, ist die Niederlage unvermeidlich.

Was den demokratischen Zentralismus betrifft, gibt es zwei Gefahren, worunter neue und bislang kleine Organisationen wie die meisten auf der revolutionären Linken überall in der Welt heute besonders wahrscheinlich leiden könnten. Die erste ist die Gefahr, daß eine kleine Gruppe, bestenfalls das Embryo der Partei, die ganze Palette der Verwaltungsstrukturen, die eine Massenpartei passen würden, adoptiert und dadurch lächerlich kopflastig wird. Die zweite ist die Gefahr, daß, besonders wenn die Organisation den Übergang von der Propaganda zur Agitation machen muß, man ultrademokratisch ist und alle Fragen ohne Ende diskutiert. Die Partei ist keine Diskussionsrunde – sie diskutiert, um eine Entscheidung zu treffen, und führt dann diese Entscheidung in einer einheitlichen Weise durch.

Die Unabhängigkeit der Partei. Die Partei nimmt ihre Stellung auf dem marxistischen Prinzip als Vertreter der historischen Interessen der Arbeiterklasse – sie muß nie ihre Unabhängigkeit irgendwelcher anderen politischen Kraft, ob offen bürgerlich, reformistisch oder zentristisch, aufopfern. In keiner weise schließt das jede Menge Bündnisse, Kompromisse, vorläufige Vereinbarungen usw. mit anderen Organisationen, aber sie schließt das Aufgeben des Rechts auf freier Kritik, einer eigenen politischen Linie und einer getrennten Organisation aus. Das gilt auch im extremen Fall des Entrismus in oder der Angliederung an eine größere Partei (z.B. die britische Labour Party). Die Abhängigkeit, man muß sich daran erinnern, muß nicht notwendigerweise eine Frage der formellen Vereinbarungen bzw. Beschränkungen sein. Die britische Kommunistische Partei z.B. ist formell eine unabhängige Organisation, trotzdem ist sie politisch an die „linken“ Gewerkschaftsführer und die „linken“ Labour-Abgeordneten gebunden. eine marxistische Partei darf sich nie unkritisch irgendeinem populistischen Demagogen bzw. prominenten Linksreformisten anschließen, egal wie radikal.

Die Partei und die Unabhängigkeit der Arbeiterklasse. Die Partei ist die Vorhut [Avantgarde] der Klasse und muß ihre Unabhängigkeit aufrechterhalten, aber ihr Ziel ist die Einheit der Arbeiterklasse. Drei Sachen folgen daraus. Erstens muß die Partei als Frage des strengsten Prinzips unerbittlich gegen alle Trennungen in der Arbeiterklasse kämpfen – Trennung aufgrund der Rasse, der Nationalität, zwischen Männern und Frauen, zwischen ausgebildeten und ungelernten Arbeitern, zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen, zwischen Alten und Jugendlichen usw. –, die so eifrig von der herrschenden Klasse gefördert werden und mittels deren sie ihre Macht bewahrt. Zweitens darf die Partei ihre Existenz als getrennte Organisation die von der Klasse in ihrem tagtäglichen Kampf gegen Unternehmer und Staat benötigte Einheit stören lassen. Aus diesem zwingenden Erfordernis stammt die Strategie der Einheitsfront mit reformistischen Organisationen, aber diese Strategie (gültig in vielen, aber allen Umständen) ist bloß ein Ausdruck des allgemeinen Prinzips, die As Verhältnis der Partei mit allen anderen politischen Tendenzen in der Arbeiterklasse regelt – getrennt marschieren, zusammen schlagen. Drittens muß die Partei, obwohl sie sich gegen Abschwächung ihres Programms und ihrer Politik unter Druck von rückständigen Arbeitern schützen, sich auf gar keinen Fall von diesen Arbeitern absperren und muß jeden Weg ausnutzen, um sie zu erreichen. Also, solange Millionen Arbeiter in reaktionären Gewerkschaften bleiben, muß die Partei in diesen Gewerkschaften arbeiten, egal wie heimtückisch und korrupt ihre Führung ist. Solange die Masse der Arbeiter Illusionen über sozialdemokratischen Parteien behält, muß die Partei zur Unterstützung dieser Partei gegen die offen bürgerlichen Parteien drängen, so daß die Illusionen durch die Erfahrung zerstreut werden. Solange die Mehrheit der Klasse ihr Vertrauen auf die parlamentarische Demokratie setzt, muß die Partei sich an Wahlen beteiligen und sie benutzen, um revolutionäre Propaganda zu machen und das parlamentarische System von innen zu unterminieren.

Die pädagogischen Aufgaben der Partei. Die Partei muß ein ständiges und komplexes [kompliziertes] Bildungswerk unternehmen. Sie muß revolutionäre Führer ausbilden, die von der marxistischen Tradition durchdrungen sind., die aber dazu fähig sind, konkrete Analysen zu machen und unabhängig zu beurteilen. Sie muß eine breite Schicht von –um Gramscis Begriff zu nutzen – „organischen Intellektuellen“ zeugen, Arbeiter mit einer klaren Vorstellung des allgemeinen Wesens des Kampfes und der Methoden, mit denen man ihn führen soll. Sie muß für die weitmöglichste Verbreitung der grundsätzlichen Prinzipien des Marxismus und des Sozialismus unter der Arbeiterklasse arbeiten, indem sie ihre Theorie in aktuelle und allgemein verständliche Beispiele und Enthüllungen in ihrer Presse und in ihrer ganzen Propaganda überträgt. In bezug auf Bildung muß man an zwei Punkte erinnern: Der Bildungsprozeß muß seinem Wesen nach überwiegend praktisch eher als akademisch sein (da das letzte unvermeidlich zur Vorherrschaft der kleinbürgerlichen Elemente führt) und, wie Rosa Luxemburg betonte, die Partei muß von den Arbeiter lernen wie auch sie lehren können. Die Partei ist die kollektive Erinnerung und Hirn der Arbeiterklasse, aber sie ist ein Hirn, der ständige Erneuerung und Aktualisierung braucht.

Der Kampf um die Hegemonie. Die Partei muß arbeiten, um alle Kräfte der Unterdrückten in einem gemeinsamen Kampf gegen den Kapitalismus unter der Führung des Proletariats zusammenzubringen. Historisch und auf einem Weltmaßstab ist diese hauptsächlich eine Frage gewesen, ein Bündnis zwischen dem Proletariat und der Bauernschaft zu verwirklichen, und jede Arbeiterpartei muß sicher machen, daß sie in ihrem Programm die Verteidigung der Interessen der armen Bauern einschließt. Zusätzlich dazu hat das letzte Jahrzehnt das Aufkommen einer Reihe von neuen Kräften erlebt – Die Schwarzenbewegung, die Frauenbewegung und die Studentenbewegung sind die wichtigsten von ihnen –, die großes revolutionäre Potential besitzen, die aber für die revolutionäre Partei bestimmte strategische Probleme stellen. Einerseits, und dieses gilt insbesondere für kleine Organisationen ohne eine starke proletarische Basis, kann die Partei sich so unkritisch und begeistert in diese Bewegungen werfen, daß sie ihrem notwendigerweise fragmentarischen Charakter erliegt und ihre grundsätzliche Arbeit in der industriellen Arbeiterklasse vernachlässigt. Andererseits kann die Partei die besonderen Probleme und Forderungen der verschiedenen unterdrückten Schichten vernachlässigen und ihre Bewegungen vor einem Ultimatum stellen, daß sie im voraus die Führung der revolutionären Partei akzeptieren, was nicht zur Einheit, sondern zur Entfremdung führt. Was deshalb benötigt wird, ist bedingungslose Unterstützung für die berechtigten Forderungen der unterdrückten Schichten kombiniert mit einem von Prinzipien geleiteten Bestehen auf der Notwendigkeit der Einheit im Kampf gegen den gemeinsamen Feind, auf dem Klassencharakter des Kampfes und auf der führenden Rolle der Arbeiterklasse. Vor allem kann der vollständige Kampf um Hegemonie, der den Nachweis der Vorherrschaft der revolutionären Kultur in jedem Bereich des gesellschaftlichen Lebens des Volkes bedeutet, wirkungsvoll nur durch eine Partei geführt werden, die schon ein beträchtliche Basis in der Arbeiterklasse gesichert hat.

Die Internationale. Das Proletariat ist eine internationale Klasse und die sozialistische Revolution ist ein internationaler Prozeß. Folglich müssen alle Merkmale einer revolutionären Partei, die wir hier aufgelistet haben, letzten Endes auf einer internationalen Ebene in einer einzigen Weltpartei verwirklicht werden. Zu gegenwärtigen Zeit existiert die Internationale nicht, noch läßt sie sich in einem Tag aufbauen. Eine „Weltpartei“, die wie die Vierte Internationale aus einer Handvoll gleichgesinnten Sekten besteht, ist eine Fiktion, die nicht eine internationale Führung mit einer wirklichen Autorität erzeugen kann. Andererseits wird eine Föderation von im Grunde genommen heterogenen Organisationen, wie die Erste Internationale, im entscheidenden Augenblick auseinanderfallen. Die Dritte Internationale wurde auf der Basis der Autorität der Russischen Revolution gebildet, aber man kann nicht passiv auf einer Wiederholung dieser Reihenfolge von Ereignissen warten. Wie läßt sich dann die Internationale aufbauen? Zur Zeit besteht der einzige Kurs darin, daß die bestehenden revolutionären Organisation sich an praktischer Zusammenarbeit wo auch immer möglich beteiligen und ständig ihre theoretischen Positionen austauschen, so daß allmählich auf der Basis dieser gemeinsamen Arbeit und unter der Wirkung der Ereignisse engere Verbindungen und größere politische Homogenität erreicht werden kann. Aber diese Arbeit muß mit der klaren Perspektive durchgeführt werden, daß ihr Ziel die Schaffung einer neuen revolutionären Arbeiterinternationale ist. Denn der Aufbau von revolutionären Parteien und ihre internationale Vereinigung sind jetzt die wichtigsten und dringendsten strategischen Aufgaben, vor denen Revolutionäre überall in der Welt stehen. Wenn das nicht erreicht wird, wird die Arbeiterklasse nicht zu ihrem Gunsten die Krise des Kapitalismus lösen können, die jeden Tag akuter wird.

Zum Schluß: Durch alles, was die Partei ist und macht – der Faden, der alle ihre wichtigen Merkmale zusammenbindet –läuft das Streben danach, die Theorie und die Praxis zu vereinigen. Die Partei besteht, um die allgemeinen Ziele des Sozialismus in konkrete praktische Aktivitäten zu übertragen und um jeden unmittelbaren Kampf mit dem Endziel zu verbinden. Durch die Partei informiert die Theorie – die materialistische Auffassung der Geschichte, die Analyse des Kapitalismus und seiner Widersprüche und das Verständnis der historischen Rolle der Arbeiterklasse – die Praxis, und durch die Partei stimuliert, leitet, prüft und verwirklicht letzten Endes die Praxis – der Kampf darum, die Welt zu ändern – die Theorie.

Wenn der Kapitalismus stabil ist und die Arbeiterklasse keine offene Herausforderung des Systems darstellt werden Theorie und Praxis unvermeidlich voneinander getrennt. Unter solchen Umständen kann man die für die revolutionäre Partei vorbereiten, sie aber nicht aufbauen. Sie bleibt eine abstrakte Notwendigkeit. Aber wenn wie jetzt das System von der Krise geplagt wird, dann ziehen sich die Theorie und die Praxis zusammen und der Aufbau der Partei wird nicht mehr eine abstrakte Aspiration [Hoffnung], sondern sowohl eine praktische Notwendigkeit als auch eine wirkliche Möglichkeit.

 

 

Anmerkungen

1. Wie Che Guevara es ausdrückte, als er das Wesen der Guerillakriegführung zusammenfaßte:

  1. Volkskräfte können einen Krieg gegen eine Armee gewinnen.
  2. Es ist nicht notwendig zu warten, bis alle Bedingungen für die Durchführung einer Revolution bestehen; der Aufstand kann sie schaffen.
  3. Im unterentwickelten Amerika ist das Land das grundsätzliche Gebiet für den bewaffneten Kampf.
    (Guerilla Warfare, New York 1961, S. 15)

2. Die kubanische Situation war außergewöhnlich in zweierlei Hinsicht: (a) das Batista-Regime war in einem Zustand der fortgeschrittenen Auflösung und des Verfalls und gab fast ohne einen Kampf auf; (b) die USA glaubten, sie könnte die Rebellen für ihre eigenen Zwecke ausnutzen und begegneten sie ursprünglich nicht mit Feindseligkeit – ein Fehler, den sie nicht wiederholten. Auch, wenn man von „Erfolg in Kuba“ spricht, soll man das nicht als den Erfolg der sozialistischen Revolution verstehen. Die kubanischen Revolutionäre selbst behaupten nicht so viel zu jener Zeit. Erst nachdem Kuba 1961 seine Wahl für den kommunistischen Block getroffen hatte, wurde die Kubanische Revolution im nachhinein „sozialistisch“. Eigentlich hieß die Abwesenheit eines erfolgreichen Kampfs um die Selbstbefreiung der Arbeiterklasse, daß die ökonomische Struktur in Kuba notwendigerweise staatskapitalistisch wurde.

3. s. Frank Roberts, The Tupamaros, International Socialism 65, London 1973.

4. s. Tony Cliff u. Ian Birchall, France: The Struggle Goes On, London 1968.

5. Für eine Analyse und Kritik der Volkseinheit von einem Teilnehmer an den Ereignissen, s. Helios Prieto, Chile: The Gorillas Are Amongst Us, London 1974.

6. Zum Beispiel: Lucio Magri, Problems of the Marxist theory of the revolutionary party, New Left Review 60, London 197?; Rossana Rossanda, Class and Party, Socialist Register 1970, London 1970; Jean-Paul Sartre, Masses, Spontaneity, Party, Socialist Register 1970, London 1970; Ernest Mandel, The Leninist Theory of the Party, London ohne Datum; Monty Johnstone, Marx and Engels and the Concept of the Party, Socialist Register 1967, London 1967; Chris Harman, Party and Class (auf Deutsch veröffentlicht als Partei und Klasse, Frankfurt/Main 1989) und Tony Cliff, Trotsky on ’Substitutionism’, in Duncan Hallas u.a., Party and Class, London ohne Datum.

 


Zuletzt aktualisiert am 6.2.2002