Phil Marshall

Islamischer Fundamentalismus

Unterdrückung und Revolution

(Teil 1)

 

Die Moslemische Brüderschaft

In Ägypten zerstreute das neue Regime rasch Illusion, daß es die westliche Kontrolle brechen oder die Demokratisierung erhalten könnte. Als der Vertreter einer ehrgeizigen ägyptischen Bourgeoisie, die die volle politische Macht in ihrem Bereich sah, war die Wafd zynisch in ihrer Handhabung der populären Streben nach der Unabhängigkeit und des Verlangens der Arbeiter nach freien Gewerkschaften, die sie versuchten, wechselweise zu führen und zu unterdrücken. Bis 1927 war die Zahl Arbeiter in den Gewerkschaften stark gesunken und Streiks waren selten. [39]

Die ulama zeigten ihre gewöhnliche Kriecherei zu denen, die an der Macht waren, und leisteten wenig Widerstand gegen modernisierende Maßnahmen, die die traditionelle Rolle des religiösen Establishments bedrohten. Ihr Status wurde auch von ihrer Unfähigkeit beeinflußt, mehr als Scheinwiderstand gegen die zionistische Kolonisation von Palästina zu leisten. Bis Mitte der 20er Jahre betrachtete man das als eine weitere Bedrohung, als einen Angriff auf die heiligen Stätten von Jerusalem und als eine Demütigung für eine moslemische Welt, die anscheinend sich auf jedem Front zurückzog.

In dieser Lage der stetigen raschen Veränderung, worin der kollektive Kampf sich abnahm und die Briten und die Bourgeoisie Ereignisse vorschrieben, gab es eine islamische Erweckung. Diese produzierte die erste fundamentalistische Bewegung: eine, die sich dazu hingab, islamische Prinzipien, die auf dem Koran und auf der umma begründet waren, durch politischen Massenaktivismus einzuführen. Die Ikhwan al-Muslimin (die Moslemische Brüderschaft) wurde 1929 vom Lehrer, Hassan al-Banna, begründet. Er war vom Sufismus und von der Tradition der islamischen „Modernisten“ beeinflußt worden. Bis Ende der 20er Jahre wurde er vom Chaos der ägyptischen Politik, vom Zynismus der Herrscher des Landes und der ulama und von der stetigen britischen Besatzung erregt, anzufangen zu predigen, das Land müßte eine Reinigung erfahren, die islamische Prinzipien erneuern würde.

Laut Banna wurde er von einer Gruppe Arbeiter aus einem britischen Militärlager angegangen [approached]. Banna behauptete, sie erzählten ihm:

Wir sind von diesem Leben der Demütigung und der Einschränkung erschöpft. Wir sehen, die Araber und die Moslems haben keinen Status und keine Würde. Sie sind nichts mehr als bloße Mietlinge, die den Ausländern gehören. Wir haben nichts außer diesem Blut ... und diesen Seelen ... und diesen wenigen Münzen. [40]

Sie baten ihn, behauptete Banna, die Führung in der Erneuerung der moslemischen Würde zu übernehmen. Er stimmte zu, eine kleine Gruppe zu gründen, die der Reform nachgehen würde, und Ägypter gegen die britische Anwesenheit und die zionistische Kolonisation von Palästina zusammenzutrommeln [rally].

Die Bewegung wuchs mit außerordentlicher Geschwindigkeit. Bis 1932 hatte sie 15 Ortsgruppen und bis 1940 500. Bei ihrem Höhepunkt in den 40er Jahren sagte man, die Brüderschaft hätte 500.000 Mitglieder und eine ähnliche Zahl Sympathisanten; sie war die größte Massenorganisation der arabischen Welt geworden. [41] Für 20 Jahre nach ihrer Gründung schien sie vielen Ägyptern, die einzige wirksame Opposition zum Imperialismus und zum Regime zu sein. In einer Periode, wo der Kampf der Wafd gegen die Briten zu Ende gekommen war, schien sie eine Antwort zu sein für diejenigen Ägypter, die glaubten, sie seien „bloße Mietlinge, die den Ausländern gehören“.

Laut Mitchell, dem Historiker der Organisation: „Die Brüder sahen sich klar in der Linie der modernen Reformbewegung, die mit den Namen Jamal al-Din Afghani, Muhammad Abduh und Raschid Rida identifiziert war.“ [42] Aber keiner von diesen Personen, behauptete Banna, hätte den wesentlichen Schritt der Organisierung der Moslems genommen, um die Identität ihres Landes und der islamischen Welt wiederherzustellen. So betrachtete sich Banna als „den Baumeister“, als „die praktische Ausdehnung der vorigen Bewegungen“, der eine „islamische Lösung“ ins politische Alltagsleben nehmen werde. [43] Das, argumentierte er, kläre die Probleme der Moslems, die den Weg verloren hätten, weil die islamische Haltung „ganz und gänzlich“ sei und das Selbstvertrauen einer Nation erneuern würde, die sich in den Materialismus und in die vom Westen verursachten Korruption hineingleite. Die Wiederbehauptung der islamischen Werte, behauptete Banna, würde Hoffnung geben, „den Willen und die Entschlossenheit“ schaffen und „die nationale Selbstachtung“ [self-respect] geben. Der Kampf für die islamische Identität fange mit dem nationalen Kampf: „Der Nationalismus“, argumentierte Banna, „in unseren Geistern erreicht den Status der Heiligkeit.“ [44]

Die Ideologie der Organisation war völlig kleinbürgerlich. Sie stellte sich der ausländischen wirtschaftlichen Kontrolle und der ägyptischen herrschenden Klasse entgegen, die sich mit dem Westen abgefunden hätten. Sie prangerte die Ausschweifungen des Kapitalismus und des westlichen Materialismus an. Aber sie griff auch „innere Feinde“ – die jüdischen und christlichen Gemeinden – und stellte sich der Idee des Klassenkampfs entgegen. Die Brüderschaft forderte die Gründung eines islamischen Staats an, der sich auf dem sharia (auf dem islamischen Gesetz) bestehe, wie im Koran und in den hadith (Traditionen, oder Muhammads Reden) festgelegt wurde. In einem solchen Staat, behauptete die Organisation, würde das Privateigentum geschützt, während es „Harmonie“ zwischen Unternehmern und Arbeitern, zwischen Grundbesitzern und Bauern gebe. [45]

Die Struktur der Organisation widerspiegelte ihre politischen Anliegen: sie war elitär und höchst autoritär, sie wurde von einem „Obersten Leiter“ geführt, eine Position, die Banna bis zu seinem Tod 1949 hielt. Mitglieder setzten halbheimliche Tätigkeit durch, die als jihad – heiligen Krieg – bekannt war. Das schloß die Verteilung von Literatur, die Gründung von Zellen, die sich darauf zielte, den Einfluß in den beruflichen Vereinen und sogar in den Gewerkschaften zu gewinnen, und terroristische Tätigkeit ein. Aber die Brüderschaft war über ihr Verhältnis mit dem Establishment verdächtig. Zu bestimmten Zeiten liebäugelte sie mit der Wafd und öfter mit dem König.

Banna wurde „heftig von der kommunistischen Lehre abgestoßen“ und war ein bitterer Gegner der linken Gruppen, die Ende der 30er Jahre aufkamen, mit denen er um den Einfluß in der Arbeiterklasse und unter den ländlichen Armen konkurrierte. [46] Die Größe der Organisation widerspiegelte seine Fähigkeit, große Massen von Bauern und Arbeitern einzuziehen, aber laut Mitchell war das „nichts mehr als ein Hintergrund [backdrop]“ zur „Vorherrschaft des Mittelstands [Kleinbürgertums] unter der aktivistischen Mitgliedschaft.“ [47] Der Kern der Organisation war eine „entstehende und selbstbewußte moslemische Mittelschicht“. [48] Während es Mitglieder aus der traditionellen Handelsklasse – Handwerker, Kleinkrämer und Händler – gab, gehörte der Hauptteil der Aktivisten dem neuen Kleinbürgertum – Angestellte, Staatsbeamte, Lehrer, Offiziere und Studenten. [49]

Die Brüderschaft widerspiegelte die Interessen einer immer noch aus den traditionellen Strukturen aufkommenden Klasse. Ihre Mitglieder waren oft die erste Generation, die dem Dorf oder dem Marktplatz entkommen waren. Sie waren immer noch zur Religion und zu den traditionellen Gesellschaftsformen gebunden. Gleichzeitig hatten sie einen Teil vom Lebensstil und vom Ehrgeiz der neuen städtischen Elite eingesaugt. Während der Massenkämpfe gegen die Briten wurden die Mehrheit hinter die Fahne der Wafd gezogen und unter Bedingungen der starken Organisation der Arbeiterklasse wären einige nach links gezogen worden. Aber unter Bedingungen, wo die Wafd von ihrem Verfahren mit dem Imperialismus gefährdet war und die Arbeiter im Rückzug waren, blühte die Brüderschaft. Unter der Bedingung der Mangel an Massenklassenaktion bat sie die Perspektive der Veränderung durch eine Wiederkehr auf wohlbekannte kleinbürgerliche Werten.

Islamische Traditionen waren fruchtbarer Boden für eine solche Haltung. Die Religion oder lieber die vielen Strömungen, die den als „Islam“ bekannten Vorstellungskomplex [complex of ideas] bildeten, hatten die Philosophie, die Geschichte, das Recht und die Literatur entwickelt; für mehr als Tausend Jahre hatten sie das gesellschaftliche und politische Leben in der Region geherrscht. Sie lieferten einen ideologischen Rahmen, in dem der Gläubige und der politische Aktivist eine Alternative zum vulgären Materialismus des Westens, zur Gewalttätigkeit der kolonialen Heeren und zum Zynismus des ägyptischen Regimes und seiner Apologeten unter den ulama finden konnten. Die islamische Tradition faßte die für eine alternative Weltanschauung notwendigen Elemente um. In den Händen der Moslemischen Brüderschaft wurde sie in eine Ideologie entwickelt, die anscheinend die Tragödie der kolonialen Demütigung erklärte und ein Muster der Veränderung lieferte.

Der Brüderschaft gelang es auch zum Teil, aus dem Kleinbürgertum auszubrechen. Sie konnte Teile der Arbeiterklasse, de Bauernschaft und der Armen eine religiöse Alternative zu ihrer schlimmen Lage anbieten, in Marx’ Worten einen „Geist“ in einer geistlosen Welt der kolonialen Besatzung, der Unterdrückung und der Armut. In diesem Sinne machte die Brüderschaft einen Durchbruch: Sie zeigte, man könnte populäre Bestrebungen anzapfen und die Energien der Massen in den religiösen Aktivismus richten.

Aber die Brüderschaft konnte nicht die neue Periode der Massenkämpfe ausnutzen, die während des zweiten Weltkriegs eröffnete. Wie während des ersten Weltkriegs machten einige Kapitalisten riesige Profite, andere wurden an die Wand gedrückt, während die Masse der Bevölkerung unter schweren Mängeln litt. Die Briten nahmen die ganze Kontrolle, verschoben den König und brachten schließlich die Idee der Monarchie in schlechten Ruf. Als die Wafd sich bereit erklärte, die Macht zu übernehmen, verlor sie auch die Glaubwürdigkeit. Ägypten trat jetzt in eine stürmische Periode ein. Gewerkschaften traten wieder hervor und es gab wiederholte Streiks und Massendemonstrationen, die wirtschaftliche Forderungen und Anforderungen einer britischen Evakuierung zusammenfügten.

Die Brüderschaft stand vor ernsthaften Schwierigkeiten. Sie hatte Konkurrenten nach links unter einer Zahl kommunistischer Gruppen, die obwohl klein eine große Auswirkung auf den Arbeiter- und Studentenbewegungen hatten und die anfingen, die Linke der Wafd zu beeinflussen. Sie verweigerte Streiks zu unterstützen, in denen ihrer Ansicht nach es linksradikalen Einfluß gebe, und bald fand sie sich offen zur Kritik, daß sie die Unternehmer und das Regime unterstütze. [50] So fand die Brüderschaft kaum einen Widerhall unter militanten Arbeitern und aktivistischen Studenten und es mißlang ihr, ihren Einfluß zu erweitern. Das vergrößerte Niveau des Massenkampfs verminderte die Anziehungskraft der Brüderschaft.

Auch der Krieg mit der zionistischen Bewegung 1948, der zur Niederlage der arabischen Armeen und zur Vertreibung der Palästinenser führte und der Unglauben und danach Wut in großen Zahlen Ägypter erzeugte, konnte nicht die Lage der Brüderschaft verstärken. 1949 wurden ihre führenden Mitglieder verhaftet und kurz danach verübte man einen Attentat auf Banna. Während die Organisation bedeutenden Einfluß weiter hatte, erholte sie sich nie von diesen Rückschlägen.

Trotzdem hatte die Brüderschaft einen größeren Stoß in der Region als Ganzen. Wenn sie einmal gezeigt hatte, sie könnte ein Pol der Attraktion in Ägypten sein, fing sie an einen Einfluß in Palästina, in Jordanien, Syrien, in Irak und in Sudan zu gewinnen. Das wurde durch die Ereignisse des 1948er Kriegs bestätigt, als die Brüderschaft eine Miliz in Palästina aufstellte, um gegen die zionistischen Heere zu kämpfen. Obwohl die Organisation schon die Grenzen ihrer Kraft in Ägypten erreicht hatte, kam ihr Ruf ihr zugute mit vielen, die Ekel über das Verhalten der arabischen Heere und über das Verlassen der Palästinenser empfanden. Während der 50er Jahre konnte die Brüderschaft kleine Organisationen in Jordanien, in Syrien und in Sudan erhalten.

 

 

Iran: die passiven ulama

Obwohl einige Ereignisse in Iran sich mit denjenigen in Ägypten und in anderen sunnischen arabischen Ländern vergleichen ließen, gab es keine Entwicklung einer Massenoppositionsbewegung. Das scheint vielleicht seltsam, weil während der Herrschaft von Reza Schah, 1923-1941, das religiöse Establishment unter ununterbrochenem Angriff stand. Der Schah begann damit, die Rechts- und Erziehungssysteme zu säkularisieren, indem er Maßnahmen einführte, die eine direkte Bedrohung der ulama waren. Als religiöse Führer das Regime kritisierten, wurden ihre Veranstaltungen auseinandergetrieben und in Zusammenstößen mit der Armee wurden Demonstranten umgebracht. Prominente ulama führten Proteste, einschließlich einem, der die Unterstützung des bazaars von Isfahan gewann. Aber immer noch organisierten religiöse Führer nicht eine vereinigte Opposition gegen den Schah. Sogar Personen wie Ajatollah Chomeini, die viele Zusammenstößen mit den Streitkräften des Regimes erlebten, blieben stillschweigend.

Die schiitischen ulama hatten anscheinend viel größere Unabhängigkeit von säkularen Herrschern als ihre sunnischen Gegenstücke. Ihre ideologische Tradition gab ihnen die Autorität direkter in politischen Sachen einzumischen, und gab ihnen anscheinend eine größere Rolle im politischen Leben. Trotzdem reagierten sie nicht auf einem Angriff, der viel heftiger war als der, der während der gleichen Periode in Ägypten losgelassen wurde. Warum?

Die höchsten Stufen des iranischen religiösen Establishments waren halbdynastisch geworden. Sie erhielten enge Beziehungen durch gegenseitige Eheschließungen mit der herrschenden Gruppe. Aber in den niedrigeren Stufen gab es weniger Abhängigkeit vom Staat, indem die Mehrheit der lokalen mullahs sich auf das Einkommen vertraute, das von der Moschee gesammelt und oft mit dem bazaar eng verbunden wurde. Als diese traditionellen Handelsklassen unter ununterbrochenem Druck standen, wie während des 19. Jahrhunderts, konnten sie dadurch reagieren, daß sie sich auf den bazaar gegen den Schah ausrichteten. [51]

Nach der Konstitutionellen Revolution trat das ganze religiöse Establishment zurück. Das war ein Ergebnis der Erleichterung des Drucks auf dem bazaar und des stark gewachsenen Niveaus des Massenengagements für die iranische Politik. Diese Tendenz war noch merklicher, als nach dem ersten Weltkrieg es eine Welle der Tätigkeit der Arbeiterklasse gab. Das stellte sowohl den bazaar und die säkularen Nationalisten auf den Rand, die, sagt Keddie, „sich vom Protest durch die Angst vor radikalen Konsequenzen abspalteten.“ [52] Während der 20er Jahre wurde der Rücktritt des Kleinbürgertums weitergeführt, als Reza Khan die Arbeiter- und Regionalbewegungen niederschlug und die Ängste sowohl der Bourgeoisie als auch des bazaars beruhigte. Er führte auch eine Reihe wirtschaftlicher Maßnahmen ein, die das einheimische Kapital verstärkten.

Die traditionellen Handelsklassen, die die Bewegung der ulama zur Massenbewegung der 1890er Jahre angetrieben hatten, fanden die Strategie des Schahs, den Staat zu verstärken, während er das private Kapital unterstützte, völlig angenehm. Außerdem, obwohl die säkularen Liberalen von der Ablehnung des Regimes, ihnen eine Rolle im politischen System anzubieten, frustriert waren, fanden sie wenig im Programm des Schahs von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reform, mit dem sie nicht einverstanden waren. Die „konstitutionelle“ Opposition, bemerkte Tabari, „wurde teils entwaffnet, weil der Schah einen Teil ihres Programms stahl.“ [53] So wurden die ulama trotz dem Angriff des Regimes auf das religiöse Establishment nicht in die politische Tätigkeit von den gesellschaftlichen Kräften hineingebracht, mit denen sie sich so eng identifizierten.

Bis Ende der 30er Jahre war das Säkularisationsprogramm des Schahs in vollem Gange. Er befahl, daß die Rechts- und Erziehungssysteme unter die Kontrolle des Staates gebracht werden sollten, was direkt die ulama herausforderte. 1936 erließ er Gesetze über die Entschleierung der Frauen, was das religiöse Establishment erboste. Aber immer noch baten die ulama keinen Widerstand. Schließlich 1941 nach der Abdankung des Schahs [54] und nach 15 Jahren des ununterbrochenen Angriffs vom Pahlavi-Regime gab es die ersten zusammenhängenden Kritiken des Regimes seitens religiöser Personen. Die kamen hauptsächlich von Ruhollah Chomeini, der dem Schah anklagte, er gäbe islamische Prinzipien zugunsten der fremden westlichen Werten auf, aber der argumentierte, die ulama unterstützen immer noch den Staat, weil „sie auch diese faule Verwaltung für besser als überhaupt keine halten.“ [55]

Trotz der ununterbrochenen Angriffe des Regimes argumentierte Chomeini, die ulama dienten immer noch als eine Stütze des Staats: „Sie halfen, die innere Ordnung zu versichern, den Aufstand zu unterdrücken und das Land vor dem ausländischen Eingreifen und Einfluß zu verteidigen.“ [56] Für Chomeini seien die ulama einen wesentlichen Bestandteil des Establishments, seine Kritiken bloß ein Protest gegen die Ausschweifungen des Schahs. In diesem Sinne widerspiegelte er die Anliegen [pre-occupations] der gesellschaftlichen Schichten, womit die mullahs am engsten verbunden waren.

Der zweite Weltkrieg brachte Besatzung durch Großbritannien und Rußland. Die Handelsklasse und Teile des Kleinbürgertums gediehen und die Arbeiterklasse wuchs. Aber es gab ernsthafte Mängel an Nahrungsmittel und Protestdemonstrationen fingen an, die von manchen unterdrückenden Gesetzen des Schahs durch die Milderung der Besatzungskräfte ermutigt wurden. Für vier Jahre nach 1942 überschwemmte eine Arbeiterbewegung zunehmender Militanz das Land. Die Triebkraft dieser Bewegung war dermaßen groß, daß sie sogar Teile des bazaars hineinzog. [57] Das Regime, jetzt unter dem Sohn von Reza Schah, Muhammad Schah, wurde zu größeren Zugeständnissen gezwungen.

Nach einer kurzen Pause Ende der 40er Jahre fuhr die Bewegung fort und eine hauptsächlich aus bürgerlichen Nationalisten und Liberalen bestehende Nationalfront-Regierung kam unter Mohammed Mossadeq an die Macht. Die radikale Haltung, die die Massen jetzt ergriffen hatte, steckte sogar religiöse Persönlichkeiten an und einige waren in der Regierung prominent. Trotz dem Bestehen der Front auf der Nationaleinheit in Hinblick auf die imperialistische Opposition zu seinem Programm der Verstaatlichung der Erdölindustrie gab es noch einmal eine Streikwelle, die sich auf alle Branchen der Industrie auswirkte. Das Land war in einer vorrevolutionären Situation und die Regierung wurde noch einmal gezwungen, Zugeständnisse zu machen, während der Schah in die Flucht gedrängt wurde.

Unter diesen Umständen waren führende ulama stillschweigend. Eigentlich unterstützten sie den Schah; die Anwesenheit führender religiösen Personen beim Hof hieß das Regime gut, das, wie Chomeini es darstellte, „besser als überhaupt keins“ sei. Aber als die Nationalfront unter Druck von der Arbeiterklasse kam und ihre bürgerlichen Elemente anfingen, in Schrecken zu geraten, trat der bazaar auch zurück, was genau den schwachen und schwankenden Charakter des Kleinbürgertums zeigte. Die religiösen Elemente in der Front zogen auch jetzt ihre Unterstützung von Mossadeq zurück und organisierten bald mit den Monarchisten, mit den Briten und mit den US für den Putsch, der 1953 erfolgreich den Schah restaurierte. Bis zur Zeit, wo die Nationalfront fiel und der Schah eine Unterdrückungskampagne gegen Arbeiter und Linke anfing, hatte das ganze religiöse Establishment sich dem Regime wieder angeschlossen.

Der Kontrast zwischen Ägypten und Iran über die 30 Jahre ab 1920 ist bedeutsam. In den beiden Ländern wurde die islamische Strömung von der Entstehung der Arbeiterbewegung auf den Rand gestellt. Aber dann erzeugten die Enttäuschungen des Kleinbürgertums in Ägypten einen Bruch mit dem religiösen Establishment. Dieser überarbeitete islamische Modernismus entwickelte eine neue aktivistische islamische Strömung. In Iran, wo die ulama traditionell stärker und homogener waren, gab es keine Spaltung und keine alternative aktivistische Bewegung hauptsächlich deswegen, weil sowohl der bazaar als auch das Kleinbürgertum mit dem Reformprogramm des Schahs zufrieden blieben. Die Moslemische Brüderschaft drängte Islam ins Zentrum der politischen Bühne und bedrohte, das ägyptische System zu destabilisieren. Im Gegensatz blieben Irans schiitische ulama offene Verbündete der Diktatur.

 

 

Arabischer Nationalismus

Die Bewegung, die jetzt das Zentrum der Bühne ergriff, war kein religiöser Aktivismus, sie war ein säkularer Nationalismus. Juli 1952 ergriffen Gamel Abdel-Nasser und die Freien Offiziere die Macht in Ägypten. Für die nächsten 20 Jahre dominierten ihre Ideen den arabischen Nationalismus.

Der 1952er Putsch war ein Beispiel des Prozesses der umgelenkten permanenten Revolution. [58] Während zehn Jahre des Massenkampfs gegen die Monarchie und die Briten, worin die bürgerliche Wafd sich als eine Verbündete des Imperialismus bloßlegte, kam die ägyptische Arbeiterklasse als die mächtigste Kraft des Landes auf. Aber der Arbeiterbewegung fehlten eine zusammenhängende Organisation und eine Veränderungsstrategie, ein Ergebnis der stalinistischen Formulierungen, mit denen die kommunistische Bewegung der Region belastet wurde. In Ägypten bestand das Ergebnis davon darin, daß, obwohl die Arbeiterklasse das stärkste Element in der antikolonialen Bewegung war, sie nicht das Regime und die Briten um die Macht herausfordern konnte und in der sich ergebenden Leere es das Kleinbürgertum war, das die Initiative ergriff.

Die Moslemische Brüderschaft war von ihrem Verhältnis mit der Wafd und mit dem Palast und von ihrer arbeiterfeindlichen [anti-working-class] Politik kompromittiert. So war es, daß aus die Armee mit ihrem Kader von ehrgeizigen und frustrierten Offizieren ein neuer Nationalismus entstand. Mit radikaleren Idealen bewaffnet gelang es ihr, den König Faruq zu versetzen und eine Republik zu erklären. Diese Ideen waren oberflächlich ein radikaler Bruch mit der Wafd und mit der Moslemischen Brüderschaft: Sie argumentierten für die Abschaffung der Monarchie, für einen Kampf gegen „den ägyptischen Feudalismus“ und „die Mißbräuche des Kapitalismus“ und für die „nationale Befreiung“ und den „arabischen Sozialismus“. [59]

Innerhalb zwei Jahre hatten sie die meisten britischen Truppen ausgeschlossen und ein Programm der Landreform und der industriellen Entwicklung angekündigt. Das gewann ihnen rasch Massenunterstützung und zog viele Elemente der ägyptischen Gesellschaft zusammen, die von der Gelegenheit für gesellschaftlichen Fortschritt ohne die Gefahren einer echten Umwälzung hingezogen wurden. [60] 1956 fand sich Nasser in Konflikt mit Großbritannien, Frankreich und Israel über die Verstaatlichung des Suez-Kanals, des Symbols der imperialistischen Herrschaft über Ägypten. Sein Erfolg war die dramatischste Niederlage für den Imperialismus im Nahen Osten seit 150 Jahren und zog Massenunterstützung in fast jedem arabischen Land. [61]

Nasser beabsichtigte, sich dem Imperialismus wirtschaftlich entgegenzusetzen, indem er Ägypten entwickelte, was es vom Westen befreien würde. Mit russischer Hilfe wurde die Schwerindustrie eingeführt und der Staat nahm die Führung in der Entwicklung einer auf der Importsubstitution gezielten Verarbeitungssektor. Für einen Jahrzehnt stieg das Prestige der Nationalisten, als sie anscheinend die Modernisierung unter ägyptischen Bedingungen errang. Aber Ägypten konnte nicht den internationalen Zwängen entkommen. Die Industrie zeigte sich als unfähig und von importierten Materien und Technologie abhängig, es gab eine Mangel von Devisen und das Land wurde in „Hilfs“-Programmen gefangen. Das Ergebnis war, daß das Problem der Verschuldung, das das Land 100 Jahre früher gequält hatte, noch einmal ein Anliegen wurde. Inzwischen blieb die Landwirtschaft rückständig. [62]

Die Beschränkungen der arabisch-nationalistischen Strategie wurden bald offensichtlich und wurden um so starrer im Gegensatz zu Nassers Versprechen des wirtschaftlichen Fortschritts gemacht. [63] Das erregte Unzufriedenheit über das politische System. Nassers Haltung hatte eine riesige und privilegierte von Freiberuflern und Technokraten beherrschte Bürokratie produziert, die den Staat im Namen „der Massen“ leitete. Es gab auch ununterbrochene Unterdrückung aller oppositionellen Strömungen. Innerhalb Wochen nach der Ankunft an die Macht hatten die Freien Offiziere ihre Haltung zur Arbeiterbewegung deutlich gemacht, indem sie symbolisch zwei Arbeiteraktivisten erhängten. Später verboten sie alle Tätigkeit von Kommunisten und von der Moslemischen Brüderschaft. [64] Auf der internationalen Ebene war Nasser auch in einer mißlichen Lage. Er hatte versucht, den Pan-Arabismus zu verwirklichen und verband Ägypten und Syrien in einer Vereinigten Arabischen Republik. Diese endete in einer Katastrophe, als Syriens Herrscher das Land daraus zurückzogen, was sie als einen Versuch betrachteten, die ägyptische Kontrolle aufzuerlegen; das war ein Schlag, wovon der Pan-Arabismus sich nie erholte.

Bis Mitte der 60er Jahre war die Wirtschaft in einer mißlichen Lage und, als das Regime Druck auf eine zunehmend ernüchterte Arbeiterschaft ausübte, wurde die frustrierte Hoffnung zur offenen Opposition. Tätigkeit unter den Arbeitern und den Studenten verstärkte sich und wurde erst von einer Periode der Spannung mit Israel und dann Juni 1967 von einem Krieg gehalten. Der Konflikt war eine Katastrophe für die nationalistische Bewegung. Die arabischen Armeen wurden von einer israelischen Kriegsmaschine zerstört, die vom Westen geliefert worden war. Die imperialistische Kontrolle der Region hatte sich anscheinend wieder ausgeübt. Nasser blieb bis zu seinem Tod 1970 an der Macht, aber unter vielen Ägyptern und unter denen durch die ganze Region, die seine Ideen angenommen hatten, gab es einen Sinn der tiefen Desillusionierung mit der nationalistischen Politik.

 

 

Nationalismus und Fundamentalismus

Die Nationalisten waren für heftige Unterdrückung der Moslemischen Brüderschaft verantwortlich und man hat sie oft als das entgegengesetzte Extrem zur fundamentalistischen Strömung betrachtet, der einen säkular, reformierend, „fortschrittlich“ und die andere mystisch, reaktionär. Tatsächlich zeigt die ägyptische Erfahrung viele Ähnlichkeiten zwischen den beiden.

Beide stützten sich auf kleinbürgerliche Unterstützung, besonders auf Freiberufler und Staatsangestellte. Beide argumentierten für eine Form des Radikalismus, die nicht die Grundstrukturen wie Eigentumsrechte stören würde. Beide betonten die Wichtigkeit der Nation und die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Harmonie. Beide waren elitär und autoritär. Trotz dem anscheinenden Säkularismus der Nationalisten teilten die beiden Bewegungen auch bestimmte Haltungen der Religion gegenüber. Für die Brüderschaft war Islam das Mittel dafür, die Identität dem Westen gegenüber zu behaupten. Für die Nationalisten wurde die Identität hauptsächlich vom „Arabismus“ ausgedrückt. Aber ein wesentlicher Teil davon war der Islam. Die Nasseristen entwickelten nie vollständig die eigene Theorie des Nationalismus. Nasser behauptete häufig, „wir haben keine Theorie“ [65], aber argumentierte oft, er habe den „Sozialismus“ und die Prinzipien des Islams zusammengefaßt [synthesised]. Die Wurzeln des arabischen Sozialismus, behaupteten die Nationalisten, „lagen tief im Boden des Islams“. [66]

Die Nationalisten betrachteten nicht den Islam als eine Kraft, die selbst die Macht hätte, Veränderung zu bringen. Das war der Punkt, wo sie sich von der Moslemischen Brüderschaft unterschieden. Aber sie glaubten, Islam sei ein wesentliches Merkmal der arabischen Nationalidentität. In diesem Sinne drückten sie wie die Brüderschaft die Werten sowohl des traditionellen als auch des modernen Kleinbürgertums aus. Das bedeutet, daß in Ägypten besonders während der 40er Jahre die Nationalisten und die Brüderschaft unter den gleichen Schichten rekrutierten. Es gab sogar einen Fluß von Mitgliedern zwischen den beiden Organisationen. Mindestens ein führendes Mitglied der Freien Offiziere war auch ein Aktivist der Brüderschaft und argumentierte wiederholt für die Vereinigung der beiden Organisationen. Anwar Sadat, der später Präsident von Ägypten wurde, hatte enge Beziehungen mit der Brüderschaft. [67]

Die beiden Strömungen hatten viel gemeinsam: die gleiche Klassenbasis, die gleichen reformistischen Ziele und im islamischen Modernismus die gleichen intellektuellen Wurzeln. Ihr Einfluß drückte den Grad aus, wozu der kleinbürgerliche Nationalismus immer noch die Reaktion gegen den Imperialismus beherrschte.

 

 

Iran: Vorspiel zur Revolution

Während der 50er Jahre wurden die Bestreben des Schahs, die Bevölkerung zu beruhigen, von der wirtschaftlichen Stabilität unterstützt. Für beinahe einen Jahrzehnt wuchs die iranische Wirtschaft, von zunehmenden Erdöleinkünften und der US-Hilfe getrieben. Aber Anfang der 60er Jahre gab es einen plötzlichen Rückschlag, als das Land von einer Rezession getroffen wurde. Viele Krämer gingen pleite und Arbeiter, Bauern und die Armen litten unter einer scharfen Preiserhöhung. Es gab Streiks und sogar eine Demonstration von Lehrern, die höhere Löhne forderten. [68] Die US wurden von der Unfähigkeit des Schahs beunruhigt, die Notwendigkeit für Veränderung zu sehen, und drängten ihm auf, sich ein Reformprogramm anzunehmen, das das iranische Kapital modernisieren würde. Dieses konzentrierte sich auf einer mäßigen Landreform, auf Veränderungen des Bildungssystems und auf konstitutionellen Einrichtungen, die den Frauen das Wahlrecht in lokalen Wahlen gaben – auf Vorschlägen, die eine aufgeregte Reaktion von den ulama brachten. Religiöse Persönlichkeiten wie Chomeini, der seit 20 Jahren stillschweigend gewesen war, betrachteten die Maßnahmen als einen direkten Angriff auf das religiöse Establishment. Die Landreform wurde als eine Bedrohung zum waqf-Eigentum und so zur finanziellen Unabhängigkeit der ulama gesehen. Sie wurde zu einer Verletzung der Unantastbarkeit des privaten Eigentums erklärt und führende religiöse Persönlichkeiten fingen an, gegen die Reform zu organisieren.

Ajatollah Burudjerdi, der führende schiitische Geistliche, der seit Jahren den Schah unterstützt hatte, starb 1961. Das war vielleicht ein Grund, warum 1963 Chomeini als der Führer einer oppositionellen Bewegung aufkam, die noch einmal religiöse und säkulare Persönlichkeiten verband. Viel wichtiger war die erneuerte Beteiligung des bazaars, der vom scharfen Niedergang Anfang der 60er Jahre bedroht wurde. Auch wichtig war die Besorgnis der Grundbesitzer, mit denen der bazaar auch Verbindungen hatte.

Der Schah kündigte einen Volksentscheid über seine „Weiße Revolution“ an. Chomeini widersetzte sich ihm und wurde als die Stimme der „schwarzen Reaktion“ und auch als „einen verlausten mullah“ angegriffen. [69] Protestversammlungen von Seminarstudenten wurden von der Armee aufgelöst und ein großer Teil des religiösen Establishments trat in den formellen Widerstand zu einem Regime, das laut Chomeinis Beschreibung jetzt aus „Ungläubigen und Heiden“ bestehe. [70] Als er verhaftet wurde, brachen Demonstrationen in den größeren Städten aus, die Armee intervenierte und tötete Hunderte von Protestierenden. Chomeini wurde nach einer Zusicherung befreit, daß er aus der Politik zurücktrete. Er machte mehrere versöhnliche Reden, aber nach einem späteren Ausbruch gegen ein Gesetz, das den US-Streitkräften in Iran Straffreiheit gab, wurde er verbannt. Dieses Mal gab es keine Massenprotesten.

Für die nächsten 15 Jahre war Chomeini im Exil. Während dieser Zeit machte seine Haltung zur Politik eine grundsätzliche Wandlung durch und durch diese Umwandlung brachte er einen wichtigen Teil des iranischen religiösen Establishments zu einer Position der permanenten Widerstand gegen das Regime. Er griff das Regime als Diener des Imperialismus an und erklärte, man sollte es stürzen. Zum ersten Mal arbeitete er eine Theorie des islamischen Staats aus, der, argumentierte er, die Pahlavis ersetzen sollte. Ein solcher Staat würde vom islamischen Gesetz geregelt werden, wie es die ulama erklärte. Indem sie zu den Prinzipien der ersten umma zurückkehrte, würde die iranische Gesellschaft sich reinigen.

1969 gab Chomeini ein Reihe Referate vor Studenten in Nadjaf, einem der Zentren der schiitischen Lehre und seinem Exilplatz. Später veröffentlicht als ein Buch unter dem Titel Velayat-e faqih (Herrschaft des Rechtsgelehrten), machten sie nicht nur den Ziel klar, einen gereinigten moslemischen Staat zu erringen, sondern die Mittel, mit denen er zu erreichen sei. Bakhash bemerkt, das Buch sei „ein Plan für die Neubildung der Gesellschaft ... ein Handbuch der Revolution“ [71], weil es darauf bestehe, daß alle Gläubigen für den Sturz der Pahlavis arbeiten sollten. „Wir haben keine andere Wahl, außer böse Regierungen oder Regierungen, die die Bosheit hervorrufen, zu meiden und Herrscher zu stürzen, die verräterisch, böse, grausam und tyrannisch sind,“ argumentierte er. [72] Er war in die gleiche Richtung getreten, die Banna 40 Jahre früher genommen hatte, aber war viel weiter gegangen. Während Banna sich formell dem ägyptischen Regime entgegensetzte, aber immer noch hoffte, den Einfluß drinnen zu gewinnen, setzte sich jetzt Chomeini dem ganzen iranischen System. Und während Banna mit dem sunnischen Establishment in Ägypten gebrochen hatte, forderte Chomeini mit seiner starken Basis innerhalb der ulama das ganze religiöse Establishment auf, mit ihm gegen den Schah zu treten.

Zuerst war Chomeinis Fortschritt vorsichtig und er machte seine Strategie nicht öffentlich bekannt. Obwohl diejenigen, die seine Referaten besuchten oder seine Bücher lasen, die Möglichkeit hatten, die ganze Bedeutung seiner Anforderung für einen von den Geistlichen beherrschten islamischen Staat zu begreifen, hatte die Masse der Iraner das nicht. In Flugblättern und Broschüren und in Reden, die für Verteilung auf Band aufgenommenen wurden, war Chomeini vorsichtig, sich nur mit den Beschwerden der Iraner gegen den Schah zu identifizieren. [73] Diese entschlossene Verheimlichung seiner Ziele war mit der schiitischen Tradition konsequent. Taqiyya, die Heuchelei oder die Verheimlichung der wirklichen Absichten in ungünstigen Umständen war von Generationen der religiösen Aktivisten in Praxis umgesetzt worden. Chomeini wußte, eine Forderung nach der Herrschaft der Geistlichen hätte nicht Massenunterstützung gewonnen. Seine Strategie war deshalb oppositionelle Strömungen jeder Art zu entwickeln in der Hoffnung, daß er später ein Bündnis unter seiner Führung schmieden könnte. Innerhalb von zehn Jahren war er tatsächlich der Führer einer Bewegung der Massenopposition. Um seine Triumphe und die Gründe dafür zu verstehen, warum Ägyptens Fundamentalisten noch einmal anfingen, Bedeutung zu gewinnen, ist es notwendig eine andere Seite der Politik der Region anzugucken: das Schicksal der kommunistischen Bewegung.

 

 

Kommunistische Bewegung in Ägypten

Man hatte kommunistische Parteien nur in einer Handvoll der Länder der Region gegründet, bevor die Entartung der Komintern unter Stalin die ganze revolutionäre Tradition revidierte. Zwei von diesen Ländern waren Ägypten und Iran, wo sich kleine Organisationen in der Periode nach dem ersten Weltkrieg entwickelt hatten.

Die Kommunistische Partei Ägyptens (KPÄ) war zu spät gegründet worden, um sich aus den Kämpfen der Nachkriegsperiode aufzubauen. Bis zur Zeit, wo sie völlig gegründet wurde, hatte die Welle der Tätigkeit der Arbeiterklasse, die 1919 anfing, sich in einen Abschwung gewandelt. Das machte es viel schwieriger, eine Organisation der Art aufzubauen, die notwendig war, um einer selbstbewußten Bourgeoisie zu widerstehen, die, nachdem sie die Unabhängigkeitsbewegung dominiert hatte, bereit war, sich bei der ersten Gelegenheit gegen die Linke zu wenden. Noch dazu war die politische Entwicklung, die notwendig war, um eine marxistische – abgesondert von einer gemischten reformistisch-syndikalistischen – Strömung zu gründen, noch nicht vollständig durchgeführt worden, als die KPÄ sich bildete, und die Organisation war weit davon entfernt, klar in seiner Haltung zum bürgerlichen Nationalismus und zur Wafd zu sein. [74]

Die Unterdrückung der Arbeiterbewegung und der KPÄ ließ den Nationalisten die politische Szene beherrschen. Aber Großbritannien besetzte Ägypten immer noch und es gab weitverbreitete Opposition zur Kollaborationspolitik der Wafd. In gerade dieser politischen Leere wuchs die Moslemische Brüderschaft schnell und wurde zur aktivsten Opposition des Landes. Eigentlich ist das bemerkenswerteste am Wachstum der Brüderschaft die Tatsache, daß es fast vom Moment datierte, wo die Kommunisten mit ihrer Arbeit aufhörten.

Kommunistische Organisationen erschienen nicht wieder bis Ende der 30er Jahre. Bis zur Zeit, wo eine Reihe Diskussionsgruppen sich in drei kleinen Organisationen vereinigten [75], gewann die Arbeiterklasse an Selbstbewußtsein und ab Mitte der 40er Jahre dominierte sie immer noch die ägyptische Politik. Bis 1946 strömten Studenten und Arbeiter zu den Kommunisten als den einzigen unabhängigen Organisationen des Landes zu. Aber diesmal war es die subjektive Faktor, die die Kommunisten zum Scheitern führte. Organisationen wie die Demokratische Bewegung für die Nationalbefreiung (DMNL) hatten seit der Stalinisierung der Komintern entwickelt und die Politik der Volksfront angenommen – Begriffe wie Etappentheorie, Bündnisse und Blöcke und Unterordnung der Interessen der Arbeiterklasse denen anderer Klassen. Trotz der Energie und des Engagements der jungen Kommunisten konnten sie nicht den Weg nach vorne für die Arbeiterklasse erkennen. Auf dem Höhepunkt der Streikwelle, als die Regierung gelähmt war, fehlte den Kommunisten jegliche Strategie. Wie der prominenteste Mitglied der DMNL, Henri Curiel später zuließ: „man könnte sagen, die Massen seien immer noch fertig gewesen, uns zu folgen. Aber wir wußten nicht, wohin wir sie führen sollten ...“ [76]

Die Probleme der Kommunisten wurden von ihrer Haltung zu der internationalen Frage kompliziert, die die ganze Periode des Nachkriegskampfs dominierte – zur Palästina-Frage. Die Kommunistische Partei Palästinas (KPP) hatte sich schon als unfähig bewiesen, eine revolutionäre Position zu erhalten, indem sie 1938 in jüdische und arabische Abteilungen spaltete. Als die Lage sich unerbittlich zur Vertreibung der Palästinenser und zur Erklärung eines ausschließlich jüdischen Staats bewegte, traten Kommunisten in den arabischen Ländern hinter die offizielle Moskau- Position der Unterstützung der Zionisten an. Sogar die 1948er Katastrophe, als die zionistischen Armeen die Palästinenser vertrieben und die arabischen Armeen überwanden, änderte nicht ihre Haltung. [77]

Während die Arbeiterbewegung Anfang der 50er Jahre fortfuhr, warteten die Kommunisten darauf, daß „fortschrittliche“ Teile der Bourgeoisie ihre angewiesene Rolle in einem Bündnis spielen sollten, das die Briten, die Monarchie und das „unpatriotische“ lokale Kapital austreiben sollte. Sie konnten nicht intervenieren und brachen zwar in den inneren Konflikt zusammen. Als die Freien Offiziere 1952 die Macht übernahmen, wurden die Kommunisten fast völlig verwirrt. Die DMNL unterstützte jetzt die Nationalisten als Ausdruck der erwarteten „national-demokratischen Bewegung“ [78], während die anderen kommunistischen Gruppen, die Arbeitervorhut und Al-Raya (die Fahne) die offizielle Moskaulinie unterstützten, daß die Freien Offiziere eine „faschistische Militärdiktatur“ auferlegt hätten. [79]

Sechs Monate nach dem Putsch und in Hinsicht auf der heftigen Unterdrückung seitens der Nationalisten nahm die DMNL, bei weitem die größte der Gruppen ungern die Moskauer Ansicht an und für drei Jahre waren die Kommunisten gegen das Regime vereinigt. Februar 1955 verschmolzen sie sich, um die Vereinigte Kommunistische Partei Ägyptens (VKPÄ) zu bilden. Hunderte von Aktivisten wurden jetzt verhaftet und gefoltert, aber innerhalb von Wochen, als Nasser in ein formelles Bündnis mit Moskau trat, änderte sich noch einmal die Linie. Bis März 1955 argumentierte die Partei, „die ägyptische Gesellschaft hat tiefe Veränderungen durchgemacht. Nachdem sie eine abhängige halbfeudalistische Gesellschaft war, ist sie heute unabhängig und demokratisch geworden.“ [80] In einer Erklärung mit dem Titel, „Der Imperialismus ist der Hauptfeind“, behauptete sie:

Wir unterstützen die Regierung von Abdel-Nasser in ihrer Politik des Friedens und der Unabhängigkeit mit all unserer Aufrichtigkeit und Stärke und verteidigen ihre Politik gegen alle imperialistischen Komplotte ... [81]

Die 1956er Verstaatlichung des Suez-Kanals, Nassers anti-imperialistische Rhetorik und seine Orientierung auf den Ostblock, seine Annahme davon, was ein Historiker „fast die ganze kommunistische Außenpolitiksprogramm“ nannte [82], hatten einen totalen Zusammenbruch unter der Linke produziert. Die Partei schickte sogar einen Brief an seine politischen Gefangenen, der erklärte: „Wir sind eine Partei an der Macht.“ [83] Im Verlauf des folgenden Jahres gab sie das ganze Reden über die unabhängige Organisation der Arbeiterklasse auf und betrachtete die Armee als Ausdruck der Nation und Führung der anti-imperialistischen Bewegung. Die Partei brachte ihre Tätigkeit zu Ende und bis 1964 war das Regime bereit, einen Abschluß zu bieten – man würde Frieden und eine Amnestie für alle Gefangene erklären, wenn die Partei sich auflöste und ihre Mitglieder dem Arabischen Sozialistischen Verein, der einzigen legalen Partei, beiträten. April 1964 fing die Freilassung der Gefangenen an und ein Jahr später löste sich die Partei formell auf. Für das erste Mal seit fast 30 Jahren gab es keine unabhängige kommunistische Bewegung.

Die Auflösung der ägyptischen Linke sollte einer der teuersten Fehler in der ganzen Region sein. Sein gewählter Zeitpunkt hätte nicht katastrophaler sein können. Innerhalb eines Jahrs hatte die Krise des ägyptischen Staatskapitalismus angefangen, sich zu entfalten, und der Protest der Arbeiterklasse fing an, an Schwung zu gewinnen. Bis 1967 hatte die Niederlage im Krieg mit Israel die Widersprüche der Strategie der Nationalisten unter die Nase gerieben und militante Arbeiter und Studenten suchten eine Alternative. Eine radikale Stimmung hatte das Land ergriffen, aber mit der Ausnahme von einer winzigen Zahl Individuen, die ein informelles Untergrundnetzwerk erhalten hatten, gab es schlechthin keine kommunistische Präsenz. [84] Das machte es für die militantesten Studenten und Arbeiter unmöglich, eine Strategie für die Bewegung zu entwickeln. Die größte innere Opposition, vor der der arabische Nationalismus gestanden hatte, wurde ohne eine klare Führung gelassen.

Diese politische Leere dauerte während der ganzen 70er Jahre fort. Nach Nassers Tod 1970 übernahm Anwar Sadat, einer der Gründer der Freien Offiziere, das Amt des Präsidenten. Er machte bald klar, er wollte Nassers staatskapitalistische Strategie aufgeben und Ägypten zurück ins westliche Lager zurückführen. Er führte Maßnahmen durch, um die Grundbesitzer und die Bourgeoisie wieder zu beruhigen und das arabische Kapital zu ermutigen, in Ägypten zu investieren. Aber bevor er weitere wirtschaftliche Veränderungen einführen konnte, stand er vor Problemen, die von den neuen Arbeiter- und Studentenbewegungen aufgeworfen wurden, und das Regime wurde noch einmal zu Zugeständnissen gezwungen. [85]

Bis 1972 überschwemmte eine Stimmung der Wut und des zunehmenden Selbstbewußtseins die Betriebe und die Universitäten, die der Schauplatz von riesigen Demonstrationen waren. Als die Unzufriedenheit sich in die Armee verbreitete, entschied sich Sadat für den Krieg. Er hatte seit langer Zeit eine Initiative geplant, die das ägyptische Nationalgefühl zusammenraffen, die US einziehen und Ägypten wieder ins westliche System integrieren sollte. Nach einigen Tagen von Gefechten in der Sinai erklärte er den Konflikt vorbei. Zu Hause stellte er sich als „Held der Überquerung“ (des Suez-Kanals) und Vereiniger der Nation dar. Im Ausland fing er die diplomatischen Manövrieren an, die ersinnt wurden, innerhalb von fünf Jahren ein Friedensabkommen mit Israel zu bringen und, unverzüglicher, um riesige US-Hilfe zu gewinnen. Das bahnte den Weg für das wichtigste Element seines einheimischen Reformprogramms – die intifah, die Eröffnung der ägyptischen Wirtschaft. Die intifah brachte den Abbau der nasseristischen Monopolen, die Ermutigung des privaten Kapitals und die volle formelle Wiedervereinigung der ägyptischen Wirtschaft mit ihren traditionellen Partnern, den westlichen Bourgeoisien. Sie befreite Teile der ägyptischen Bourgeoisie, die während der Nasser-Periode vom Staat am Rand gestellt worden waren. Und durch die Beseitigung fast aller Beschränkungen auf dem Außenhandel trieb sie das Zunahme der Zahl von Händlern, von Agenten, von Kommissionären [commission-dealers] und von Partnern für ausländische Firmen an, die bald vom schnellen Wachstum der Importen und der US-Hilfe profitierten. Bis Ende der 70er Jahre hatte sich diese in die „Sadat-Klasse“ befestigt, die ein Synonym für die Unehrlichkeit, für die Habgier, für den großen Reichtum und für Prestigekäufe war.

Aber während das Selbstvertrauen der Bourgeoisie zunahm, ergriff eine andere Stimmung die Masse der Bevölkerung. Es gab Mängel an Nahrungsmittel. Die Inflationsrate stieg steil, die Arbeitslosigkeit nahm zu und das Wohnungsproblem vertiefte sich. Das Tempo der Streikaktion beschleunigte sich und für zwei Jahre gab es Auseinandersetzungen in allen wichtigen Industriezentren. [86] Die Krise spitzte Januar 1977 zu, als innerhalb von wenigen Stunden nach der Ankündigung von Kürzungen der Nahrungsmittelsubventionen Streiks in Helwan und Kairo anfingen, Fabriken besetzt wurden und große Zahlen Arbeiter und städtischer Armen bald die Polizei konfrontierten. Das Land wurde lahmgelegt und Sadat machte noch einmal Zugeständnisse, aber er konnte nicht einen Aufstand des ganzen Lands gegen sich verhindern. Erst nach drei Tagen, als Sadat einen zuverlässigen Teil der Armee fand, um die Demonstrationen niederzuschlagen und die Fabriken in Ordnung zu bringen, fingen die Abnahme der Aktivitäten an. [87]

Der Januar-“Aufstand“ war die größte Streikbewegung, die die arabische Welt erlebt hatte. Er war ein lebendiger Ausdruck der Opposition der Massen zum Regime und der Stärke der Arbeiterklasse, die beständig seit den 50er Jahren gewachsen hatte. Seine Wirkung war solcher, daß für mehrere Tage Ägypten tatsächlich ohne Regierung war, die Polizei und die Armee verschwanden und die Aktivisten glaubten, daß sie die Fabriken und die Straßen hielten. Aber das Regime überlebte. Trotz der Angaben der Regierung, daß die Ereignisse die Arbeit von „kommunistischen Elementen“ gewesen seien, die beabsichtigten, „die Regierung zu stürzen und ein kommunistisches Regime einzuführen“ [88], glänzte die Linke durch ihre Abwesenheit.

Der Kern einer neuen Kommunistischen Partei Ägyptens war in Libanon unter den Überlebenden der Organisation begründet worden, die sich einen Jahrzehnt früher aufgelöst hatte. Diese war der Nationalen Fortschrittlichen Unionistischen Vereinigung (NPUR oder Tagammu) beigetreten, die eine der zahmen Parteien war, die Sadat 1976 legal hatte arbeiten lassen. Aber die KPÄ war klein, vorsichtig und mit der gleichen Politik bewaffnet, die 1965 zur politischen Auflösung geführt hatte. Sie war nicht nur machtlos, in die Ereignisse von Januar 1977 einzugreifen, sondern gegen jede Aktion abgeneigt, die ihren Status in einer neuen legalen Organisation bedrohen könnte. Die Jahre der linksradikalen Untätigkeit hatten eine Leere gelassen, die beständig von einer neuen Generation der islamischen Aktivisten erfüllt wurde.

 

 

Anmerkungen

39. 1922 erhob sich die Zahl der ägyptischen Gewerkschaften auf 95: bis 1927 hatte die Zahl bis 62 gesunken und die Mitgliedschaft nahm sich schnell ab. Beinin, a.a.O., S.20-1

40. Richard P. Mitchell, The Society of Muslim Brothers, London 1969, S.8.

41. ebenda, S.328.

42. ebenda, S.321.

43. ebenda, S.321.

44. ebenda, S.264.

45. Laut Banna sollte das Verhältnis zwischen Arbeiter und Unternehmer sich durch das islamische Prinzip „einer Gegenseitigkeit der Rechten und der Pflichten“ gestützt auf „der gegenseitigen Verehrung und Sympathie“ regeln. Als Ersatz für beschränkte Arbeitsstunden, für „pünktliche“ Bezahlung des Lohns und für eine reine gesunde Wohnung sollte der Arbeiter „seine Arbeit völlig und ehrlich“ machen; ebenda, S.253.

46. Der Widerwille der Brüderschaft gegen die Linke war solche, daß während der 40er Jahre sie sich mit den antikommunistischen Kampagnen der Wafd verband und einen regelmäßigen Zeitungsartikel [column] unter dem Titel: Der Kampf gegen den Kommunismus, in ihrer Zeitung veröffentlichte. Außerdem überwachten Mitglieder der Brüderschaft linksradikale Tätigkeit und gaben Nachrichten an die Regierung weiter; ebenda, S.39.

47. ebenda, S.329.

48. ebenda, S.30.

49. Eric Davis zeigt, daß von über 600 Mitgliedern, die 1954 verhaftet wurden, 70 Prozent diesen Kategorien gehörten. E. Davis, Ideology, Social Class and Islamic Radicalism, in Said Amir Arjomand, From Nationalism to Revolutionary Islam, London 1984, S.142.

50. Bis heute erinnern altgediente [veteran] Militanten sich an Bannas ausdrücklichen Befehl an seine Anhänger, daß Streiks haram – vom islamischen Gesetz verboten – seien. Aus einem Gespräch mit einem ehemaligen Arbeiter in den Schibra al-Khaima Textilfabriken in Helwan, März 1987. Militanten waren gegenüber der Brüderschaft tief feindselig, aber auch Ende der 40er Jahre genoß sie Unterstützung aus der Arbeiterklasse. Mahmoud Hussein bemerkt:

Die Moslemische Brüderschaft äußerte so das wirkliche Bestreben der Massen, die ausländischen und bürgerlichen Fesseln abzuwerfen, die sie in einem Zustand der Unterdrückung hielten ...

Sie strebte, die Notwendigkeit der Gewalttätigkeit [violent action] unter dem Proletariat zu erheben, auf dem keine existierende politische Partei irgendwelchen dauernden Einfluß ausgeübt hatte. (Mahmoud Hussein, Class Conflict in Egypt: 1945-1970, New York 1973, S 80-1 u. 98.)

51. Laut Tabari: „Unzufriedene gesellschaftliche Schichten konnten zu den schiitischen Geistlichen um Hilfe wenden und die Geistlichen konnten ihre Fähigkeit entfalten, um gesellschaftliche Unzufriedenheit als Verhandlungszähler [bargaining counter] gegen den Hof und die Bürokratie zu leiten. Wiederholt während des 19. Jahrhunderts mobilisierten sie Massen, um dem Versuch des Staats entgegenzuarbeiten, ihre Macht zu unterminieren oder zu beschränken.“ Tabari, The Role of the Clergy in Modern Iranian Politics, in Keddie, Religion and Politics in Iran, S.49.

52. N. Keddie, in Roots of Revolution, S.89.

53. Tabari, a.a.O., S.60.

54. Großbritannien und Rußland entthronten den Schah und erklärten, sein Verhältnis mit Deutschland, Irans Haupthandelspartner in den 30er Jahren, bedrohte die Sicherheit der Alliierten in der Region.

55. Shaul Bakhash, The Reign of the Ayatollahs, London 1985, S.23.

56. ebenda, S.23.

57. Bis 1946 gab es 146 Gewerkschaften, die 335.000 Mitglieder behaupteten und die Kellner, Kinowärter und sogar Arbeiter in den bazaar-Werkstätten einschlossen; s. E. Abrahamian, Iran Between Two Revolutions, Princeton 1982, S.253.

58. Um eine Darstellung der Theorie der umgelenkten permanenten Revolution zu finden, s. T. Cliff, Die umgelenkte permanente Revolution, Frankfurt a.M. 1997.

59. s. Abdel Mogny Said, Arab Socialism, London 1982, Kap.2.

60. Stephens bemerkt, die Freien Offiziere „traten als Kern einer neuen Elite aus Offizieren, Technokraten, Verwaltern, Freiberuflern und anderen Mitgliedern der Mittelschichten hervor, die mit ihren Tätigkeiten sympathisierten oder hofften, dadurch zu profitieren.“ Stephens, Nasser, London 1973, S.110.

61. Die Suez-Triumphe war ein massiver Auftrieb für Nationalisten überall in der Region, die Nasser durch die Ergreifung der Macht nachahmen wollten. Diese schlossen die Baath-Partei ein, die in Syrien und Irak stark war; die Arabische Nationale Bewegung mit ihren Stützpunkte in Libanon und Jemen; die algerische Nationalbefreiungsfront und die palästinensischen Aktivisten, die danach Al Fatah gründeten.

62. s. Clawson, The Development of Capitalism in Egypt, in Khamsin, London 1981, S.99-109.

63. Während es zuerst eine Zunahme des Lebensstandards gegeben hatte, bedeutete das schnelle Wachstum der Bevölkerung, daß während der Stagnation der Wirtschaft solche Verbesserungen rasch verschwanden. Von 1956 bis 1965 war die jährliche Wachstumsrate höher als die Geburtsrate mit 4,6 Prozent. Von 1967 sank sie auf 1 Prozent, das gleiche Niveau wie die Zunahme der Bevölkerung. Die massive ländliche Auswanderung zu den Städten betonte die daraus ergebenden Probleme; s. Lafif Lakhdar, The Development of Class Struggle in Egypt, in Khamsin, London 1978, S.51.

64. August 1952, einen Monat nach der Ankunft an die Macht bestätigte die Junta der Freien Offiziere die Hinrichtung von zwei Streikführern aus der Textilfabrik in Kafr el-Dawwar in der Nähe von Alexandria. Januar 1953 verbot das Regime alle politischen Parteien außer der Moslemischen Brüderschaft, der begünstigte Behandlung als eine „gesellschaftliche und religiöse Organisation“ gegeben wurde. Die Brüderschaft wurde schließlich Oktober 1954 verboten; s. Stephens, a.a.O., S.120 u. S.136.

65. Nasser bemerkte: „Am Anfang der Revolution hatten wir die Mut zu erklären, wir hätten keine Theorie, obwohl wir klar definierte Prinzipien hatten.“ Auch: „Wir erklärten, wir würden uns fortsetzen, eine Theorie durch Ausprobieren zu bilden;“ u. „Wir sagten weiter, wir würden Fehler machen, und wir gaben weiter zu, wir hätten keine Theorie.“ s. Said, a.a.O., S.64.

66. ebenda, S.24.

67. Mitchell, a.a.O., S.24.

68. Floor, a.a.O., S.79.

69. Bakhash, a.a.O., S.28.

70. ebenda, S.29.

71. ebenda, S.38.

72. Für das erste Mal rief Chomeini zur Gründung einer Oppositionsbewegung auf. Er war über Strategie unklar, da er behauptete, sie sollte fähig sein, das Regime von innen zu verändern oder es zu zerstören. Er erklärte: „Das Volk wird aufwachen und aktiv werden ... man wird eine Oppositionbewegung schaffen, an der alle Menschen [Männer?] der Religion und der Ehre teilnehmen werden ... Letzten Endes werden sie als Kraft in eine große Regierung eindringen, oder sie werden kämpfen und sie stürzen.“ ebenda, S.39.

73. Chomeini benutzte diesen Ansatz zum ersten Mal während der 1963er Ereignisse. Abrahamian bemerkt: „Obwohl viele Geistliche sich dem Regime wegen der Landreform und der Frauenrechte widersetzten, zeigte Chomeini einen meisterlichen Griff der Massenpolitik und machte sich Mühe über jede Menge andere Sachen [hammered away at a whole host of other concerns], die größere Empörung unter der allgemeinen Bevölkerung erregten.“ Abrahamian, a.a.O., S.425. Auch: „Chomeini erwähnte nicht öffentlich sein Werk über die Herrschaft; im Gegenteil erkannte nicht seine Begleitung [entourage] später dieses Werk an, indem sie argumentierten, es sei entweder eine Fälschung von Savak (der Geheimpolizei) oder die groben Notizen eines studentischen Zuhörers.“ ebenda, S.749. Jahre später, als Chomeini Führer der Islamischen Republik war, hatte er keine Bedenken darüber, die Urheberschaft zu beanspruchen.

74. 1921 hatten sich zwei kleine Gruppen verschmolzen, um die Sozialistische Partei Ägyptens zu bilden. Eine bestand großenteils aus Intellektuellen und Freiberuflern mit einer reformistischen Politik, die andere war eine größere Gruppierung von syndikalistischen hauptsächlich nichtarabischen Arbeitern. Im folgenden Jahr wurden die Reformisten ausgeschlossen und die Mitglieder erklärten sich zu Marxisten und gründete die Kommunistische Partei Ägyptens. Bis 1924 hatte sie etwa 1.000 Mitglieder, einige in gut organisierten Betrieben, aber sie konnte nicht den Angriffen der Wafd widerstehen, die Verhaftungen der führenden Mitglieder 1924 und 1925 einschlossen; s. Beinin, The Communist Movement and National Political Discourse in Nassirist Egypt in The Middle East Journal, Bd.41, Nr.4, Herbst 1987, u. Suliman Bashear, Communism in the Arab East 1918-1928, London 1981, Kap.7.

75. Eine Reihe Diskussionsgruppen wurde von jungen ägyptischen Juden gebildet, den Kindern der Elite, die sowohl vom Ekel über die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umstände in Ägypten als auch von der Ansicht des faschistischen Fortschritts in Europa motiviert wurden. Bis 1943 hatten diese drei kleine Organisationen produziert: die Ägyptische Nationalbefreiungsbewegung, Iskra und Volksbefreiung; s.Perrault, A Man Apart: The Life of Henri Curiel, London 1987, S.110.

76. ebenda, S.120.

77. Einige ägyptische Kommunisten versuchten, eine anti-zionistische Position zu behaupten, aber die Schaden waren schon verursacht worden und hatte ernsthafte Auswirkungen für ägyptische Juden. Ein jüdischer Kommunist bemerkte: „Der Krieg in Palästina war ein überwältigender Schlag für uns.“ ebenda, S.149.

78. Beinin, a.a.O., S.574.

79. ebenda, S.571.

80. ebenda, S.576.

81. ebenda, S.576.

82. ebenda, S.576.

83. Ein Brief, der an Gefangene in Kharga geschickt wurde; ebenda, S.577.

84. Für eine Darstellung der 1968er Arbeiter- und Studentenkämpfe s. Ahmed Abdalla, The Student Movement and National Politics in Egypt, London 1985, S.149-59.

85. Es gab massive studentische Besetzungen und Zusammenstöße mit der Polizei und mit Truppen; s. ebenda, S.176-97. Inzwischen gab es eine Reihe erfolgreicher Streiks, s. Lakhdar, a.a.O., S.67-8.

86. Zwischen 1975 und 1977 überschwemmten Streiks alle wichtigen Industriezentren. Einige, wie der Streik der Transportarbeiter von Kairo, verursachten Demonstrationen, bei denen Streikende und städtische Armen gegen die Polizei kämpften; s. ebenda, S.70-1.

87. Auch Al Ahram, die „halboffizielle“ Presse gab zu: „Die industriellen Arbeiter beliefen sich auf eine Million und bildeten die Spitze des Aufstands.“ ebenda, S.75. Für einen Bericht über diese Ereignisse s. Notes of the Month, International Socialism, Serie 1, Februar 1977.

88. Die offizielle Erklärung für die Ereignisse machte „linksradikale Agitatoren“ dafür verantwortlich und gab den Schuld dafür der vor kurzem gebildeten Fortschrittlichen Unionistischen Partei, die unter der Führung altgedienter Mitglieder der KPÄ war; s. R.W. Baker, Egypt's Uncertain Revolution Under Nasser and Sadat, Cambridge Massachusetts 1978, S.165.

 


Zuletzt aktualisiert am 14.7.2001