Phil Marshall

Islamischer Fundamentalismus

Unterdrückung und Revolution

(Teil 3)

 

Fundamentalistische Erweckung

Das Regime hatte Hunderte Aktivisten der Brüderschaft während der 50er Jahre verhaftet und viele andere wurden verbannt, die meistens nach Saudi Arabien flüchteten. Im Gefängnis bildeten sie Diskussionskreise und verbrachten Jahre in Debatten über den Charakter der modernen moslemischen Gesellschaft, über ihr Verhältnis zum Westen und über die Aufgaben, vor denen islamische Aktivisten standen. Das wurde am besten von der führenden Persönlichkeit der Bewegung, Sayyib Qutb, ausgedrückt, der gleich nach seiner Entlassung vom Gefängnis 1964 Wegweiser auf dem Weg veröffentlichte, ein Buch, das von solcher Wichtigkeit für die Fundamentalisten der sunnischen Welt war, daß laut dem ägyptischen Akademiker, Tariq al-Bishri, es „das Was Tun der Bewegung“ sei. [89]

Qutb argumentierte, Islam sei in Unordnung und die Religion gleite aus dem Leben der Volksmassen. An ihrer Stelle entwickelte einen Zustand der jahiliyya (Barbarei), der Gesellschaftsform, die in Arabien vor Muhammads Ankunft und vor der Gründung der umma existiert hätte. So sei es notwendig, daß echte [wirkliche] Moslems zum Angriff übergehen, bevor es zu spät sei.

Er betrachtete, 30 Jahre früher hätte die Brüderschaft dem Problem des Westens und der Korruption der lokalen herrschenden Gruppe begegnet, aber jetzt sei es notwendig, gegen einen verräterischen neuen Feind, gegen den arabischen Nationalismus zu kämpfen. Das sei eine politische Kraft, die formell dazu verpflichtet sei, dem Westen zu widerstehen, und die in der Vergangenheit enge Verbindungen mit der Brüderschaft gehabt, aber die Moslems irregeführt, und das Land schwächer und offener für die Plünderungen des Imperialismus gelassen hätte. Es sei das Nasser-Regime gewesen, das von der Verteidigung der Integrität der islamischen Kultur gesprochen und sie dann aufgegeben hätte; das die Begeisterung der Massen erweckt, dem Westen entgegenzutreten, und ihn bloß kopiert hätte; das erklärt, er würde Palästina befreien, und die demütigende Niederlage seitens der Zionisten erlaubt hätte. Der arabische Nationalismus hätte, kurz gesagt, vor den Mächten der Barbarei kapituliert.

Man müßte sowohl den Nationalismus als auch den Begriff des Pan-Arabismus ablehnen, behauptete Qutb. Moslems müßten sich organisieren, um die Gesellschaft zu reinigen, indem sie ihre gottlosen und ungerechten Herrscher verbannten; sie müßten bereit sein, die ganze korrupte Struktur der Gesellschaft zu stürzen und sie nach dem Gesetz Gottes neuzugestalten. Das war ein Bruch mit der früheren Strategie von Banna, der trotz seinem Reden über „die Revolution“ versuchte, den Einfluß der Brüderschaft innerhalb des Staats zu erweitern, und der heimliche Beziehungen mit dem Palast und mit der Wafd entwickelte. Für Qutb war die neue herrschende Klasse im Kern des Problems. Man müßte sie stürzen als Teil der Notwendigkeit, die Gesellschaft zu reinigen. Und das brauchte Aktion:

Wie müßte dieses islamische Wiederaufleben anfangen? Eine Avantgarde müßte sich entschließen, es in Gang mitten in der jahiliyya zu bringen, die jetzt über die ganze Erde herrschte. [90]

Die Avantgarde müßte bereit sein, das ägyptische Regime in der Weise zu kämpfen, wie die Heiden von den frühen Moslems bekämpft worden seien. Wie Keppel es darstellt: „Das Buch [die Koran] sei nicht mehr angedeutet: Es sei die Zeit des Schwerts.“ [91] Es war auch notwendig, eine viel trotzigere Haltung als die der alten Generation von Aktivisten der Brüderschaft zu nehmen, die in Übereinstimmung mit Banna viel konservativer in ihrer allgemeinen Aussicht waren. Nach einem Jahrzehnt der Kundschaft vom saudi-arabischen Regime waren sie weniger zum politischen Aktivismus geneigt. [92]

Die Veröffentlichung des Buchs, Wegweiser, beunruhigte ein Regime, das schon in Schwierigkeiten war. 1965 wurde Qutb verhaftet und ein Jahr später wurde er hingerichtet, aber sein Werk beeinflußte schon junge Männer und Frauen, die vom Ekel über das Verhalten des Regimes zur islamischen Strömung gezogen wurden und für die es keine säkularen Alternativen gab. Sie lehnten die Hauptströmung der Brüderschaft ab und schlossen sich Qutbs Anhängern wie Schukri Mustafa, dem Gründer der Gesellschaft der Moslems, an, die vom Sadat-Regime Al-takfir wa'l Higra (Exkommunikation und Entfernung) benannt wurde. [93]

Bis Anfang der 70er Jahre wuchsen solche Gruppen stets. Sie waren besonders prominent in den Universitäten, wo sie unter dem Namen gama’at al-islamiya (der islamischen Vereine) anfingen, die Nasseristen und die Linke herauszufordern. Der Erfolg der gama’at bestand aus ihrer Fähigkeit, Studenten zusammenzuziehen, für die das Stadtleben entfremdend und unbekannt war. Die Hochschulbildung hatte sich massiv unter Nasser ausgedehnt und bis der Sadat-Periode gab es etwa 600.000 Studenten in Universitäten und Hochschulen. [94] Die Mehrheit war in Kairo und Alexandria konzentriert, die besonders unfreundlich für junge Männer und Frauen einer kleinstädtischen bzw. ländlichen kleinbürgerlichen Herkunft waren, für die der Umfang der Stadt, ihre Extremen von Reichtum und Armut, ihre Korruption und Geistlosigkeit verwirrend und peinlich waren. Die gama’at-Strategie wurde sehr vorsichtig bestimmt. Sie zielten sich darauf, ein „zweites Elternhaus“ für Studenten zu sein, indem sie Wohngelegenheit, Nahrungsmittel und billige Bücher und Kleider anboten. Sie baten den Trost der Kameradschaft und einer wohlbekannten Ideologie an, die bekannte Werten und die Traditionen eines hochstrukturierten kleinstädtischen bzw. ländlichen Lebens behauptete und die eine Analyse der Verwirrung und der Korruption der breiteren Gesellschaft lieferte. [95]

Der Einfluß der gama’at war auch das Ergebnis zwei anderer Faktoren: die Mangel einer säkularen Alternative und die Haltung des Regimes. Jahr für Jahr seit 1968 überschwemmten Arbeiter- und Studentenkämpfe das Land. Tausende wurden von Streiks, von Fabrikbesetzungen, von Demonstrationen und von Schlachten mit der Armee und der Polizei radikalisiert. Während dieser Periode fehlte die Linke völlig als eine organisierte Kraft.

Inzwischen wurde vom Regime die von den Fundamentalisten gestellte Bedrohung als weniger ernst betrachtet als die der Protestbewegung selbst. So fing ab Anfang der 70er Jahre Sadat an, die Zwänge auf religiösen Aktivisten zu mäßigen, weil er sie als Gegengewicht zur Arbeiterbewegung benutzen wollte. 1971 ließ er eine Zahl prominenter Mitglieder der Moslemischen Brüderschaft frei, einschließlich ihrem Führer, Umar Talmasani, und Schukri Mustafa, dem Gründer der Gesellschaft der Moslems. Während der nächsten vier Jahre wurden alle Gefangene der Brüderschaft freigelassen in der Hoffnung, daß die Organisation sich zum Regime gewinnen ließe. Sadat wollte die fundamentalistische Bewegung zu seinen eigenen Zwecken beugen: er würde Aktivisten etwas Freiheit lassen, während er Organisationen daran verhinderte, als eine nationale Kraft wieder auftreten.

Bis 1975 war das alte Netzwerk der Brüderschaft zu einer Anpassung mit dem Regime gekommen. Sie wurde erlaubt, ihre Zeitung, Al Dawa (Der Anruf), zu veröffentlichen, die eng mit Mitgliedern verbunden war, die sich ihr Vermögen im Golf während des vom Erdöl ernährten Booms der 60er Jahre erworben hatten und die schwer in Ägypten investiert hatten, besonders seit Anfang der intifah. Al Dawa machte Propaganda für eine islamische Reform, aber bedrohte nicht das Establishment direkt. Sie wurde von führenden Anhängern von Sadat gutgeheißen und wurde auch von prominenten Personen aus der „Sadat-Klasse“ subventioniert. [96]

Unter diesen Umständen nahmen die gama’at den Mantel der „authentischen“ aktivistischen islamischen Strömung an. Auf der Basis der „vorsichtigen taktischen Zusammenarbeit mit dem Regime“ nahmen sie Verbindung mit den Universitätsverwaltungen auf und intervenierten, um linksradikale und nationalistische Proteste auseinanderzutreiben. [97] Später erlaubte das Regime ihnen, Studiumseminare und -lager zu halten, wozu sie die Hunderte Anhänger zusammensammelten. Das führte einige linksradikale Opponenten zu behaupten, die Gruppen würden von der mukhabarat, der Geheimpolizei, fundiert und organisiert, aber das Verhältnis war widersprüchlicher, weil, obwohl das Regime bereit war, den Gruppen Aktionsfreiheit zu erlauben, es nicht versuchte, sie zu kooptieren. Aber auch das würde dem Regime teuer zu stehen kommen. Wie Keppel es darstellte: „Es ist unbestreitbar, daß für eine Weile sie vom Regime ermutigt wurden, das dabei die Schlange ernährte, die sich dagegen wenden würde, um es zu schlagen. [98]

Bis 1976-77 konnten die aktivistischen Gruppen Zehntausende, überwiegend Studenten, zu Gebetsversammlungen in den größeren Städten zusammensammeln. Sie fingen auch an, sich aus den Universitätsanlagen und in die ärmsten Gebiete der Städte umzuziehen, wo sie versuchten, eine Art Gemeinschaftspolitik [community politics] in die Praxis umzusetzen, wodurch sie hofften, weiteren Einfluß zu gewinnen. Sie wählten Gebiete, die großenteils von ländlichen Umsiedlern besiedelt waren und durch die Gründung islamischer Schulen und Kliniken (ein Muster, das den Selbsthilfeorganisationen für Studenten ähnelte) zielten sie sich darauf, die Arbeitslosen und Randelemente [marginal elements] zu gewinnen. Aber bevor dieses Prozeß weit gehen konnte, änderte das Regime seine Politik der Duldung [Toleranz] der gama’at-Tätigkeit. Das war ein deswegen, weil islamische Losungen in einigen Gebieten (obwohl nicht unter Arbeitern) während der Januar 1977er Aufrühre erschienen waren, weil die Opposition zu Sadats Friedensabkommen mit Israel weit verbreitet war, weil das Minister für religiösen Angelegenheiten in einem Attentat von der Gesellschaft der Moslems ermordet wurde, und weil islamische Gruppen mehrere Angriffe gegen koptische Gemeinden organisiert hatten. Die kombinierte Auswirkung führte das Regime zum Verständnis, daß es zwar vor einer Bedrohung stand, die die Brüderschaft seit langem nicht mehr stellte. Ab 1979 fing es an, Druck auf den Gruppen auszuüben, und 1981 nach einer blutigen Konfrontation zwischen Kopten und Moslems in Kairo, wo die gama’at prominent waren, begann es eine massive Unterdrückung.

September 1981 unterdrückte es alle oppositionelle Tätigkeit und löste die gama’at auf. Einen Monat später wurde Sadat von Mitgliedern der Islamischen Jihad in einem Attentat ermordet und fundamentalistische Gruppen setzten Angriffe auf Polizeiwachen in südlichen Städten an in einem von ihnen betrachteten Versuch, das Regime zu stürzen. Die „Schlange“, die vom Regime ernährt wurde, hatte endlich angeschlagen.

 

 

Iran: Politik der Substitution

Das Verhalten der Linken in Ägypten, das ein so entscheidender Faktor im Wachstum des Fundamentalismus während der 30er sowie während der 70er Jahre war, hatte seine Parallele in Iran.

Nach der Katastrophe der Mossadeq-Periode und nach der Wiedereinführung des Schahs gab die Tudeh (Kommunistische) Partei eine Selbstkritik aus. Diese bezog sich nicht auf die Unfähigkeit der Partei, eine aufständische Arbeiterklasse zur Macht zu führen, sondern kritisierte ihre „links-sektierische“ Politik Mossadeq gegenüber, der, argumentierte die Tudeh, ihre volle Unterstützung hätte bekommen sollen. Die Partei erklärte, ihre Hauptaufgabe sei jetzt für „eine national-demokratische Republik“ zu kämpfen. [99] Das war eine Neuerklärung der Volksfrontstrategie, die in der 1951–53er Periode gescheitert war. Tatsächlich lief es auf viel weniger hinaus, weil die wirkliche Strategie der Partei, wenn man sie mit einem solchen Titel auszeichnen kann, war eine des „untätigen Überlebens“.

In Wirklichkeit hörte die Partei auf zu funktionieren. Sie erzählte Mitgliedern, die Bedingungen seien so ungünstig, daß sie überwintern [hibernate] sollten, bis die Lage sich ändere. Die Rache des Schahs an der Linke hatte zwar alle Aktivisten unter großem Druck gesetzt, aber das war nicht der einzige Grund für die neue Linie der Tudeh. Der Hauptantrieb kam aus Moskau, das eine Anpassung mit dem Schah suchte und der iranischen Partei beauftragte, die Sache nicht zu gefährden. Die Tudeh verschwand daher von der politischen Szene. Für zehn Jahre gab es keine wirksame Opposition zum Schah. Als die Wirtschaftskrise neue Streiks und Proteste brachte, blieb die Tudeh stillschweigend, und als 1963 die ulama gegen die Reformen des Schahs mobilisierten, wurden sie zum Mittelpunkt der Opposition. Für das erste Mal seit den 1890er Jahren war das religiöse Establishment der Schrittmacher und sie zapfte ein großes Sammelbecken der Opposition zum Schah an. Das hatte eine dramatische Wirkung auf Chomeini, der jetzt das Potential der ulama erkannte, säkulare Affären zu leiten. Bakhash bemerkt, die Reaktion auf seine Führung

gab ihm einen Sinn der Macht, die die ulama in einer Konfrontation mit der Regierung ausüben könnten. „Hätte man ein Wort gesagt,“ bemerkte er später, „hätte es einen Explosion gegeben.“ Das war eine Lehre, die Chomeini nicht vergaß.“ [100]

Es gab andere, die Lehren aus den 1963er Ereignissen zogen, besonders vom Fehlen einer säkularen Opposition. Bis Mitte der 60er Jahre hatten ehemalige Mitglieder der Tudeh-Jugendorganisation, die später die Fedayin-e Khalq begründeten, angefangen, gegen die Politik des „untätigen Überlebens“ auseinanderzusetzen. Aber eher als die Notwendigkeit einer neuen Arbeiterpartei zu erklären, argumentierten sie für eine Strategie des Guerillakriegs. Das, behaupteten sie, könne die schlummernden Massen in die Opposition zum Schah „stoßen“ [jolt]. Eine ähnliche Haltung wurde von unzufriedenen Anhängern der Nationalfront entwickelt, die etwa gleichzeitig die Mudschahadin-e Khalq bildeten. Wie die Fedayin waren sie von den Guerillabewegungen in Lateinamerika, in Südostasien und in anderen Gebieten des Nahen Ostens beeinflußt und sie behaupteten, die bewaffnete Aktion gegen den Pahlavi-Staat könnte ihn destabilisieren und könnte dabei helfen, eine Massenopposition auszulösen. [101] Die neue Strategie war eine neue Form des Substitutionismus, der schon zum Verschwinden der Tudeh geführt hatte. Sie war auch völlig unwirksam und diente nur dazu, junge Aktivisten von der Arbeiterklasse zu entfernen, wo ein neues Netzwerk von Militanten jetzt langsam wieder entstand. [102]

Nach der 1963er Explosion war der Schah anscheinend noch einmal bequem in der Kontrolle, aber bis 1973 mit den Steigen der Erdölpreise, die Iran große Einkommenzunahmen brachten, fühlte sich das Regime verpflichtet, weitere schnelle Entwicklung zu versprechen. Demgemäß steigerten Erwartungen und es gab die ersten Zeichen des Wiederaufkommens der Arbeiterbewegung und einer Steigerung des Selbstbewußtseins unter der Masse der Bevölkerung. Aber die Entwicklungspläne des Schahs brachen zusammen, der gebrechliche Infrastruktur des Landes konnte nicht mit massiven Kapitalzuströmen [inputs of capital] fertig werden [deal with] und Engpässe entwickelten sich, die die ganze Wirtschaft lahmlegten. Bis 1977 wußte das Regime, die frisch erweckten Hoffnungen hatten sich zur Verbitterung verwandelt. Seine Reaktion war scharf gegen die Wirtschaftssektoren vorzugehen, die als am meisten außer seiner Kontrolle betrachtet wurden, und Sündenböcke zu suchen. In einer massiven öffentlichen Kampagne beschuldigte es den bazaar als für das Horten, für die Preisfestsetzung und für allgemeine Korruption verantwortlich. Arbeiter, Bauern und die städtischen Armen hatten Grund genug, dem Regime zu widerstehen; jetzt gelang es dem Schah, auch den bazaar und Teile der Bourgeoisie zu entfremden.

Durch diese ganze Periode blieb die Tudeh fast unsichtbar, während die Guerillas immer noch auf dem Land isoliert blieben. In vielleicht dem wichtigsten Augenblick der modernen iranischen Geschichte fehlte die Linke von der Szene. Unter diesen Umständen machte die religiöse Opposition Fortschritte.

 

 

„Befreiungstheologie“

Aus seinem Exil in Irak versandte Chomeini einen ständigen Strom von Büchern, Broschüren und Kassetten in Iran, in denen er sich über die Übel des Regimes äußerte. Aber es gab eine weitere wichtige Entwicklung auf der religiösen Front: die Begründung von hoseyniyyehs und religiösen Vereinen. [103] Hoseyniyyehs waren religiöse Diskussionszentren, worin man Versammlungen abhielt, angeblich um geistige Fragen zu überlegen, aber die auch diejenigen anzogen, die eine islamische Alternative zum Regime suchten. Die meisten hoseyniyyehs waren im bazaar oder auch in Slumgebieten und, obwohl einige mullahs hineinzogen, wurden sie von Teilen der Geistlichkeit finster betrachtet [frowned upon], die sie als frevelhafte Alternativen zur Moschee und Foren für die Diskussion von Fragen betrachteten, die anscheinend die ideologische Vollständigkeit der islamischen Tradition bedrohten.

Die berühmteste war die Hoseyniyyeh ershad, die von Mitgliedern der Befreiungsbewegung, einer Abspaltung von der Nationalfront, gegründet wurde. Ihr prominentester Persönlichkeit war Ali Schariati, der versuchte, eine neue Haltung zum politischen Aktivismus zu entwickeln, die weit und breit als eine islamische „Befreiungstheologie“ betrachtet wurde. Schariati argumentierte, der Schiismus sei nicht der konservative hochpersönliche Glaube der Mehrheit der ulama, sondern eine „revolutionäre“ Ideologie, die die Massen inspirieren könnte, die Gesellschaft von ihren ungerechten Herrschern zu befreien und eine gerechte und ausgeglichene Gesellschaft zu bilden. Er behauptete, es gebe zwei Islams:

Der eine ist der Islam des Kalifats, des Palasts, der Herrscher, der andere ist der Islam des Volkes, der Ausgebeuteten, der Armen ... Der wirkliche Islam ... kämpft für die Gerechtigkeit, für die Gleichheit und für die Abschaffung der Armut. [104]

Seine Haltung war eine Mischung aus schiitischer Orthodoxie und kleinbürgerlichem Radikalismus mit einigen „marxistischen“ Entlehnungen. Sein erster Grundsatz war der der tawhid, der Idee, daß Gott, die Natur und die Menschen in einer Harmonie integriert seien, die ihren vollen Ausdruck in Muhammads umma gehabt hätte, aber die von Generationen der ungerechten Herrscher auseinandergerissen worden sei. Das Volk solle sich nicht erlauben, von den ulama irregeführt zu werden, die, obwohl sie vielleicht in Sachen des islamischen Gesetzes gelehrt seien, sich nicht mit den wirkliche Bedürfnissen von Moslems oder mit ihrer mißlichen Lage in Gesellschaften wie Iran solidarisch erklärten. Das Volk sollte deshalb auf „aufgeklärte Denkern“ (raushanfekr) rechnen, um es zu leiten. Zusammen könnten der aufgeklärte Denker und die Massen als eine Kraft wirken, die im Namen Gottes die reaktionäre Geistlichkeit von ihren Einflußstellungen [positions of influence] ausschließen und die islamische Gemeinde mobilisieren könnte, um ihre Unterdrücker zu beseitigen.

Für junge Iraner, die heftig dem Schah widerstanden, die aber von Chomeini und vom religiösen Establishment nicht überzeugt wurden und für die es keine säkulare Alternative gab, bat Schariati anscheinend eine radikale neue Strategie an. [105] In Wirklichkeit, obwohl Schariati den Schiismus weiter zum politischen Aktivismus schob, behielt er die Mehrheit von Chomeinis Haltung. Er war elitär und gegenüber marxistischen Ideen feindselig. [106] Seine Popularität war ein Anzeichen für den weit verbreiteten Mißtrauen gegen die ulama und für die Leere nach links.

 

 

Revolution

Bis Ende der 70er Jahre gab es eine breite Zuhörerschaft für den islamischen Aktivismus. Das Chomeini-Netzwerk hatte einen starken Einfluß im religiösen Establishment und im bazaar, während Schariati eine Zuhörerschaft unter der kleinbürgerlichen Jugend und unter ehemaligen säkularen Nationalisten aufgebaut hatte. Aber immer noch konnte die islamische Strömung nicht die Opposition gegen den Schah leiten und, als 1977 es die ersten Massenprotesten gegen das Regime seit fast 15 Jahren gab, wurden sie spontan von den Armen von Südtehran organisiert. Diese erfolgreiche Massenaktion half dabei, die Tätigkeit für Bürgerrechte unter Studenten und Intellektuellen zu verstärken, die für sechs Monate Protestversammlungen und -seminare abhielten. Aber immer noch unternahm die religiöse Opposition nichts gegen das Regime.

Erst Dezember rief Chomeini zum Sturz des Schahs auf, und dann bezeichnenderweise nicht für eine islamische Republik, sondern für die Wiedereinführung der 1906er Verfassung. Als mullahs und religiöse Studenten unter seinen Anhängern von der Polizei angegriffen und viele getötet wurden, ließ Chomeini Protestdemonstrationen los, die sich während der nächsten sechs Monate durch das Land verbreiteten. Diese entstanden aus mullahs, aus Seminarstudenten, und aus den traditionellen Verbündeten der ulama aus dem bazaar. Das Kleinbürgertum wurde schlecht vom Schah getroffen und reagierte schnell auf Chomeinis Aufruf, aber andere Teile der Gesellschaft blieben großenteils unbeteiligt. Bis zum Frühjahr gab es einen Durchbruch. Die mullahs mobilisierten große Mengen der städtischen Armen.

Der Massencharakter der Proteste, die viel breiter als 1963 waren, wirkte auf Chomeini. Er hatte sich seit langem als Verfechter des Volkes gegen das Regime dargestellt und den tief reaktionären Kern seiner politischen Philosophie mit ihrer Betonung auf der Herrschaft der Geistlichen verdeckt. Jetzt paßte er noch weiter an: Obwohl er konsequent die Bewegung als islamisch beschrieb, spornte er das Volk an, sich selbst zu befreien, eine „Revolution“ zu machen, worin die „Unterdrückten“ den „Unterdrücker“ stürzen sollten. Das hatte eine besondere Wirkung auf die Armen, die unter ungeheurem Druck vom Regime standen. Große Mengen von Bewohnern der Slumgebiete wandten sich jetzt zu Chomeini, der sich als Mittelpunkt der nationalen Opposition und Symbol der Hoffnung inmitten des Chaos darstellen konnte. Bei einem entscheidenden Augenblick gelang es dem Ajatollah, ihre Bestrebungen nach einer Veränderung für sich einzunehmen, und es gelang ihm, Unterstützung zu mobilisieren in einer Weise, die sein Anhängernetzwerk ermöglichte, aus der Moschee und aus dem bazaar hinauszutreten.

Aber die kombinierten Kräfte des religiösen Establishments, des bazaars und der städtischen Armen waren nicht genug, um den Pahlavi-Staat zu bedrohen. Als bescheidene Zugeständnisse an Chomeini scheiterten, entschied der Schah die Protestierenden von den Straßen wegzuschießen, wie er es 1963 gemacht hatte. Nach einem Tag der Tötung nahmen die Proteste ab, aber dann nahmen sie wieder in einer neuen Form auf. September 1978 fingen Massenstreiks an, zuerst als einen Protest gegen die Tötungen, aber bald über politische und wirtschaftliche Forderungen aller Art. Während der nächsten drei Monate beteiligte sich die ganze Arbeiterklasse an ununterbrochener Streiktätigkeit [strike activity], die bis Januar den Fall des Schahs versichert hatte.

Als die Streiks anfingen, erkannte Chomeini bald ihr Potential an und rief zur verlängerten industriellen Aktion auf. Er erkannte die Stimmung des zunehmenden Selbstbewußtseins unter den Massen und ihre demokratischen Bestrebungen an und stellte jetzt eine immer stärkere Betonung auf die Rolle „des Volkes“ im Kampf gegen die Autokratie, obwohl er immer wieder die eigenen tief undemokratischen Absichten verbarg. Es stimmt nicht, daß Chomeini der Bewegung die Idee der islamischen Regierung im letzten Augenblick aufgehängt habe. [107] Es gab zwar viele Aufrufe für eine solche Regierung aber geschickt vermied Chomeini zu verdeutlichen, was sie bedeuten würde, und er ging wiederholte Fragen um oder log einfach über seine Absichten. [108]

Chomeini „entführte“ nicht die Revolution, indem er die Macht von der Arbeiterbewegung stahl, aber ihm nützte ungeheuer die Naivität der Liberalen und der Linke. Die Liberalen der Nationalfront und der Befreiungsbewegung traten bloß hinter ihn an. Nach links trat die Tudeh wieder hervor, um Chomeini und seine Verbündeten als die erwarteten „patriotischen und demokratischen Kräfte“ zu erklären. Sie löste sich in die religiöse Bewegung auf. Die Guerillas wurden verwirrt. Die Oppositionsbewegung war nicht von ihren exemplarischen bewaffneten Aktionen entzündet worden, sondern war zuerst von den städtischen Armen gekommen, danach von den mullahs und vom bazaar und am wichtigsten von der Arbeiterklasse, der sie seit langem eine kleinere Rolle in der revolutionären Tätigkeit gewährt hatten. Die Fedayin und die Mudschahadin drückten kleinere Vorbehalte aus, aber sie unterstützten Chomeini. Keine Organisation bat eine Alternative zur religiösen Führung an.

Diese Probleme tauchten noch einmal nach dem Fall des Schahs und nach Chomeinis Ernennung einer provisorischen Regierung auf. Der Ajatollah begann damit, die Bewegung von unten zu überwältigen, aber stand sofort vor einer massiven Ausdehnung der Streikkomittees in shoras, in Betriebsräte, die weitere wirtschaftliche und politische Veränderung forderten. Auch jetzt war die Linke völlig verwirrt und, statt die shoras als eine Basis für die Erweiterung und die Vertiefung der Revolution zu betrachten, stand sie zur Seite, während die provisorische Regierung dafür kämpfte, sie zu zerstören. [109] Innerhalb eines Jahres hatte Chomeini die shoras überwältigt und fiel über die Linke her. Die Revolution war vorbei. Für das erste Mal hatten die Fundamentalisten die Macht erlangt.

 

 

Lehren von Ägypten und Iran

Fünfzig Jahre nach dem Aufkommen der ersten wirklichen fundamentalistischen Organisation in Ägypten bezeichnete die Iranische Revolution die größte Triumphe der Bewegung. Was kann man von der Erfahrung dieser zwei Länder lernen?

  1. Der islamische Fundamentalismus ist eine Reaktion auf dem Imperialismus gewesen. Keine Organisationen dieser Art erschienen in der vorkolonialen Periode. Die Opposition zu fremden westlichen Kräften ist sein ideologischer Bezugspunkt gewesen.
  2. Die gesellschaftliche Basis der Bewegung ist kleinbürgerlich gewesen und widerspiegelt ihre Rolle als Vertreter einer Klasse, deren Ehrgeiz vom Imperialismus und von seinen Verbündeten unter den lokalen herrschenden Gruppen durchkreuzt worden ist. In vielen Ländern der „Dritten Welt“ ist diese Klasse viel größer als in den fortgeschrittenen industrialisierten Ländern und reicht hinunter bis den Straßenhändlern [street vendors], den Kleingeschäftsleuten und einer riesigen Masse von Halbbeschäftigten.
  3. Die Bewegung hat die Fähigkeit, aus kleinbürgerlichen Beschränkungen herauszubrechen. Unter bestimmten Umständen kann sie Mitglieder anderer Klassen mobilisieren, besonders die städtischen Armen. Der islamische Fundamentalismus hat daher das Potential, Massenorganisationen aufzubauen.
  4. Trotz ihres Massenpotentials hat die fundamentalistische Strömung eine enge kleinbürgerliche Ideologie. Sie ist elitär; sie sucht die Veränderung, nur insofern die Reform kleinbürgerlichen Interessen Nutzen bringt. Sie tut alle Bewegungen von unten ab, die unabhängig von ihrer Führung sind.
  5. Fundamentalistische Organisationen suchen, den Staat als Werkzeug der Reform zu ergreifen. Ihre Methoden sind unterschiedlich von der Eroberung des Staats von innen bis zum Aufstand. Der Zweck bleibt der gleiche, die Strukturen des Kapitalismus in den Interessen des Kleinbürgertums zu manipulieren.
  6. Der islamische Fundamentalismus blüht unter Bedingungen, wo säkulare Alternativen am wenigsten wirksam sind. Er ist schwach während Perioden, wo der bürgerliche Nationalismus und konkurrierende kleinbürgerliche Strömungen am stärksten sind. Der Fundamentalismus gedeiht, wenn bürgerliche und kleinbürgerliche Alternativen in einer Krise stehen, wenn die Tätigkeit der Arbeiterklasse auf einem Tiefstand ist und die Linke schwach oder abwesend ist. Unter diesen Umständen kann er die islamische Tradition in einer solchen Weise entwickeln, daß er eine Ideologie liefert, die anscheinend die Interessen der Massen dient.

 

Die Erfahrung von Ägypten und Iran zeigt, der islamische Fundamentalismus ist eine widersprüchliche Erscheinung. Er drückt das Bestreben für die Unabhängigkeit von der direkten imperialistischen Kontrolle und von seinen Verbündeten unter lokalen herrschenden Klassen aus. Er kann zwar das Muster der imperialistischen Herrschaft zerreißen, auch wenn nur vorübergehend. So war die Moslemische Brüderschaft ein Hindernis für die volle britische Kontrolle von Ägypten, während das Chomeini-Netzwerk in Iran ein entschlossener Gegner des prowestlichen Pahlavi-Regimes blieb.

Gleichzeitig ist der Fundamentalismus nichts mehr als eine Reformströmung innerhalb des Kapitalismus – eine, die felsenfest unabhängigen Bewegungen feindlich gegenübersteht, die vielleicht die revolutionäre Umwandlung bedrohen. Er argumentiert für eine neue Gesellschaft, aber schaut auf eine idealisierte Vergangenheit zurück. Er fordert die „Befreiung“, ist aber tief autoritär. Er benutzt die Rhetorik der radikalen Veränderung, aber sucht nur die Modifikation des Kapitalismus. Kurz gesagt drückt er alle widersprüchliche Merkmale der von ihm vertretenen Klasse aus.

 

Wie soll man denn die fundamentalistische Bewegung charakterisieren? Den Anspruch, er sei revolutionär und habe viel mit dem Marxismus gemeinsam, kann man ablehnen. Die Bewegung vertritt Kräfte, die gegen den Sturz des Kapitalismus und gegen die Tätigkeit der einzigen Klasse sind, die solche Veränderung bringen kann, der Arbeiterklasse.

Am anderen Extrem muß man die Behauptung, der Fundamentalismus sei faschistisch, ernster nehmen. Die Klassenbasis der Bewegung, ihre autoritären Prinzipien und ihre Feindseligkeit gegen die Arbeiterklasse und die Linke haben anscheinend viel gemein mit den europäischen Rechtsradikalen. Aber diese Charakterisierung muß man auch ablehnen.

Der Faschismus wächst unter bestimmten Bedingungen. Er ist eine kleinbürgerliche Reaktion zu den Problemen der Krise, zur Bedrohung sowohl des großen Kapitals und der Arbeiterklasse, aber hauptsächlich zur Niederlage des tätigen Proletariats, das noch nicht vernichtet worden ist. Trotzki argumentierte: „Der Übergang zum Faschismus ... ist unfaßbar ohne das vorgehende Durchdringen des Kleinbürgertums mit Haß gegen das Proletariat.“ [110] Der islamische Fundamentalismus hat verschiedene Wurzeln. Obwohl er der unabhängigen Aktion der Arbeiterklasse feindselig gegenübersteht, ist seine Triebkraft nicht Angst vor der Arbeiterklasse gewesen, sondern Ehrgeiz danach, frei von der direkten imperialistischen Kontrolle zu sein. Das bedeutet nicht, der Fundamentalismus sei antikapitalistisch. Vielmehr drückt er die Ängste von denen aus, die wirtschaftlich unter dem Eindringen des Imperialismus gelitten haben, und den durchkreuzten Ehrgeiz von denen, deren Hoffnungen des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Fortschritts vom Imperialismus und seinen Verbündeten versperrt werden.

Der islamische Fundamentalismus ist keine einzigartige Erscheinung. Er ist ein Vetter des kleinbürgerlichen Nationalismus, der durch alle Länder unter der imperialistischen Herrschaft aufgekommen ist: der „arabische Sozialismus“ von Ägypten, Syrien, Irak, Algerien und Libyen, den „afrikanischen Sozialismus“ von Ghana, Tansania und den nachkolonialen Ländern vom südlichen Teil Afrikas und die „revolutionären“ Regierungen von Vietnam, Kuba und Nicaragua.

Eine solche Ansicht wird nicht populär sein unter denen, für die solche Staaten „fortschrittlich“, wenn nicht „revolutionär“ sind. Aber obwohl Marxisten solche Bewegungen völlig unterstützen, wenn sie in einen Konflikt mit dem Imperialismus kommen [come into conflict with imperialism], soll es keine Zweifel über ihre kleinbürgerliche Natur und über ihre Feindseligkeit gegenüber einen unabhängigen Arbeiterklasse geben.

 

 

Fundamentalismus an der Macht

Die Beziehung zwischen dem islamischen Fundamentalismus und anderen kleinbürgerlichen Nationalismen wird deutlicher, wenn man die Erfahrung der fundamentalistischen Bewegung an der Macht betrachtet. Die Revolution in Iran änderte das politische Gleichgewicht, ohne auf die Klassenverhältnisse zu wirken. Das Gewicht der alten Grundbesitzer wurde etwas verkleinert, das des Kleinbürgertums vergrößert, während die Positionen der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse sehr wenig berührt wurden. Das Chomeini-Regime bewies sich als aus vollem Herzen an den Kapitalismus gebunden [committed to capitalism]. Sein einziges Problem ist es gewesen, den Umfang der Staatsintervention und die Manöverierfreiheit des Großkapitals zu entscheiden. Nach dem Sturz des Schahs begann es ein Programm der Verstaatlichung und nahm viele Industrie unter staatlicher Kontrolle. Innerhalb von vier Jahren kehrte es die Politik um und suchte die Rückkehr der 1978 und 1979 geflüchteten Kapitalisten. Es nahm fast die gleiche Haltung zum ausländischen Kapital an: Für einige Jahre nach 1979 wurde die ausländische Investition unter der Losung: „Weder Osten noch Westen“, verhindert, aber bis 1983 wurde die ausländische Beteiligung wieder gesucht.

Auf dieser politischen Ebene hat die Chomeini-Führung, eine kleine Gruppe von höheren Geistlichen, ein höchst autoritäres System gegründet. Ihr Zugeständnis zur „Demokratie“, ein majlis (Parlament), ist mit mullahs und mit kleinbürgerlichen zum Regime loyalen Elementen besetzt [packed] worden. Es hat heftige Unterdrückung der Tätigkeit der Arbeiterklasse gegeben und alle andersdenkende Stimmen sind zum Schweigen gebracht worden.

Dieser Lebenslauf trennt das iranische Regime nicht von anderen kleinbürgerlichen Nationalismen, vielmehr bestätigt er seine Beziehung mit ihnen. Auf der wirtschaftlichen Ebene verbrachte Nasser beinahe 15 Jahre beim Versuch, den Staat zu benutzen, um Ägypten vom Weltsystem unabhängig zu machen. Er baute riesige Monopolen auf und richtete die Finanz und den Außenhandel. Innerhalb von Monaten nach der Machtübernahme von Sadat wurde der ganze Prozeß umgeschlagen. In Iran begann das Regime mit beinahe der gleichen Politik. Der Unterschied hat darin bestanden, daß die vom Krieg mit Irak und mit dem Westen angespornte Wirtschaftskrise den Änderungsprozeß beschleunigt hat.

Das iranische Regime hat am Anfang seine Unterstützer belohnt. Mullahs, bazaaris und Freiberufler, die das Chomeini-Netzwerk unterstützten, bekleiden privilegierte Positionen. Außerdem sind Tausende von denen, die unter dem Schah am unterprivilegiertesten waren, in den neuen Staatsapparat integriert worden. [111] Das Regime hat eine neue, wenn enge Basis gebildet, die es dabei geholfen hat, die Jahre des Krieges, der Mängel und der massiven Unterdrückung zu überleben. Hier sind noch einmal Parallele mit anderen Nationalismen deutlich. An der Macht haben arabische Nationalisten die gleichen Scheinparlamente geschaffen, neue mit Loyalisten besetzte Staatsapparate gebildet und alle Opposition unterdrückt. Eigentlich kann man argumentieren, das iranische Regime sei vorsichtiger in seiner Haltung zur Opposition gewesen als seine arabischen „Vetter“. Nach dem 1952er Putsch in Ägypten waren es nur Wochen, bevor die Freien Offiziere sich für die symbolische Hinrichtung von Streikführern entschlossen. Chomeini wartete viel länger, bevor er seinen vollen blutigen Angriff gegen die Arbeiter und gegen die Linke losließ.

Aber wie einige der anderen Nationalismen hat das Chomeini-Regime einheimische Unterstützung und breitere internationale Unterstützung als Ergebnis seiner Konflikte mit dem Imperialismus gewinnen können. Trotz seinem Ruf als Unterdrücker haben viele Iraner das Regime als den Erben der Bewegung unterstützt, die den Schah beseitigte, und es im Golfkrieg unterstützt, besonders seit der direkten Verwicklung der US und seiner Verbündeten neben Irak, die den 1986er iranischen Vormärschen folgte. [112] Es gibt Parallelen hier mit der Lage des Nasser-Regimes während der 50er Jahre. Damals waren die ägyptischen Nationalisten mit einer Politik der heftigen Unterdrückung beschäftigt, gewannen aber massive Beliebtheit während des 1956er Suez-Kriegs. Die syrische Baath-Partei mit einem fast unübertroffenen Ruf der Unterdrückung hat ähnliche Unterstützung während einer Reihe Kriege mit dem Hauptverbündeten des Westens im Nahen Osten, Israel, gewonnen.

 

 

Wirkung der Revolution

Fundamentalistische Gruppen haben in mehreren andere Ländern des Nahen Ostens und weiter entfernt seit der Entwicklung der Moslemischen Brüderschaft in den 30er Jahren existiert. Mit einigen Ausnahmen sind sie klein gewesen und haben nicht die Fähigkeit gezeigt, eine Massenbasis zu entwickeln. Aber die iranische Revolution gab der ganzen fundamentalistischen Strömung einen riesigen Aufschwung. Chomeini hat die iranischen Ereignisse als einen Sieg des Islams gegen den Imperialismus projiziert und Moslems dazu aufgerufen, dem iranischen Beispiel zu folgen. Seit 1979 hat sich das Tempo der fundamentalistischen Tätigkeit beschleunigt, was Bestürzung im Westen und unter prowestlichen Regimen verursacht hat sowie zunehmende Bestrebungen, den Einfluß darüber auszuüben.

In Ägypten halfen die iranischen Ereignisse dabei, die ägyptischen gama’at dazu zu stimulieren, Präsidenten Sadat in einem Attentat umzubringen und Oktober 1982 einen Aufstand zu unternehmen. In der Abwesenheit einer Massenbewegung der Opposition hatten sie keine Aussicht auf Erfolg und wurden bald vom Regime überwältigt. Das hat sowohl die Brüderschaft als auch die gama’at nicht daran verhindert, weitere Unterstützung zu gewinnen. Die Brüderschaft ist seitdem zunehmend erfolgreich beim Versuch, in die Strukturen des ägyptischen Kapitalismus einzudringen. Sie hat erfolgreich einen „islamischen“ Sektor in der Finanzwelt und im Handel entwickelt und ihre beträchtlichen Ressourcen benutzt, um eine vergrößerte Sozialfürsorge zu finanzieren und eine höchst wirksame Wahlkampagne zu führen, die der Bewegung für das erste Mal eine parlamentarische Präsenz gegeben hat. [113]

Diese Tätigkeit hat eine Wirkung auf die gama’at gehabt, so daß einige Gruppen enger mit der Brüderschaft zusammenarbeiten. Insofern ist die Strategie des Regimes, den Fundamentalisten entgegenzukommen, teilweise erfolgreich gewesen. Auf jeden Fall ist der Einfluß des Islams als ideologische Kraft gestärkt worden. Solange die Linke an der nach wie vor von der Führung der Kommunistischen Partei Ägyptens verfolgten Volksfrontpolitik festhält, wird es Chancen für beide Flügel der fundamentalistischen Bewegung geben.

Im Irak gaben die iranischen Ereignisse der schiitischen Bevölkerung des Südens, die seit langem vom baathistischen Regime an den Rand gedrängt und unterdrückt worden ist, einen Anstoß. Die gesteigerte Popularität der fundamentalistischen Dawa-Bewegung war gewiß ein Faktor, der Irak dazu führte, September 1980 in Iran einzufallen, was den achtjährigen Golfkrieg anfing. Präsident Saddam Hussein von Irak hoffte, das irakische Nationalgefühl gegen Iran zusammenzuraffen und die iranische Bewegung zu überwältigen, bevor sie einen größeren destabilisierenden Einfluß ausüben könnte.

Andere arabische Golfstaaten waren ebenso erschrocken über den Wirkung der iranischen Ereignisse auf der eigenen schiitischen Bevölkerungen, die auch von den Regimen an den Rand gestellt wurden. Nach dem 1979er Aufstand in der von Schiiten dominierten Ostprovinz von Saudi Arabien dehnte sich der Schreck unter den Herrschern der Region und ihren westlichen Hintermännern aus, nicht am wenigsten wegen der Bedrohung der riesigen Erdölfelder des Golfs. Das war der Schlüsselfaktor in der Entscheidung der Regimes, Irak bei einem Einfall in Iran zu unterstützen und, als 1986 der Krieg sich entscheidend zugunsten Irans wandte, in der Entscheidung der US, Irak offen zu unterstützen. [114]

In Syrien hatte die Moslemische Brüderschaft ihre wichtigste Stützpunkt außerhalb von Ägypten aufgebaut. Bis zu den 1970er Jahren bildeten sie die Hauptopposition zum Assad-Regime, dem eine in die Regierung eingetretenen Kommunistischen Partei geholfen hatte. Die Ereignisse in Iran waren ein Grund, warum die Brüderschaft einen Aufstand in Hama unternahm. Sie bleibt die Hauptopposition zum baathistischen Regime. [115]

In Libanon hat die iranische Revolution tiefgreifend wichtige Ergebnisse gehabt. Hier bekam die schiitische Bevölkerung, immer die verarmteste Gemeinde des Lands einen riesigen Aufschwung von der Triumphe ihrer Glaubensgenossen. Sie war ein Schlüsselfaktor im Wachstum der ersten schiitischen Massenorganisation, der Amal. Als sie vom syrischen Regime einverleibt wurde, wurde sie durch die direkt von Iran gesteuerte Hezbollah ersetzt. Diese Organisation hat das Niveau des Guerillakampfs gegen Israel erhöht und der syrischen Präsenz widerstanden. Sie hat auch Partei der Palästinenser gegen die von Syrien veranlaßten Angriffe auf palästinensische Lager ergriffen.

In Palästina ist die fundamentalistische Strömung in letzter Zeit schnell gewachsen. Während des Aufstands in den Besetzten Gebieten [im Westjordanland], der Dezember 1987 anfing, bewies sie, daß für das erste Mal islamische Organisationen, besonders die Islamische Jihad, Wurzeln unter den Massen in den Lagern haben schlagen können. Diese Entwicklung soll man nicht übertreiben; die Mehrheit der Palästinenser unterstützen immer noch die säkular-nationalistischen Traditionen der PLO. Aber angesichts des Versäumnisses der PLO-Führung, die palästinensische Sache zu fördern, hat sich eine Minderheit stark dem Fundamentalismus angenähert.

In Nordafrika ist seit Ende der 70er Jahre das Niveau der fundamentalistischen Tätigkeit schnell gestiegen. In Tunesien, in Algerien und in Marokko haben fundamentalistische Gruppen auf den Universitätsgeländen und in den ärmsten Stadtgebieten entwickelt. In Tunesien und in Marokko intervenierten sie in den 1984er Aufrühren und Demonstrationen über Lebensmittel.

Es hat Bestrebungen von vielen Regierungen gegeben, das Niveau der Unterdrückung gegen die Bewegung zu erhöhen, sie zu kooptieren oder in einigen Fällen beide Strategien zu verfolgen. Das Mubarak-Regime in Ägypten hat mit etwas Erfolg Zuckerbrot und Peitsche benutzt. In Syrien und Irak hat es ununterbrochene Unterdrückung gegeben. In Tunesien folgte heftiger Unterdrückung ein Kooptierungsversuch. Im palästinensischen Fall hat Israel versucht, dem Beispiel von Sadat in Ägypten zu folgen, indem er fundamentalistischen Gruppen etwas Freiheit gab in der Hoffnung, sie auszunutzen, um den nationalistischen Einfluß zu vermindern. Die aggressive Verwicklung der Jihad im Aufstand zeigt anscheinend, die Israelis sind gescheitert. In Afghanistan haben Iran, der Westen und seine Verbündeten im Nahen Osten alle versucht, Gruppen unter den Kräften zu beeinflussen, die der russischen Besatzung widerstanden haben. [116]

Auf der internationalen Ebene hat es auch einen Versuch gegeben, die Bewegung zu beeinflussen. Das iranische Regime hat versucht, enge Verbindungen zwischen fundamentalistischen Gruppen, besonders unter den Schiiten, zu bilden, und hat etwas Erfolg in sunnischen Ländern gehabt. Ein anderer Einfluß ist von Saudi Arabien und anderen prowestlichen Golfstaaten ausgeübt worden. Diese haben versucht, die konservativsten islamischen Strömungen zu fördern. In Ägypten, in Sudan, in Palästina, in Nordafrika und in der Türkei haben sie die Moslemische Brüderschaft oder zugesellte Gruppen unterstützt auf der Basis, daß sie eine milde reformistische Strategie ermutigen und islamische Aktivisten auf die Golfstaaten, besonders auf Saudi Arabien, als die Führer der islamischen Welt orientieren. [117] Die Saudis haben dadurch riesige Geldsummen ausgegeben, „islamische“ Banken und Firmen in einer Reihe Länder gegründet und Finanz zu den Organisationen unter ihrem Schutz gelenkt [channel]. [118] Es läßt sich kaum zweifeln, daß diese Strategie eng mit ihren US-Verbündeten koordiniert worden ist.

 

 

Der marxistische Ansatz

Was soll die Haltung von Marxisten zur fundamentalistischen Bewegung sein, sowie zum verwirrenden Bild der gegenseitig widersprechenden islamischen Strömungen, das jetzt entwickelt hat?

Man muß damit anfangen, sich an der Haltung der Kommunistischen Internationale zu erinnern. Bei ihrem Zweiten Kongreß 1920 brachte Lenin Thesen über die National und Kolonialfragen vor. Diese erklärten die Notwendigkeit der proletarischen Einheit, eines Kampfs gegen kleinbürgerliche Nationalvorurteile und einer Entschlossenheit, die garantieren sollte, daß man bürgerlich-demokratische Nationalbewegungen keine „kommunistische Färbung“ gäbe. Gleichzeitig bestand Lenin darauf, Kommunisten müßten bereit sein, nationalen Bewegungen gegen die imperialistischen Mächte beizustehen.

Das Komintern erkannte an, daß in Ländern unter Kontrolle und Einfluß der Kolonialmächte antikoloniale Bewegungen entstehen würden, die man, obwohl sie von nationalistischen überwältigend von bürgerlichen und kleinbürgerlichen Interessen beherrschten Strömungen geführt würden, in ihren Konflikten mit dem Imperialismus unterstützen müßte. Das Komintern behauptete, man sollte alle Bewegungen mit der Fähigkeit, den Imperialismus, den Hauptfeind der internationalen Arbeiterklasse zu destabilisieren und die Möglichkeit der weiteren Veränderung zu eröffnen, unterstützen. Aber unter keinen Umständen sollte das Marxisten dazu führen, die Unabhängigkeit der Arbeiterklasse oder der revolutionären sozialistischen Organisation zu übergeben. [119]

Seitdem haben Marxisten sowohl nationalistische Bewegungen als auch herrschende Gruppen unterstützt, die in Konflikt mit dem Imperialismus gekommen sind. Trotzki war der Meinung, daß in Kriegen mit imperialistischen Mächten koloniale oder halbkoloniale Länder kommunistischer Unterstützung bedürften, egal was für eine Führung das unterordnete Land hätte. In den 30er Jahren unterstützte Trotzki Abessiniens tief reaktionäres Regime unter Haile Selassie in seinem Krieg mit Italien trotz des reaktionären Wesens Selassies. Er argumentierte, der Sieg für Italien würde den Fortschritt in Abessinien und in der ganzen ostafrikanischen Region zurücksetzen, während er das Selbstbewußtsein und die Macht des europäischen Imperialismus verstärken würde. Er nahm eine ähnliche Haltung zu Chinas Krieg der Nationalverteidigung gegen den japanischen Imperialismus trotz der Verantwortlichkeit des chinesischen Führers, Tschiang Kai-schek, für das Niedermetzeln der führenden Arbeiteraktivisten des Landes und des Kaders der Chinesischen Kommunistischen Partei. [120]

Trotzkis allgemeine Haltung gilt immer noch heute für Länder wie Iran, die, obwohl sie nicht Kolonien im klassischen Sinne sind, trotzdem der Macht des Imperialismus unterordnet sind.

Im Nahen Osten haben Marxisten die gleiche Stellungnahme genommen, indem sie Ägypten gegen Großbritannien, Frankreich und Israel im 1956er Krieg, die Jordanier, die Syrier und die Ägypter in den 1967er und 1973er Konflikten unterstützten. Die arbeiterfeindliche Politik von Nasser, von der jordanischen Monarchie und vom syrischen Regime haben keine andere Haltung vorgeschrieben.

Der Charakter des kleinbürgerlichen Nationalismus bedeutet, er wird noch einmal in Konflikt mit dem Imperialismus kommen, während nationalistische Oppositionsströmungen mit den Regimen zusammenstoßen werden. Man muß bereit sein, Libyen gegen US-Bedrohungen und Angriffe, Libanons Hezbollah gegen Israel und Syrien, Syrien selbst gegen Israel und die US, und Iran gegen Irak und seine westlichen Verbündeten im Golf zu unterstützen. Ferner wird es notwendig sein, die fundamentalistischen Bewegungen in ihren Konflikten mit den Regimes zu unterstützen. Sozialisten werden die ägyptischen gama’at unterstützen, wenn sie gegen Mubarak demonstrieren, die Islamische Tendenz in Tunesien, wenn sie gegen das Ben Ali-Regime mobilisiert, und Aktivisten in Marokko, wenn sie sich in Konflikt mit dem König Hassan befinden.

Gleichzeitig müssen Marxisten unversöhnlich dem islamischen Fundamentalismus feindselig gegenüberstehen und vollständige Unabhängigkeit davon halten. Ein wahrscheinliches Ergebnis der Niederlage von Iran durch den Imperialismus im Golfkrieg könnte sein, daß der islamische Fundamentalismus etwas Anziehungskraft für diejenigen verlieren würde, die gegen den Imperialismus kämpfen. Spaltungen unter den Fundamentalisten sind ein mögliches Ergebnis davon. Die Unterstützung für fundamentalistische Strömungen hängt davon ab, ob sie den Kampf gegen den Imperialismus ausdrücken. Es ist Teil des Wesens des Kleinbürgertums, daß es letzten Endes von der Kraft anderer größerer Klassen abhängt, um wirksam zu sein. Wo die Fundamentalisten sich aus jeden beliebigen Gründen als den Ausdruck des Kampfs gegen den Imperialismus befinden, soll man sie unterstützen, aber wo sie die „eigenen“ Klassenzwecke oder die der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse und die Unterdrückten verfolgen, soll man das nicht machen.

So ist es notwendig, zwischen wirklichen fundamentalistischen Bewegungen wie der Moslemischen Brüderschaft und denjenigen Regimen, die für sich „islamische“ Glaubwürdigkeit [credentials] in Anspruch nehmen – wie denen von Saudi Arabien, Sudan und Pakistan –, aber die Interessen von eng mit dem Imperialismus gebundenen Klassen ausdrücken, zu unterscheiden. Man muß auch zwischen dem Ausdruck des von fundamentalistischen Organisationen bewiesenen anti-imperialistischen Gefühls und einigen Verfahren unterscheiden, die grundsätzlich reaktionär sind. So soll man die ägyptischen gama’at gegen das Mubarak-Regime unterstützen; man darf nicht ihre Angriffe gegen Christen und Juden unterstützen.

Es darf keine Illusionen geben, der Fundamentalismus sei eine „fortschrittliche“ Kraft, mit der es einen politischen Kompromiß geben dürfte. Der Stalinismus führte die Idee der „Blöcke“ und „Bündnisse“ ein, in denen die Interessen der Arbeiterklasse denen anderer Klassen unterordnet seien. Unter seinem Einfluß suchten Kommunistische Parteien „Fortschrittliche“ unter bürgerlichen und kleinbürgerlichen Elementen aller Art, einschließlich den islamischen Fundamentalisten. Eine solche Haltung ist nicht mit dem Marxismus vereinbar, der die unabhängige Organisation der Arbeiterklasse und den Aufbau von revolutionären sozialistischen Parteien in den Kern seiner Strategie setzt. [121]

Die Tatsache, daß die stalinistische Strömung immer noch die Linke im Nahen Osten beherrscht und immer noch das eigene Entgegenkommen mit den Regimes sucht, bedeutet, es gibt eine Leere, die sich entweder vom revolutionären Marxismus oder von anderen Kräften füllen läßt, unter denen die Fundamentalisten bei weitem am besten vorbereitet sind. Revolutionäre Marxisten suchen nicht, die Fehler des Stalinismus zu wiederholen, sondern betonen die Notwendigkeit, eine marxistische Strömung zu gründen, die eine Alternative zum Nationalismus aller Arten ist.

Wir sehen einer Zeit mit Erwartung entgegen, wo Arbeiterkämpfe noch einmal den Charakter der anti-imperialistischen Bewegung vorschreiben und wo revolutionäre Sozialisten Massenparteien aufbauen können, die fähig sind, die Regimes herauszufordern. Bis dann muß man der Wirklichkeit entgegentreten, der Nationalismus, einschließlich dem islamischen Fundamentalismus, wird eine führende Rolle spielen.

 

 

Anmerkungen

89. Keppel, a.a.O., S.43.

90. ebenda, S.47.

91. ebenda, S.56.

92. Das prowestliche Saudi-Regime hatte sich damit zufrieden gegeben, viele Mitglieder der Brüderschaft einzunehmen, die von Nasser verbannt wurden, den es als einen subversiven Einfluß in der Region fürchtete. Ein Ergebnis davon war, daß die führenden Aktivisten einfach in die Saudi-Gesellschaft einverleibt wurden.

93. Der Name, worunter sie irrtümlicherweise im Westen bekannt wurden. Der Gruppe hat man auch die Verantwortlichkeit für den 1981er Attentat auf Sadat zugeschrieben, der die Arbeit der Jihad-Gruppe war.

94. Abdalla, a.a.O., S.220.

95. Davis bemerkt, es sei nicht zufällig, daß die Gruppen die Grundeinheit ihrer Organisation [primary unit of organisation] al-usra – die Familie – nannten. Er fügt hinzu: „Durch die Bildung von Zellen in den wichtigsten Städten und in den Hauptstädten der Provinzen versuchen islamische Gruppen, die korporative Einheit des traditionellen ländlichen Lebens wiederherzustellen. Die ‚islamische Familie‘ liefert einen Sinn der Identität und des Schutzes innerhalb dessen, was man als eine feindliche und unberechenbare [capricious] Umwelt betrachtet.“ Davis, a.a.O., S.144.

Ein bei der Amerikanischen Universität zu Kairo ausgeführtes Studium zeigte, wie erfolgreich die Gruppen auf dem Campus waren, indem der größte Teil ihrer Mitglieder Studenten im Alter von 20-25 Jahren war. „Die Klassenzugehörigkeit [class affiliation] war hauptsächlich zur niedrigeren Mittelschicht und die Herkunft war ländlich oder kleinstädtisch.“ Nemat Guenana, The Jihad: An „Islamic Alternative“ in Egypt, in Cairo Papers in Social Science, Bd.9, Monographie 2, Sommer 1986, S.67. Keppel (a.a.O., S.220) zeigt auch das Vorherrschaft der Studenten unter den Aktivisten der gama’at.

96. Unter den Schutzherren war Sadats rechte Hand, Uthman Ahmad Uthman, der Keppel als „Ägyptens Rockefeller“ beschrieb und der in seiner Jugend ein Aktivist der Brüderschaft gewesen war. ebenda, S.109.

97. ebenda, S.133.

98. ebenda, S.135.

99. Sie argumentierte, die Hauptprobleme, die jetzt vor der Opposition stünden, seien „... der Sturz der anachronistischen Monarchie, die Zerstörung des reaktionären Staatsapparats, die Abschaffung der Großkapitalisten und Großgrundbesitzer und die Übertragung der Macht von diesen Klassen zu denjenigen Klassen und Schichten, die patriotisch und demokratisch sind – d.h. zu den Arbeitern, den Bauern, dem städtischen Kleinbürgertum (Händlern, Krämern und Handwerkern), der patriotischen und fortschrittlichen Intelligenz und Schichten der Nationalbourgeoisie.“ Abrahamian, a.a.O., S.456.

100. Bakhash, a.a.O., S.27.

101. Für einen Bericht über das Aufkommen der Guerillas s. Zabih, The Left in Contemporary Iran, London 1986.

102. Während der 70er Jahre bildeten sich Netzwerke von Aktivisten in vielen Betrieben; s. Assef Bayat, Workers and Revolution in Iran, London, 1987.

103. Arjomand zeigte, während dieser Periode gäbe es eine schnelle Zunahme der Zahl von islamischen Einrichtungen, Moscheen und hoseyniyyehs eingeschlossen, und der Masse der religiösen Literatur im Umlauf. Zwischen 1961 und 1975 vermehrte sich die Bevölkerung Teherans zweieinhalb Mal während die Zahl Moscheen sich verfünffachte. 1956 seien religiöse Titel für 10 Prozent aller veröffentlichten Bücher verantwortlich gewesen. Bis 1976 sei die Zahl 33 Prozent gewesen. Inzwischen fingen Millionen von Pilgern an, nach Heiligenschreine und nach heiligen Stätten in Iran und im Ausland zu reisen. Said Amir Arjomand Traditionalism in Twentieth-century Iran, in Arjomand, a.a.O., S.214-6.

104. Abrahamian, a.a.O., S.470.

105. Die Mudschahadin-Organisation heiligte Schariati, indem sie ihn als „Lehrer der Revolution“ und „kollektiven Ausdruck des fortschrittliche revolutionären Bewußtseins“ erklärte; s. Suroosh Irfani, Revolutionary Islam in Iran, London 1983, S.116.

106. Für eine kritische Darstellung der Ideen von Schariati s. Shahrough Akhavi, Shariati’s Social Thought, in Keddie (Hrsg.), Religion and Politics in Iran, S.125–44.

107. Bakhash weist darauf hin, Chomeinis Anhänger riefen wiederholt für eine islamische Regierung in von Februar und März 1978 veröffentlichten Broschüren auf. Bakhash, Sermons, Revolutionary Pamphleteering and Mobilisation, Iran 1978, in Arjomand, a.a.O., S.185.

108. Chomeini leugnete, daß die religiöse Führung eine zentrale Rolle in einem neuen politischen System übernehmen würde, oder daß er eine führende Position nehmen würde. Als man ihm fragte, ob er das Land führen würde, antwortete er, „Nein ... weder mein Alter, noch mein Wunsch, noch meine religiöse Position erlauben eine solche Situation.“ s. Irfani, a.a.O., S.163.

109. s. Marshall, Revolution and Counter-Revolution in Iran, London 1988, S.69-106.

110. Trotsky, Bonapartism and Fascism, in Trotsky, The Struggle Against Fascism in Germany, New York 1971, S.441. Während der 40er Jahre konkurrierte die Moslemische Brüderschaft in Ägypten mit einer Organisation, die sich offen mit den Nationalsozialisten von Europa solidarisch erklärte. Misr al-Fatat (Junges Ägypten) forderte der Jugend an, sich zu organisieren, um die „Nation“ zu verteidigen, und mobilisierte uniformierte paramilitärische Einheiten.

111. s. Marshall, a.a.O., S.100-2.

112. Für die Veränderung in der imperialistischen Strategie s. P. Marshall, A Test of Strength, in Socialist Worker Review 104, Dezember 1987, S.44-8 u. A. Callinicos, Socialists and the Gulf War, in Socialist Worker Review, September 1988.

113. s. P. Marshall, Socialist Worker Review, Mai 1988.

114. Über Kontakte zwischen Irak, den Golfstaaten und den US s. G. Nonnemann, Iraq, the Gulf States and the War, London 1986.

115. Die Klassenbasis und die Politik der syrischen Bewegung sind entsprechend ähnlich mit denen der ägyptischen; s. H. Batatu, Syria’s Muslim Brethren, in MERIP Reports, Nr.110, November-Dezember 1982, S.12-20.

116. Es gibt wenige wirklich fundamentalistische Gruppen in Afghanistan. Die Mehrheit des „islamischen“ Widerstands besteht aus den Stämmen, die eine Verpflichtung zu traditionellen Werten haben, aber kein Aktionsprogramm wie das, das von der fundamentalistischen Tendenz ausgearbeitet worden ist.

117. Im Falle der Türkei gibt es enge Verbindungen zwischen den Saudis und der Familie des Ministerpräsidenten Turgut Özals; s. Ronnie Margulies u. Ergin Yildizoglu, The Political Uses of Islam in Turkey, in Middle East Report, Juli-August 1988, S.15.

118. Im Falle von Ägypten s. Money on the loose, in Middle East, Januar 1988, S.22-4, der über die Tätigkeit der „islamischen“ Gesellschaften berichtet.

119. Theses on the National and Colonial Questions, in Theses, Resolutions and Manifestoes of the First Four Congresses of the Third International, London 1980, S.76-81.

120. Über den chinesischen Fall s. Writings of Leon Trotsky 1939-40, New York 1973, S.203.

121. In Iran umarmte die Tudeh Partei Chomeini als Ausdruck der anti-imperialistischen Bewegung und Vertreter der Revolution. Diese Haltung war Teil einer langen Tradition, in der man religiöse Strömungen mit unechten „fortschrittlichen“ Eigenschaften ausstattete. Rodinson zitiert „ein großartiges Stück Bravour“ vom libanesischen Kommunisten Raif Khoury. 1942 schrieb er:

Erinnert Euch jedes Mal, als Ihr den Widerhall des ursprünglichen Rufs anhört, daß Alloho akbar bedeutet, einfach gesagt: Bestraft die gierigen Wucherer! Besteuert denjenigen, die Profite anhäufen! Konfisziert das Besitztum des räuberischen Monopolisten! Gewährt Brot dem Volke! Eröffnet den Frauen den Weg zur Erziehung und zum Fortschritt! Vernichtet alle Schädlinge, die Unkenntnis und Trennung unter der Gemeinde verbreiten. (M. Rodinson, Relationships Between Islam and Marxism, in Marxism and the Muslim World, London 1979, S.31.)

 


Zuletzt aktualisiert am 14.7.2001