Sozialistische Arbeitergruppe

 

Nationale Befreiungsbewegungen
und die Aufgaben von Sozialisten

Positionspapier der Sozialistischen Arbeitergruppe (SAG)

(1972)


Transkription: Yaak Pabst u. Volkhard Mosler.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für REDS – Die Roten.


 

Einleitung: Die Entstehung bürgerlicher Nationalstaaten

Die ersten Ansätze kapitalistischer Produktion lassen sich weit in die feudale Epoche zurückverfolgen. Parallel mit der Entwicklung des Nah- und Fernhandels und der Gründung und Ausweitung städtischer Ansiedlungen veränderte die Produktion ihren Charakter. Aus der Produktion für den unmittelbaren Gebrauch entwickelte sich zunehmend die Produktion von Waren. Der Ort der Produktion fällt mit dem Ort der Konsumtion zusammen. Je weiter sich die neue Produktionsweise entfaltet, desto weiter sich die neue Produktionsweise entfaltet, desto stärker tritt der hemmende Charakter der feudalen Institutionen in Erscheinung. Die neue kapitalistische Produktionsweise erfordert große einheitliche Wirtschaftsräume, d.h. Überwindung der Kleinstaaterei und ein einheitliches Rechtssystem ohne feudale Privilegien. Garant der neuen Ordnung wird der bürgerliche Staat.

Durchgesetzt wurde das neue politische System in den bürgerlichen Revolutionen. Dabei verfolgte die aufstrebende Bourgeoisie in ihrem Kampf gegen die alte Ordnung vor allem drei Ziele: Zum einen Befreiung von den ständischen Privilegien des Adels, zum anderen Lösung der nationalen Fragen.

Zu den bürgerlichen Freiheitsrechten zählten nicht nur die individuellen Menschenrechte sondern auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker.

Mit dem Aufkommen des Imperialismus in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts stellte die Bourgeoisie der imperialistischen Länder das recht auf nationale Selbstbestimmung selbst praktisch in Frage. Im entwickelten Kapitalismus des XX. Jh. Wird nunmehr auch die nationale Integrität der imperialistischen Länder durch die neuen Erfordernisse der Kapitalakkumulation immer mehr in Frage gestellt. Schon zwischen den Weltkriegen entstand eine reihe wichtiger supranationaler Unternehmen, für die die nationalen Grenzen Hindernisse darstellten. Diese Entwicklung hat sich nach 1945 forciert fortgesetzt. Um diesen veränderten Bedingungen Rechnung zu tragen, wurden eine Reihe internationaler Institutionen geschaffen (Internationaler Währungsfond IWF, Weltbank, OECD, GATT, EU ...), die Teile früherer nationaler Souveränitätsrechte an sich rissen.

Ganz anders stellt sich das Problem für die noch nicht durchkapitalisierten Länder, die sich in imperialistischer Abhängigkeit befinden. Hier bedeutet der Kampf um nationale Unabhängigkeit, sich von unmittelbarer Ausplünderung durch den Imperialismus zu befreien.

Solange die national Unabhängigkeit nicht erkämpft ist, ist die Entwicklung der Produktivkräfte durch die Bedürfnisse der imperialistischen Länder gefesselt. Andererseits muss man sich darüber im Klaren sein, das die nationale Unabhängigkeit an sich die Probleme nicht lösen kann, wohl aber eine unabdingbare Voraussetzung darstellt.
 

1) Die Haltung von revolutionären gegen über dem Nationalgefühl der Massen

Sozialistische Revolutionäre können gegenüber dem nationalen Gefühl nicht indifferent bleiben, da auch in unserem Zeitalter der Nationalismus noch eine Strömung ist, die tief in den Massen vieler Völker verankert ist. Noch viel weniger können wir gegenüber Kämpfen neutral bleiben, die sich gegen nationale Unterdrückung richten.

Aber im Gegensatz zu bürgerlichen Radikalen, die oft unter dem Etikett des Sozialismus oder des Kommunismus auftreten, gehen Proletarische Revolutionäre von der Überzeugung aus, das der entscheidende Kampf für die Zukunft der Menschheit der Kampf des Weltproletariats gegen die Bourgeoisie ist.

Die Haltung der Revolutionäre gegenüber nationalen Kämpfen ist nicht durch abstrakte Prinzipien zu bestimmen die in jedem Fall und unter allen Umständen gelten, sondern aus den Interessen der proletarischen Weltrevolution.

Je nach den ökonomischen, sozialen oder politischen Bedingungen, die einen nationalen Unabhängigkeitskampf hervorgebracht haben, und je nach der Klasse, die die Führung in diesem Kampf innehat, kann er eine wichtige Funktion für die proletarische Weltrevolution haben. Er kann aber auch unter anderen Bedingungen – zur Konsolidierung der imperialistischen Ordnung beitragen.

Nationale Befreiungskämpfe setzen breite Massen unterdrückter und unzufriedener in Bewegung, die völlig unterschiedliche Motive und Ziele haben können; die nur durch den Hass gegen die Fremdherrschaft zusammengebracht worden sind. Obwohl solche Kämpfe unter Umständen einen progressiven Charakter haben und mitunter eine Dynamik enthalten können, die sie über ihre eigenen Grenzen hinaustreiben und in einen sozialistischen Kampf weiterführen können, sind sie in keinem Fall selbst sozialistisch.

Daher dürfen Sozialisten es in keinen Falle zulassen dass den Erfordernissen des nationalen Befreiungskämpfen die politische und organisatorische Unabhängigkeit des Proletariats geopfert wird.
 

2) Nationale Befreiungskämpfe in unterentwickelten Ländern

Heute stellt sich die nationale frage in erster Linie und in solcher Form in unterentwickelten Ländern. Für die verarmten Schichten und besonders für das Proletariat dieser Länder ist Nationalgefühl nicht anderes als der Ausdruck elementarster menschlicher Bedürfnisse, das sich gegen die Erniedrigung wendet, die die fremde Macht an ihnen verübt. Aber für die diese Schichten ist das Nationalgefühl zugleich ein erster Schritt in dem Bewusstsein, sozial ausgebeutet zu sein, was in letzter Konsequenz das nationale Proletariat in direkten Gegensatz zum ausländischen Imperialismus bringt.

Dagegen drückt das Streben nach nationaler Unabhängigkeit bei der nationalen Bourgeoisie aus, dass diese Bourgeoisie noch nicht die ökonomische und politische Herrschaft im eigenen Land erobert hat, die sie braucht, um die Bedingungen kapitalistischer Ausbeutung dauerhaft zu sichern

Fehlt eine proletarische Organisation ist sie politisch schwach so können in einem nationalen Unabhängigkeitskampf diejenigen politischen Kräfte die Führung übernehmen, die auf den Boden der nationalen Bourgeoisie stehen und aus der teilweisen Übereinstimmung der Interessen sonst feindlicher Klassen Vorteile ziehen. Sofern ein solcher Kampf gegen den Imperialismus gerichtet ist, müssen ihn Sozialisten unterstützen. Aber ein solcher Kampf, der um nationale Interessen geführt wird und der die Gegensätze zwischen den Klassen des eigenen Landes leugnet , kann bestenfalls unter bestimmten Umständen zur Schaffung eines Nationalstaates führen, der frei von imperialistischer Herrschaft ist, aber er führt den Kampf der arbeitenden Massen in eine Sackgasse.

Daher kann es für Revolutionäre Sozialisten – in welchem Land auch immer – niemals darum gehen, einen derartigen, auf die nationale Frage eingeschränkten Kampf kritiklos zu unterstützen. Nur ein auf der Klassenbasis organisiertes Proletariat kann mit Aussicht auf Erfolg die Führung im Kampf um die nationale Unabhängigkeit anstreben.

Der bewusste Teil des Proletariats muss die Widersprüchlichkeiten und die kompromisslerische Haltung selbst des radikalsten Flügels der Bourgeoisie herausstellen. Es muss beweisen, dass das Proletariat objektiv die stärkste Kraft im Kampfe um die nationale Unabhängigkeit ist, weil es keinerlei gemeinsame Interessen mit dem Imperialismus hat. Außerdem besitzt nur das Proletariat eine über die nationale Unabhängigkeit hinausweisende Perspektive. Während die Bourgeoisie von ihren ökonomischen und politischen Interessen her schon im Kampf um die nationale Unabhängigkeit niemals einheitlich und konsequent führen kann, wäre sie auch bei der Erlangung der formalen Unabhängigkeit niemals in der Lage, die nationale Wirtschaft den Zwängen des imperialistisch organisierten Weltmarktes zu entziehen.

Anderseits muss die Lösung der nationalen Unabhängigkeit auch für das Proletariat illusionär bleiben. Zwar wird es sich aufgrund des Charakters der zentral geplanten Wirtschaft kurzfristig etwas wirkungsvoller gegen die unmittelbaren Eingriffe ausländischen Kapitals zur Wehr setzen können, aber auch nicht mehr (hier liegt auch der für die Entwicklung der Produktivkräfte geringe Vorteil einer staatskapitalistischen gegenüber einer privatkapitalistischen Entwicklung ohne das damit notwendig irgendein Vorteil für die Situation der Arbeiterklasse einhergehen muss).

Ist das Proletariat nicht in der Lage, den im Rahmen des nationales Kampfes zu sprengen, so sieht es sich am Ende der Unabhängigkeitskampfes mit der fatalen Alternative konfrontiert: Entweder autarke Wirtschaftsentwicklung durch völligen Ausschluss vom Weltmarkt, d.h. ungeheure ökonomische Schwierigkeiten und wirtschaftliches Wachstum im Schneckentempo oder Ausnutzung der Vorteile internationaler Arbeitsteilung, das heißt aber die faktische Abhängigkeit von den hoch industrialisierten Ländern.

Aus dieser Perspektivlosigkeit des nur nationalen Kampfes wird ersichtlich, dass sich die Rolle des Proletariats nicht darauf beschränken kann, an der Spitze der anderen Schichten des Volkes die Errungenschaften einer nationalen Befreiung zu sichern, ohne selbst sowohl über den bürgerlichen-demokratischen wie den nationalen Charakter der Revolution hinauszugehen.

Das Proletariat jedes unterentwickelten Landes ist selbst unmittelbarer Bestandteil des Weltproletariats, und als solches gehen seine historischen Aufgaben über den nationalen Rahmen hinaus.

Eine proletarische revolutionäre Organisation in einem unterentwickelten Land würde vor ihren besonderen historischen Aufgaben abdanken, wenn sie aus Furcht davor, im Nationalismus befangen zu bleiben, sich weigern würde, die Notwendigkeit eines nationalen Befreiungskampfes in ihre Strategiebildung mit einzubeziehen. Aber ebenso wäre es ein Abdanken, wenn sie vor dem Nationalismus kapitulieren würde. Das würde bedeuten, die eigenen Interessen denen der Bourgeoisie unterzuordnen.

Die revolutionäre Organisation muss das Nationalgefühl der Massen aufgreifen und zugleich seinen Klasseninhalt herausstellen.

In einer ersten Phase kann das Nationalgefühl eine mächtige revolutionäre Kraft sein, insofern nämlich, als es bewirkt, dass sich breite Massen des Volkes – vor allem Bauern – hinter das Proletariat stellen. Auch wenn der Kampf des Proletariats um die nationale Unabhängigkeit von anderen Schichten der Bevölkerung unterstützt wird, darf das Proletariat niemals auf eine autonome Organisierung verzichten.

So haben etwa während des Algerienkrieges revolutionäre Gruppen in der Weise versagt, dass sie nicht für den Aufbau einer revolutionären Organisation der algerischen Arbeiter kämpften, sondern die Arbeiter in die Arme nationalistischer Organisationen (FNL oder MNA) trieben.

Um ihre Kapitulation zu verschleiern, dichteten sie diesen Organisationen schließlich sogar proletarisch sozialistischen Charakter an. Damit haben auch sie zur heutigen Militärdiktatur Boumediennes beigetragen (der wiederum heute noch von manchen linken Gruppen als Sozialist verkannt wird).

Die gleiche Kapitulation hat die meisten revolutionären Gruppen dahin gebracht, im palästinensischen Widerstand so etwas wie eine “arabische Revolution” zu entdecken und in der nationalistischen Organisationen wie Al Fatah Ansätze zu sozialistischen Organisationen zu sehen. Anstatt die arabischen Arbeiter vor diesen kleinbürgerlich-nationalistischen Organisationen zu warnen, anstatt ihnen zu helfen, eigene Klassenorganisationen aufzubauen, haben sie die Arbeiter getäuscht, indem sie sie stärker an Führer gebunden haben, die nicht nur in keinem Sinn Sozialisten sind, sondern – wie die letzten Ereignisse zeigen – die es nicht einmal wagen, ein konsequenten Kampf gegen die arabische Reaktion zu führen. Wir kennen mittlerweile den Preis, den die palästinensischen Massen dafür an Israel und Hussein bezahlen mussten.

Die gleiche Kapitulation hat fast alle revolutionären Gruppen der Welt dazu gebracht den vietnamesischen Krieg eine sozialistische Dynamik zu unterstellen und die FNL als revolutionäre proletarische Organisation auszugeben. Wenn auch der Kampf des vietnamesischen Volkes die absolute Unterstützung aller revolutionären Sozialisten erfordert, haben wir doch die Pflicht zu sagen, das unter Führung der FNL allenfalls zur Errichtung eines staatskapitalistischen Systems führen kann, aber keinesfalls die erste Etappe einer proletarisch-sozialistischen Revolution darstellt.

Schließlich wäre es die gleiche Kapitulation, wenn man aus der Notwendigkeit den Kampf der Nordiren in Ulster zu unterstützen, ableiten würde, dass dieser Kampf unter Führung der IRA den Charakter eines sozialistischen Kampfes hätte. Die revolutionäre Avantgarde der Arbeiter in Ulster muss versuchen, die Führung im Kampf gegen die britischen Unterdrücker einzunehmen. Aber dafür müssen sich die irischen Arbeiter unabhängig auf einer Klassenbasis organisieren und offen erklären, dass es zugleich gilt, die protestantische Bourgeoisie in Nordirland und die Bourgeoisie in Eire zu stürzen. Dafür ist die Verbindung mit dem britischen und südirischen Proletariat unerlässlich. Dabei muss der Kampf gegen jede Form des Nationalismus innerhalb der Arbeiterbewegung geführt werden.

Die Aufgabe britischer revolutionärer Organisationen ist es, nicht einfach einen Kampf unter bürgerlicher Führung zu unterstützen, sondern irischen Arbeitern zu helfen, dass sie sich ihrer Klasseninteressen bewusst werden und eine eigene revolutionäre Organisation aufbauen können.
 

3. Der Kampf der Schwarzen in den USA

In ähnlicher Weise stellen sich die Aufgaben für Revolutionäre im Fall der Revolte der Schwarzen in den USA. Infolge der Rassendiskriminierung sind die schwarzen Arbeiter, eine der am meisten ausgebeuteten Schichten der amerikanischen Gesellschaft, zum Bewusstsein ihrer Lage gekommen. Durch die Methode des offenen Kampfes für ihre Rechte hat ein großer Teil der schwarzen Arbeiter die Notwendigkeit eingesehen, der unterdrückenden Gewalt die eigene Gewalt entgegenzustellen.

Dieses Bewusstsein der am stärksten ausgebeuteten Schicht des amerikanischen Proletariats, der wichtigsten Arbeiterklasse der Welt, ist von außerordentlicher Bedeutung für den Kampf des Weltproletariats.

Es kann für Sozialisten weder darum gehen, der Bewegung der amerikanischen Schwarzen bloß zuzuschauen, noch die gegenwärtigen Führer der Bewegung zu unterstützen.

Der Aufbau einer echten revolutionären proletarischen Organisation ist eine Notwendigkeit für die sozialistische Bewegung in den USA. Eine derartige Organisation müsste den Kampf weiterführen, aber nicht im Namen eines schwarzen Nationalismus, sondern im Namen des amerikanischen und internationalen Proletariats. Das setzt eine Strategie voraus, die die gesamte amerikanische Arbeiterklasse einbezieht. Sie müsste sich unbedingt in Konflikte einschalten, von denen auch weiße Arbeiter betroffen sind, damit sich so Stärke, Disziplin und Zusammenhalt der kämpfenden schwarzen Massen auf die weißen Arbeiter übertragen können, und so der Einfluss der gegenwärtigen bürgerlichen Führung der amerikanischen Arbeiterorganisationen zurückgedrängt werden kann.
 

4. Wann die nationale Frage stellen?

In den vom Imperialismus unterdrückten Ländern ist das Problem der nationalen Unabhängigkeit untrennbar mit den politischen und ökonomischen Interessen der Arbeiterklasse verbunden. Solange die Abhängigkeit vom Imperialismus besteht, ist jeder ökonomische und politische Kampf der Arbeiterklasse immer auch gegen die imperialistische Unterdrückung gerichtet.

Ganz anders sieht die Situation in Ländern aus, in denen nationale Unterdrückung nicht existiert oder für die Massen bedeutungslos ist. Sofern dort nationalistische Tendenzen oder Bewegungen existieren, sind sie Ausdruck partikularer Interessen, sich Privilegien zu erhalten oder zu verschaffen. Der Nutznießer ist dabei in jedem Fall die Bourgeoisie.

So hat die Erhitzung des Sprachenkonflikts zwischen Flamen und Wallonen in Belgien seinerzeit wesentlich dazu beigetragen, die einheitliche Kampffront der belgischen Arbeiter, wie sie sich in mehreren großen Streiks manifestiert hatte, wesentlich zu schwächen.

Welch Geistes Kind der Separatismus der Franko-Kanadier ist, hat die Tatsache erhellt, dass er in General de Gaulle einen eifrigen Fürsprecher gefunden hat, ohne dass sich die dortige Bewegung deutlich davon distanziert hätte.

Auch der kroatische Nationalismus ist offensichtlich reaktionär. An der Spitze des Kampfes befanden sich die örtlichen bzw. regionalen Parteispitzen (der KP), die auf diese Weise ihren Einfluss in Partei- und Staatsorganen vergrößern wollen. Ihr unmittelbares Ziel war es zu verhindern, dass ein Teil der im wirtschaftlich begünstigten Kroatien erwirtschafteten Devisen ärmeren Landesteilen wie Mazedonien und Montenegro zugute kommen solle.

Wie ernst das Bestreben der kroatischen Nationalisten nach Unabhängigkeit war, wird daran ersichtlich, dass sie sogar Verbindungen mit Moskau gegen die Belgrader Führung suchten, obwohl es der historische Verdienst Titos ist, den gemeinsamen Kampf der verschiedenen Nationalitäten Jugoslawiens (Serben, Kroaten, Slowenen, ...) zuerst gegen die faschistischen Armeen Deutschlands und Italiens und schließlich gegen die totale Abhängigkeit von Moskau geführt zu haben.

Ein besonderes Problem der nationalen Fragen stellt die deutsche Teilung dar. Sie ist Ergebnis des Zweiten Weltkriegs und Ausdruck eines Kompromisses der Siegermächte.

Die Teilung Deutschlands in Besatzungszonen und später dann zwei Teilstaaten wurde auf jeden Fall gegen den Willen und gegen die Interessen der deutschen Arbeiterklasse vollzogen. Im östlichen wie im westlichen Teil wurde die Arbeiterklasse von der politischen Macht ausgeschlossen, wobei den Besatzungsmächten von SPD und KPD bzw. SED Schützenhilfe geleistet wurde.

In der Entwicklung der BRD wurde die Forderung nach Wiedervereinigung bald gleichbedeutend mit dem Verlangen nach Annexion der DDR durch das westdeutsche und amerikanische Kapital. Die Beschwörung der Wiedervereinigungsformel diente als Waffe im Arsenal der herrschenden Klasse zur Pazifizierung der Arbeiterklasse.

Ein einziges Mal wurde das Problem der nationalen Einheit von einem Teil Teil der deutschen Arbeiterklasse praktisch auf die Tagesordnung gesetzt: Beim Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953, der sich direkt gegen die russische Besatzungsmacht und die stalinistische Bürokratie in Ost-Berlin richtete, sich aber gleichzeitig vom US-Imperialismus und westdeutscher Kapitalisten distanzierte.

Gegenwärtig wird die “deutsche Frage” in Übereinstimmung der amerikanischen und russischen Interessen im Rahmen der “Entspannungs- und Friedenspolitik” heruntergespielt. Dieser Zustand ist allein Ausdruck der gegenwärtigen Interessenskonstellation der Großmächte, kann sich also bei einer Veränderung der weltpolitischen Situation über Nacht ändern.

Wenn auch revolutionäre Sozialisten das Recht der Siegermächte auf Teilung Deutschlands (und der Welt) mit Nachdruck bestreiten müssen, so hat diese Position doch nicht das Mindeste mit dem reaktionären Wiedervereinigungsgeschwafel des westdeutschen Bourgeoisie zu tun. Die einzige Perspektive für die Arbeiterklasse, die allerdings heute abstrakt ist, ist diejenige, die die ostdeutsche Arbeiterklasse 1953 aufgezeigt hat: Verbindung des Kampfes gegen die fremde Besatzung mit dem Kampf gegen die eigene herrschende Klassen.

Allgemeiner formuliert: Im Falle einer Konfrontation imperialistischer Mächte kann es für revolutionäre Sozialisten niemals Parteinahme für eine der beiden Seiten im Rahmen einer "nationalen Verteidigung" geben.
 

5) Gegen die Unterdrückung durch die russische Bürokratie

Die Tatsache, dass die herrschende Klasse Russlands als der wichtigste Rückhalt der Diktaturen in den Volksrepubliken erscheint, führt zwangsläufig dazu, dass die sozialen Kämpfe in diesen Ländern einen mehr oder weniger ausgeprägten nationalistischen Aspekt bekommen. Der Rückzug sowjetischer Truppen und die Revision der ungleichen Handelsabkommen mit der UdSSR gehörten zu den Hauptforderungen der ungarischen Arbeiter in der Revolution von 1956.

Revolutionäre Sozialisten müssen gegen die nationale Unterdrückung kämpfen, die die UdSSR in den Volksrepubliken ausübt. Aber die Forderung nach Abzug russischer Truppen ist an sich weder sozialistisch noch revolutionär. Nationalistische Reformkommunisten

wie Nagy, Gomulka oder Dubcek waren nie daran interessiert, die Herrschaft der Partei- und Staatsbürokratie über das Proletariat zu beseitigen, sondern nur die Herrschaftsform im Interesse einer anderen Fraktion der Bürokratie zu modifizieren.

Weil die russische Bürokratie zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft diktatorische Maßnahmen bedarf, kann sie keine elementaren demokratischen Rechte tolerieren, das Recht auf Selbstbestimmung der Völker innerhalb der UdSSR muß eine wichtige Forderung revolutionärer Sozialisten sein. Die berechtigten Forderungen dürfen nicht den bürgerlichen Nationalisten überlassen bleiben, die dahinter ihre eigenen Interessen zu verbergen suchen.

Die verschiedenen nationalen Probleme haben bis jetzt noch keine Lösung gefunden und werden auch in einer Welt keine Lösung finden, die zwischen imperialistischen Mächten aufgeteilt ist.

Die Herrschaft der Klassen ist letzten Endes auch die Ursache nationaler Unterdrückung. Nur der Sieg des Proletariats im Weltmaßstab kann die Vorraussetzung für den Sozialismus schaffen der das Ende aller Formen der Unterdrückung bedeuten kann. Das ist das Wichtigste, was Sozialisten in nationalen Auseinandersetzungen zu sagen haben.

 


Zuletzt aktualisiert am 7.3.2007