Duncan Hallas

 

Trotzkis Marxismus

 

4. Partei und Klasse

Marx stellte fest, daß die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein kann. Gleichermaßen stellte er jedoch fest, daß die herrschende Klasse über „die geistigen Produktionsmittel“ verfügt und folglich „die herrschenden Ideen ... in jeder Epoche die Ideen der herrschenden Klasse“ sind.

Aus diesem Widerspruch erwächst die Notwendigkeit der revolutionären sozialistischen Partei. Die Beschaffenheit dieser Partei und ihr Verhältnis zur Arbeiterklasse waren von Anfang an entscheidende Fragen für sozialistische Bewegungen. Sie waren niemals bloß technische Fragen der Organisierung. Zu jeder Zeit war der Streit über das Verhältnis zwischen Partei und Klasse und somit auch über die Beschaffenheit der Partei gleichzeitig ein Streit über die Ziele der Bewegung. Unterschiedliche Meinungen über Mittel drückten immer notwendigerweise auch unterschiedliche Meinungen über Ziele aus. Marx’ Differenzen mit Proudhon, Schapper, Blanqui, Bakunin u.a. in dieser Frage waren immer gleichzeitig Meinungsverschiedenheiten über das Wesen des Sozialismus als Endziel und über die Mittel, wodurch er erreicht werden kann.

Nach dem Tod Marx’ (1883), und dem Tod Engels’ zwölf Jahre später, gab es ein massives Wachstum der sozialistischen Parteien. In Rußland entstand recht früh ein Streit über Art und Struktur der Partei, die aufgebaut werden sollte, der sich später zu einem fundamentalen Konflikt entwickelte.

Trotzkis früheste Ansichten über die Beschaffenheit der revolutionären Partei waren im wesentlichen dieselben wie diejenigen, die man später als „leninistisch“ bezeichnete. Laut seinem Biographen Isaac Deutscher legte er schon 1901 diese Ansichten dar, als er im sibirischen Exil war, unabhängig von Lenin. [1] Er wurde wenigstens einer der ersten Anhänger der Iskra-Gruppe und auf dem Kongreß der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei 1903 war er Befürworter einer stark zentralisierten Organisationsform: „Unsere Satzung ... stellt das organisierte Mißtrauen der Partei gegenüber all ihren Sektionen dar, d.h. Kontrolle über örtliche, regionale, nationale und andere Sektionen.“ [2]

Auf dem gleichen Kongreß distanzierte er sich entschieden von dieser Position, nachdem er sich in der Spaltung der Iskra-Tendenz beim Kongreß für die Menschewiki Partei ergriffen hatte. Innerhalb eines Jahres wurde er der herausragende Kritiker des bolschewistischen Zentralismus. 1904 beschrieb er, wie er die Folgen von Lenins Methode sah: „Zunächst wird die Partei durch die Parteiorganisation, dann die Parteiorganisation durch das Zentralkomitee und zum Schluß das Zentralkomitee durch einen ‚Diktator‘ ersetzt...“ [3]

Wie Rosa Luxemburg war auch Trotzki mißtrauisch gegenüber Parteikonservatismus und er betonte immer wieder die, vorrangige Rolle der spontanen Aktivität der Arbeiterklasse.

Der Konservatismus der europäischen sozialistischen Parteien – und vor allem der der deutschen – nimmt im gleichen Schritt zu, wie die Massen, die sie beeinflussen, die Leistungsfähigkeit Ihrer Organisationen und ihre Parteidisziplin zu nehmen. Gerade deswegen ist es möglich, daß die Sozialdemokratie ein Hindernis im Wege irgendeines offenes Zusammenstoßes zwischen Arbeitern und Bourgeoisie wird. [4]

Um diesen Parteikonservatismus zu überwinden, verließ er sich auf der spontanen Flut der Revolution, die – wie er unter dem Eindruck der Ereignisse von 1905 schrieb – „die Parteiroutine tötet, der Konservatismus der Partei zerstört“. [5] Auf diese Weise werde die Aufgabe der Partei grundsätzlich auf Propaganda beschränkt, sie sei nicht „Vorhut der Arbeiterklasse“.

Trotzkis Ängste in dieser Hinsicht waren nicht unbegründet. Die Bolschewiki zeigten sowohl 1905 als auch 1917 einen gewissen Konservatismus. [6] Im Westen, wo der Konservatismus der Partei eine unvergleichbar größere materielle Basis in den Privilegien der Bürokratie der Arbeiterbewegung hatte, spielte er 1918-19 eine entscheidende konterrevolutionäre Rolle.

Die Erfahrung des Jahres 1905, wo Trotzki eine ganz außerordentliche Rolle als Einzelner ohne ernsthafte Parteiverbindungen – namentlich gehörte er zu jener Zeit den Menschewiki, war aber im wesentlichen ein Einzelgänger– spielte, verstärkte zweifellos seine Überzeugung, daß die spontane Aktivität der Massen ausreichte.

In der Periode der Reaktion nach 1906 und auch in der Zeit nach 1912, als die Arbeiterbewegung einen Aufschwung erlebte, setzte er seine Kritik an den bolschewistischen „Substitutionismus“ fort. Seine Plädoyers für die „Einheit“ aller Strömungen der Sozialdemokratie waren in der Hauptsache gegen die Bolschewiki gerichtet. Als sich nach 1920 die Gefahr des wirklichen Substitutionismus in der Partei verbreitete, hat diese Erfahrung vielleicht dazu beigetragen, daß Trotzki diese Gefahr nur sehr langsam erkannte.

Die Fehler an Trotzkis Positionen von 1904 bis 1917 wurden im Verlauf der Ereignisse sichtbar. Ohne Lenin, schrieb Trotzki nachher, hätte bestimmt keine Revolution stattgefunden. Ausschlaggebend sei weniger Lenins berühmte Ankunft im April 1917 auf dem Finnischen Bahnhof in Petrograd, sondern vielmehr die Partei, die er und seine Genossen die Jahre zuvor aufgebaut hätten. Zwar hätte der Parteikonservatismus vieler Bolschewiki – durch die Theorie der „demokratischen Diktatur“, an der Lenin so lange festhielt, verstärkt – beinahe die Machtübernahme verhindert. Insofern seien Lenins Ankunft, die Autorität, die er bei seinen Genossen hätte und die Entschiedenheit, mit der er vorginge, ausschlaggebend für die Sicherung der Revolution gewesen. Aber ohne die Partei mit all ihren Schwächen wäre die Machtübernahme überhaupt nie in Frage gekommen. „Spontane“ Massenaktionen können zwar manchmal ein autoritäres Regime stürzen, wie im Februar 1917 in Rußland, 1918 in Deutschland und in Österreich-Ungarn, oder mehrmals seit dieser Periode, jüngstens 1979 im Iran.

Wenn aber die Arbeiter die Macht übernehmen und behalten wollen, ist eine Partei leninistischer Art unentbehrlich, wie Trotzki 1917 schließlich anerkannte. Später hat er diesen Standpunkt nie verlassen. Im Gegenteil. Er hat ihn scharf verteidigt. 1932 widerlegte er die Behauptung: „die Interessen der Klasse haben vor den Interessen der Partei Vorrang“ mit folgendem Wortlaut:“

Die Klasse an sich ist nur Ausbeutungsmaterial. Die selbständige Rolle des Proletariats beginnt dort, wo es aus einer sozialen Klasse an sich zu einer politischen Klasse für sich wird. Das vollzieht sich nicht anders als durch Vermittlung der Partei. Die Partei ist das historische Organ, durch dessen Vermittlung die Klasse zum Selbstbewußtsein kommt. Zu sagen: „Die Klasse steht höher als die Partei“ heißt behaupten: „Die urwüchsige Klasse steht höher als die zu Bewußtsein kommende Klasse“. Das ist nicht nur falsch, sondern reaktionär.“ [7]

Diese Beweisführung beinhaltet einige sehr offensichtliche Schwierigkeiten. Vor allem hat die Geschichte gezeigt, daß das „historische Organ“, wodurch die Arbeiterklasse zum Bewußtsein kommen sollte, degenerieren kann. Wie also kann eine Parteiorganisation vor Degeneration geschützt werden?

 

 

Das historisch bedingte Instrument

Trotzki war sich dieses Problems bewußt. Er hatte ja 1914 den Zerfall der 2. Internationale, 1918-19 die offene konterrevolutionäre Rolle der Sozialdemokratie und zum Schluß den Aufstieg des Stalinismus erlebt. Dazu schrieb er weiter:

Der Weg der Klasse zum Selbstbewußtsein, d.h. die Herausbildung einer revolutionären Partei, die das Proletariat hinter sich herführt, ist ein verwickelter und widerspruchsvoller Prozeß. Die Klasse ist nicht homogen. Ihre verschiedenen Teile kommen auf verschiedenen Wegen und zu verschiedenen Zeitpunkten zu Bewußtsein. Die Bourgeoisie nimmt aktiven Anteil an diesem Prozeß. Sie schafft ihre Organe innerhalb der Arbeiterklasse oder benutzt die vorhandenen, indem sie bestimmte Schichten von Arbeitern anderen gegenüberstellt. Im Proletariat wirken gleichzeitig verschiedene Parteien. Politisch bleibt es daher den größten Teil seines historischen Weges gespalten. Daraus erwächst in bestimmten Perioden mit außerordentlicher Schärfe das Problem der Einheitsfront. Die Partei drückt – bei richtiger Politik – die historischen Interessen des Proletariats aus. Ihre Aufgabe besteht darin, die Mehrheit des Proletariats zu erobern, nur so ist auch der sozialistische Umsturz möglich. Ihre Mission kann die Kommunistische Partei nicht anders erfüllen als durch volle und bedingungslose Wahrung der politischen und organisatorischen Unabhängigkeit anderen Parteien und Organisationen innerhalb und außerhalb der Arbeiterklasse gegenüber. Der Verstoß gegen diese Grundforderung der marxistischen Politik ist das schwerste aller Verbrechen an den Interessen des Proletariats als Klasse [...] Doch das Proletariat kommt nicht über Schultreppen zum revolutionären Selbstbewußtsein, sondern durch den Klassenkampf, der keine Unterbrechung duldet. Zum Kampf braucht das Proletariat die Einheitsfront. Das gilt gleichermaßen für wirtschaftliche Teilkonflikte innerhalb des einzelnen Betriebes als auch für solche „nationalen“ politischen Kämpfe wie die Abwehr des Faschismus. Die Einheitsfront-Taktik ist also nichts Zufälliges oder Künstliches, irgendein schlaues Manöver, sondern erwächst ganz und gar aus den objektiven Entwicklungsbedingungen des Proletariats. [8]

Diese klare stimmige und realistische Analyse war keine zeitlose soziologische Verallgemeinerung. Sie war in der wirklichen historischen Entwicklung verwurzelt. Die Parteien der 2. Internationale (d.h. die Sozialdemokraten) hätten einmal:

eigene Festungen, Grundlagen, eigene Zentren der proletarischen Demokratie [die Arbeiterorganisationen, insbesondere die Gewerkschaften] geschaffen ... Für den revolutionären Weg sind solche Stützpunkte der Arbeiterdemokratie innerhalb des bürgerlichen Staates absolut erforderlich. Auf die Schaffung solcher Basen lief ja die Arbeit der Zweiten Internationale in jener Epoche hinaus, als sie noch eine progressive historische Arbeit versah. [9]

Im Laufe der Zeit verfaulten sie aber von innen heraus, indem sie sich der Gesellschaft, in der sie wirkten, anpaßten. Diese Entwicklung hätte natürlich eine materielle, nicht bloß eine ideologische Grundlage. Am 4. August 1914 kapitulierten sie vor „ihrer eigenen“ Bourgeoisie (mit einzelnen Ausnahmen, wie die Bolschewiki, die Bulgaren, die Serben) bzw. nahmen sie eine schwankende „zentristische“ Stellung ein (wie z.B. die Italiener, die Skandinavier, die Amerikaner und verschiedene Minderheiten anderswo). Aus diesen Kapitulationen, aus den so hervorgerufenen Spaltungen, aus der steigenden Flut der Opposition zum Krieg in der Arbeiterklasse, die ab 1916 überall spürbar wurde, und aus den Revolutionen von 1917 und 1918 entstand die Kommunistische Internationale – „die direkten Fortsetzer der heroischen Anstrengungen einer langen Reihe revolutionärer Generationen, von Babeuf bis Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.“ [10]

So übernahm sie die Rolle als „das historische Organ, durch dessen Vermittlung die Klasse zum Selbstbewußtsein kommt“. Die Parteien der Komintern hatten vor allem nach 1923 eine Reihe grober Fehler begangen (Trotzki war natürlich keineswegs gegenüber ihrer früheren Fehler blind) und verfolgten unter der Führung von Stalin und den herrschenden Kreisen in der Sowjetunion zunehmend eine sektiererische bzw. opportunistische Politik. Nichtsdestoweniger wurden trotz ihrer Fehler sie zu einem realen Machtfaktor, der keineswegs eine Hypothese war. Sie genossen die Unterstützung und Sympathie von Millionen in der ganzen Welt. Gerade ihre Fehler zeigten, daß die Komintern eine echte Massenorganisation geworden war. Trotzki war nicht der simplistischen Meinung, daß die großen Parteien der Komintern nichts anderes als Instrumente der stalinistischen Bürokratie in Rußland seien. Das Problem bestand vielmehr darin, ihre Fehler zu korrigieren. „Das Gesicht zur Kommunistischen Partei. Sie muß man belehren, sie muß man überzeugen. [11]

 

 

Parteidemokratie

Die innere Demokratie der Partei war dabei eine politische Lebensnotwendigkeit. Trotzki schrieb 1931:

Erzieht die Kader und klärt sie über den revolutionären Weg der Partei auf. In diesem Kampf gewinnen alle Parteimitglieder großes Vertrauen in die Richtigkeit der Politik der Partei und die revolutionäre Zuverlässigkeit der Führung. Nur diese, aus der Erfahrung in der ideologischen Auseinandersetzung gewonnene Überzeugung der gesamten Mitgliedschaft ermöglicht es der Führung, im gegebenen Moment die ganze Partei in den Kampf zu führen. Und nur das tiefverwurzelte Vertrauen der Partei selbst in die Richtigkeit ihrer Politik flößt den Arbeitermassen Vertrauen zur Partei ein. Künstliche, von außen aufgezwungene Gruppierungen, das Fehlen einer freien und ehrlichen ideologischen Auseinandersetzung [...] – das ist es, was heute die spanische Kommunistische Partei lähmt. [12]

Was Trotzki hier mit Bezug auf die KP Spaniens schrieb, hat allgemeine Gültigkeit.

Die Frage war allerdings nicht ganz so einfach wie hier dargestellt. Kurz nach seiner Abschiebung 1929 faßte Trotzki zusammen, was er als die wichtigsten Fragen für Anhänger der Linken Opposition in Europa betrachtete. Er nannte ihre Haltung zum anglo-russischen Gewerkschaftskomitee, zur chinesischen Revolution und zum „Sozialismus in einem Lande“. Die Frage des Parteiregimes nannte er dagegen nicht.

Einige Genossen mögen erstaunt sein, daß ich nicht über die Frage des Innenlebens der Partei sprach. Ich tat dies nicht aus Versehen, sondern absichtlich. Das Innenleben einer Partei ist nichts unabhängig in der Luft Schwebendes. Im Verhältnis zur Parteipolitik ist es eine abhängige Größe. Die unterschiedlichsten Elemente sympathisieren mit dem Kampf gegen den stalinistischen Bürokratismus ... Für Marxisten ist Demokratie innerhalb einer Partei wie innerhalb eines Landes keine Abstraktion. Demokratie ist immer abhängig vom Kampf lebendiger Kräfte. Opportunistische Elemente mißverstehen revolutionären Zentralismus als Bürokratismus. Selbstverständlich können diese Leute nicht unsere Mitarbeiter sein. [13]

Wenn man Trotzkis Schriften nach 1917 durchgeht, kann man eine Reihe Aussagen finden, die die Tugend innerparteilicher Demokratie lobpreisen und rein „administrative“ Maßnahmen verurteilen, und eine andere Reihe, die die Notwendigkeit von Säuberungen und Ausschlüssen befürworten. Und in keinem Fall hätte man Zitate aus ihrem Zusammenhang gerissen. Die Erklärung dafür ist folgende: Das Verhältnis zwischen Zentralismus und Parteidemokratie enthielt für Trotzki keine ewigen Werte. Es war immer eine Frage des politischen Inhalts in spezifischen, sich ändernden, Umständen. Gegen Ende 1932 schrieb er:

Das Prinzip der innerparteilichen Demokratie ist keineswegs das Prinzip der offenen Tür. Die Linke Opposition hat von den Stalinisten nie verlangt, daß sie die Partei in eine mechanisch zusammengezählte Summe von Gruppierungen, Sekten und Einzelgängern verwandelt. Unsere Kritik an der zentristischen Bürokratie läuft darauf hinaus, daß sie eine falsche Politik verfolgt, daß sie wegen dieser falschen Politik in Widerspruch zu den besten Teilen des Proletariats steht, und das sie versucht, solche Widersprüche durch die Unterdrückung der Parteidemokratie zu lösen. [14]

Das mag widersprüchlich scheinen. Rein formell gesehen, ist es auch widersprüchlich. Die Lösung des Widerspruchs findet man in der Dynamik der Parteientwicklung. Trotzki meinte, die Partei könne vielleicht zahlenmäßig wachsen, sie werde aber ihren Einfluß unter den Massen nicht weiter verbreiten können, wenn keine Wechselwirkung zwischen der Partei und immer breiteren Massen der Arbeiter bestehe. Aus diesem Grund sei die Parteidemokratie unentbehrlich. Nur sie mache eine Rückkoppelung der Erfahrungen der Klasse in die Partei möglich. Auch wenn eine solche Rückkoppelung nicht möglich sei, wenn durch objektive Umstände eine Verbreiterung des Einflusses der Partei ausgeschlossen sei, müsse die Partei für diese Rückkoppelung offen bleiben, um überhaupt die Chancen zu ergreifen, wenn sie sich von Zeit zu Zeit ergäben.

Zu jeder Zeit müsse die Partei gegenüber der Klasse so offen, flexibel und sensibel bleiben, wie es überhaupt möglich sei, ohne der revolutionären Integrität der Partei zu schaden. Dieser letzte Vorbehalt sei wichtig. Denn unter ungünstigen Umständen könnten die Verbindungen zwischen der Partei und den Schichten der fortgeschrittenen Arbeiter sich schwächen, und das Problem von „Fraktionen, Gruppierungen und Sekten“ sich so verstärken, daß dies zum Hindernis für die Entwicklung der Parteidemokratie im Trotzki’schen Sinne werde. Für ihn stelle diese einen Mechanismus dar, durch den die Partei sich zu immer breiteren Sektionen der Arbeiterklasse verhalte, von ihnen lerne und dabei von ihnen einen Führungsanspruch verdiene. So faßte Trotzki die Parteidemokratie auf.

Die Argumentation ist sicherlich zu abstrakt geblieben. Um sie etwas zu konkretisieren, schauen wir den Abschnitt von Trotzkis Geschichte der Russischen Revolution an, wo Lenins Isolation gegenüber der Mehrheit der Parteiführung nach Februar 1917 beschrieben wird.

Gegen die alten Bolschewiki fand Lenin [im April 1917] in einer anderen, bereits gestählten, aber frischeren und mehr mit den Massen verbundenen Parteischicht Unterstützung. In der Februarrevolution hatten die bolschewistischen Arbeiter, wie wir wissen, die entscheidende Rolle gespielt. Sie betrachteten es als selbstverständlich, daß jene Klasse die Macht übernehmen müsse, die den Sieg errungen hatte. [...] Fast überall gab es linke Bolschewiki, die man des Maximalismus und sogar des Anarchismus beschuldigte. Den revolutionären Arbeitern fehlten nur die theoretischen Mittel, um ihre Position zu verteidigen. Doch waren sie bereit, den ersten Zuruf mit Widerhall zu beantworten. An dieser Arbeiterschicht, die während des Aufschwungs der Klassenkämpfe 1912-14 politisch bewußt geworden war, orientierte sich Lenin. [15]

Dieses Modell erscheint immer wieder in Trotzkis Schriften. Anders als eine Sekte werde eine Massenpartei vor allem in revolutionären Situationen von mächtigen Kräften geschüttelt. Diese Kräfte kämen selbstverständlich auch innerhalb der Partei zum Ausdruck. Um die Partei auf dem Kurs zu halten (in der Praxis, um den Kurs in einer sich verändernde Situation ständig zu korrigieren) finde das komplizierte Verhältnis zwischen der Führung, den verschiedenen Schichten der Kader und den Arbeitern, die sie beeinflussen und von denen sie beeinflußt werden, in einem politischen Kampf innerhalb der Partei seinen Ausdruck, und das müsse so sein. Wenn dieser politische Kampf durch administrative Mittel erwürgt werde, dann werde die Partei sich verlaufen.

Eine unentbehrliche Aufgabe der Parteiführung, die selbst durch Selektion im Laufe früherer Kämpfe gebildet worden sei, sei es zu verstehen, wann es aufgrund ungünstiger äußerer Umstände notwendig sei, die Reihen geschlossen zu halten, den Kern der Organisation vor Auflösung zu bewahren. Sei die äußere Situation günstig, müsse die Parteiführung es verstehen, die Organisation den fortgeschrittenen Arbeitern in und außerhalb der Partei zu öffnen. So könne der Parteikonservatismus überwunden werden und die Partei bleibt gegenüber den neuen Ereignissen reaktionsfähig.

Diese Konzeption deutet auf eine sehr ausgeprägte Funktion der Parteiführung hin. In der Tat stellte Trotzki noch 1938 fest: „Die historische Krise der Menschheit ist auf die Krise der revolutionären Führung reduzierbar.“ Diesem Verständnis zufolge wuchs der Parteikader organisch aus den und durch die Erfahrungen der Partei im Laufe des Klassenkampfes. Dieser Kader müsse erstens eine Tradition und die Erfahrungen der Vergangenheit (von Babeuf bis zu Liebknecht) sowie die Lehren der Strategie und Taktiken verkörpern, die über mehrere Jahre in verschiedenen Ländern geprüft worden seien. Dieses wissen sei hauptsächlich theoretisches Wissen, eine Tatsache, die Trotzki keineswegs unterschätzte. Es sei eine notwendige Voraussetzung für erfolgreiche Führerschaft, aber nicht allein ausreichend. Dazu komme die Erfahrung der Partei in Aktion und ihr wechselndes Verhältnis zu den verschiedenen Sektionen der Arbeiterklasse. Dies sei der zusätzliche unentbehrliche Faktor, der nur in der Praxis entwickelt werden könnte.

 

 

Eine Anomalie

Zu Trotzkis Zeit hielt nur eine Kommunistische Partei die Staatsmacht, und zwar die der UdSSR (außer in den Gebieten, die während der dreißiger Jahre unter der Kontrolle der KPCh lagen).

Trotzki klassifizierte sie alle als „bürokratisch zentristische“ Organisationen, d.h. als Arbeiterorganisationen, die zwischen der revolutionären und der reformistischen Politik schwankten. Nach 1935, also nach der Entwicklung der Volksfrontpolitik, kam er zum Schluß, sie seien sozialpatriotisch geworden; „gelbe Vermittler [Agenten] des verrottenden [verfaulenden] Kapitalismus“. [16]

Aber diese Begriffe beziehen sich auf Arbeiterorganisationen; auf Parteien, die mit anderen Parteien um Unterstützung in den eigenen Arbeiterbewegungen konkurrieren mußten. Offensichtlich nach 1929, wenn nicht früher, war die KPdSU keine Partei in diesem Sinne. Sie war ein bürokratischer Apparat, das Instrument einer totalitären Despotie [Gewaltherrschaft]. Trotzki gab das teilweise zu: „Die Partei [d.h. die KPdSU] existiert nicht als Partei heute. Der zentristische Apparat hat sie erwürgt.“ [17] So schrieb er 1931. Aber er folgerte nicht, daß die KPdSU eine grundsätzlich andere Art Partei sei als die Arbeiterparteien außerhalb der UdSSR.

Auch nachdem er Oktober 1933 die Hoffnung einer friedlichen Reform des Regimes in der UdSSR aufgab, blieb die Verwirrung. Natürlich war sie mit dem Glauben verbunden, daß trotz der Unmöglichkeit der Reform die UdSSR nichtsdestoweniger ein degenerierter [entarteter] Arbeiterstaat bleibe.

Die Sache wurde wichtig einige Jahre nach dem Tode Trotzkis, als eine Reihe neuer stalinistischer Staaten entstanden, ohne proletarische Revolutionen und mit einer Reihe herrschender „Kommunistischer Parteien“, die offenkundig keine Arbeiterparteien im Trotzki’schen Sinne waren. Der Widerspruch war schon in Trotzkis Position nach 1933 eingebaut.

 

 

Der Faden wird geschnitten

Wir haben gesehen, daß der reife Trotzki’sche Begriff des Verhältnisses zwischen Partei und Klasse weder abstrakt noch willkürlich war, sondern sowohl in der Erfahrung des Bolschewismus in Rußland als auch in der eigentlichen historischen Entwicklung verwurzelt war, die zu kommunistischen Massenparteien in mehreren wichtigen Ländern geführt hatte.

Aber was geschieht, wenn diese Entwicklung in den Sand Gerät? Was passiert, wenn das „historisch bedingte [bestimmte] Instrument“ versagt? Trotzki hatte über die Möglichkeit nachgedacht, hatte sie aber fest verworfen. 1931 schrieb er folgendes:

Nehmen wir ein anderes weiter entferntes Beispiel, um unsere Ideen zu klären. Hugo Urbahns, der sich als einen „linken Kommunisten“ betrachtet, erklärt, die deutsche Partei sei bankrott, politisch erledigt, und er schlägt die Gründung einer neuen Partei vor. Wenn Urbahns recht hätte, würde es bedeuten, daß der Sieg des Faschismus sicher sei. Denn, um eine neue Partei zu gründen, braucht man Jahre (und nichts beweist, daß die Urbahns’sche Partei in irgendwelchem Sinn besser als die Thälmannsche Partei sein würde: Als Urbahns der Führer der Partei war, gab es keineswegs weniger Fehler). Ja, sollten die Faschisten die Macht erobern, würde das nicht nur die physische Zerstörung der Kommunistischen Partei heißen, sondern auch ihr eigentlicher politischer Bankrott ... Das Ergreifen der Macht durch die Faschisten würde deshalb wahrscheinlichstens die Notwendigkeit bedeuten, eine neue revolutionäre Partei zu gründen, sowie höchstwahrscheinlich auch die Gründung einer neuen Internationale. Das wäre eine fürchterliche historische Katastrophe. Aber anzunehmen, daß er unvermeidlich sei, ist etwas, das nur echte Liquidatoren machen könnten, diejenige, die unter dem Deckmantel von hohlen Phrasen sich eigentlich beeilen, wie Feiglinge vor dem Kampf und ohne Kampf aufzugeben ... wir sind unerschütterlich davon überzeugt, daß der Sieg über die Faschisten möglich ist – nicht nachdem sie an die Macht gekommen sind, nicht nach fünf, zehn oder zwanzig Jahren ihrer Herrschaft, sondern jetzt unter den gegebenen Bedingungen in den kommenden Monaten und Wochen. [18]

Aber Hitler kam an die Macht. Ungeachtet der Brillanz und Stichhaltigkeit der Trotzki’schen Argumente hielt die KPD mit ihrer 250.000 Mitgliedern und ihren 6.000.000 Stimmen (1932) an ihrem verhängnisvollen Kurs fest. Sie wurde ohne Widerstand niedergeschlagen gemeinsam mit den „Sozialfaschisten“, den Gewerkschaften und jeder einzelnen der politischen, kulturellen und sozialen Organisationen, die die deutsche Arbeiterklasse während der vorherigen 60 Jahre geschaffen hatte.

Trotzki hatte Deutschland als den „Schlüssel zur internationalen Lage“ beschrieben. Er fuhr fort:

Von der Entwicklung, worin die Lösung der deutschen Krise stattfindet, wird nicht nur das Schicksal Deutschlands selbst (und das ist schon ziemlich viel), sondern das Schicksal Europas, das Schicksal der ganzen Welt über Jahre hinaus abhängen. [19]

Das war eine korrekte Vorhersage. Die Niederlage der deutschen Arbeiterklasse verwandelte die Weltpolitik. Das Versäumnis der Kommunistischen Partei, sogar den Widerstand zu versuchen, war ein Schlag, der ebenso hart [schwer] war wie die Kapitulation der Sozialdemokratie 1914. Es war der 4. August der Kommunistischen Internationale.

Was blieb dann vom „historischen Organ, wodurch die Klasse klassenbewußt wird“, übrig? Ab 1933 bis zu seinem Tode im August 1940 rang Trotzki mit einem Dilemma, das zu jener Zeit und lange danach sich als unlösbar bewies. Im Juni 1932 hatte er geschrieben:

Durch ihre Verfolgung möchten die Stalinisten auf den Weg einer zweiten Partei und einer vierten Internationale drängen. Sie verstehen, daß ein verhängnisvoller Fehler dieser Art seitens der Opposition ihr Wachstum jahrelang verlangsamen würde, wenn er nicht ihre ganzen Erfolge zunichte machen würde. [20]

Jetzt, weniger als ein Jahr später, mußte er zuerst zugeben, daß es für die deutsche Partei das Aus bedeutete, und dann etwas später (nachdem das EKKI April 1933 erklärt hatte; seine Politik in Deutschland „vollkommen richtig“ gewesen sei), daß alle Kommunistischen Parteien als revolutionäre Parteien am Ende seien, daß „Neue Kommunistische Parteien und die Neue Internationale“ (wie der Titel eines aus Juni 1933 stammenden Artikels hieß) notwendig seien.

Die Verbindungsstange zwischen Theorie und Praxis war durchgeschnitten worden. Vor 1917 hatte Trotzki sich auf die spontane Aktion der Arbeiterklasse verlassen, um den Konservatismus der Partei zu überwinden. Nach 1917 erkannte er die revolutionäre Arbeiterpartei als unentbehrliches Instrument der sozialistischen Revolution. Der Mangel an solchen Parteien, die in der Arbeiterklasse verwurzelt waren und die reife erfahrene Kader besaßen, hatte die Tragödie von 1918-19 verursacht – revolutionäre Massenbewegungen in Deutschland, Österreich, Ungarn und anderswo, spontane Massenkämpfe – die aber zur Niederlage führten.

Die Mittel dafür, diesen Fehler zu überwinden – die Parteien der Kommunistischen Internationale –, hatten selbst so weit degeneriert, daß sie Hindernisse zu einer revolutionären Lösung neuer tiefer Gesellschaftskrisen geworden waren.

Man mußte wieder von Anfang an anfangen. Aber was blieb übrig, womit man anfangen könnte? Im wesentlichen gab es nichts außer kleinen (oft winzigen) Gruppen, deren gemeinsamen Merkmale die Isolation von den wirklichen Arbeiterbewegungen und die Trennung von der direkten Teilnahme an Arbeiterkämpfen einschlössen. Die angeblichen Teilausnahmen zu dieser Verallgemeinerung – diejenigen, die ihre Mitgliedschaft in Hunderten oder Tausenden zählen konnten, statt in Dutzenden – die griechischen Archäomarxisten, die niederländische RSAP, und etwas später die spanische POUM bewiesen sich als schwach und unzuverlässig, Zentristen eher als Revolutionäre, Hindernisse eher als Verbündete.

Mit solchen Kräften, fing Trotzki den Wiederaufbau an. Er hatte keine andere Wahl, falls man nicht den Rückzug in die Passivität oder in die getarnte Passivität, die später als den „Westlichen Marxismus“ bekannt wurde, als Wahlen betrachtet. Aber Mittel und Ziele sind unentwirrbar miteinander verschlungen. Die Verbindungen mit der wirklichen Arbeiterbewegung durchgeschnitten, fing der „Trotzkismus“ an, schon zu Trotzkis Lebenszeit, sich seinem eigentlichen Milieu anzupassen – kleinen radikalisierten Teilen der intellektuellen Schichten des Kleinbürgertums. Wie wir sehen werden, führte Trotzki selbst einen langen Kampf gegen diese Anpassung durch. gleichzeitig drängten die grausamen Notwendigkeiten ihm zur Annahme von Positionen, die trotz seines Willens und seines Verständnisses dem Wachstum dieser Anpassung half.

 

 

Die neue Internationale

Wenn die Kommunistische Linke in der ganzen Welt nur aus fünf Individuen bestand, wären sie nichtsdestotrotz dazu gezwungen worden, eine internationale Organisation aufzubauen, während sie gleichzeitig eine oder mehrere nationale Organisationen aufbaute. Es ist falsch, eine nationale Organisation als das Fundament und die Internationale als das Dach zu betrachten. Die Wechselwirkung ist hier von einer völlig anderen Art. Marx und Engels gründeten die kommunistische Bewegung 1947 mit einem internationalen Dokument und der Schaffung einer internationalen Organisation. Das gleiche wurde in der Gründung der Ersten Internationale wiederholt. Den gleichen Weg schlug die Zimmerwalder Linke als Vorbereitung auf die Dritte Internationale. heute wird dieser Weg viel zwingender vorgeschrieben als zu Marx’ Zeiten. Es ist natürlich möglich, daß im Zeitalter [in der Epoche] des Imperialismus eine revolutionär-proletarische in dem einen oder anderen Land entsteht, aber sie kann nicht in einem isolierten Land gedeihen und entwickeln; geil am nächsten Tag nach ihrer Gründung muß sie internationale Verbindungen, ein internationales Plattform suchen oder schaffen, weil eine Garantie der Richtigkeit der nationalen Politik nur auf diesem Weg zu finden ist. Eine Tendenz, die über mehrere Jahre national eingeschlossen bleibt, verurteilt sich unwiderruflich zur Degeneration. [21]

Trotzki schrieb das obige in einer Polemik mit der linksradikalen [ultralinken] italienischen Sekte Bordigas, während er (Trotzki) sich immer noch für eine Politik der Reform der existierenden [bestehenden] Kommunistischen Parteien einsetzte. Er argumentierte für eine internationale Fraktion, die sich auf eine existierende [bestehende] Internationale orientierte. Im Gegensatz zu den Argumenten, die er verwendet, um diese Position zu unterstützen, war die Logik der Position anscheinend unwiederlegbar.

Die Argumente selbst können keiner kritischen Prüfung standhalten. Marx und Engels fingen nicht mit „der Schaffung einer internationalen Organisation“ an. Das Kommunistische Manifest wurde im Auftrag eines schon bestehenden Bundes der Kommunisten (obgleich mit sehr primitiven kommunistischen Ideen) geschrieben. Der Bund war international nur im Sinne, daß er in mehreren Ländern bestand. Er war im wesentlichen eine deutsche Organisation, die aus deutschen Handwerkern und Intellektuellen in der Emigration in Paris, Brüssel und anderswo sowie Gruppen im Rheinland und in der deutschen Schweiz bestand.

Die Erste Internationale fing als Bündnis zwischen bestehenden britischen Gewerkschaftsorganisationen unter dem Einfluß der Liberalen Partei und bestehenden französischen Gewerkschaftsorganisationen unter dem Einfluß der Proudhonisten, und später zog sie andere Gruppierungen mit sehr unterschiedlichem Charakter und Nationalität ein. Weit davon entfernt, eine „Wiederholung“ der Erfahrung des Kommunistischen Bundes zu sein, wurde sie auf Grundlinien entwickelt, die genau das Gegenteil waren – ohne eine anfängliche programmatische Basis und ohne eine zentralisierte Organisation. Das gilt auch, zu einem viel kleineren Grad, für die Zweite Internationale, die Trotzki hier nicht erwähnt.

Noch gilt der Bezug auf der Zimmerwalder Linke. Die Zimmerwalder Linke (im Gegensatz zur Zimmerwalder Strömung insgesamt) bestand aus der Bolschewistischen Partei, eine landesweite Massenorganisation plus einige mehr oder weniger isolierte Individuen („ein Litauer, det Pole Karl Radek, zwei schwedische Delegierte und Julian Borchard, der Delegierte einer winzigen Gruppe, der deutschen Internationalen Sozialisten“). [22]

In der Praxis hatte Trotzki keine andere Wahl. Er hatte jetzt eine Basis in überhaupt keiner Arbeiterbewegung mehr. Bis zum Frühjahr 1933 hatten alle Kontakte mit seinen Anhängern in der UdSSR aufgehört. [23] Es ging darum, alles zusammenzuziehen, was sich zusammenziehen ließ, um eine politische Strömung zu schaffen. Außerdem ließ sich das Argument, daß ein internationales Plattform – oder eine gemeinsame Analyse der Probleme der Arbeiterbewegung – notwendig sei, nicht bestreiten. Trotzki lieferte es. Aber eine Verwirrung zwischen Ideen und Organisation, zwischen politischer Tendenz und internationaler Partei war dabei eingeführt worden. Innerhalb einiger Jahre gab Trotzki stillschweigend seinen Begriff [seine Vorstellung] der Partei als den „historischen Organ, wodurch die Klasse klassenbewußt wird“, auf und gründete eine „Internationale“ mit bedeutender Basis in überhaupt keine Arbeiterbewegung.

Zuerst aber versuchte Trotzki, neue Kräfte zu finden. Die trotzkistischen Gruppen waren winzig klein. Die Macht der Stalinisten hatte sie in ein politisches Ghetto gedrängt. Dieses hatte außerdem eine bestimmte soziale Lage in einem Teil der kleinbürgerlichen Intelligenz.

Wie könnte man herausbrechen, den Trotzkismus proletarisieren und eine bedeutende Anzahl Arbeiter in neue kommunistische Parteien hereinziehen?

Gewaltige Hindernisse standen auf dem Weg. Eine wichtige langfristige Auswirkung der Niederlage in Deutschland war, daß sie einen riesigen und wachsenden Druck zur Einheit unter Militanten in der Arbeiterklasse schuf, so daß der Aufruf für neue Parteien und eine neue Internationale auf unfruchtbarsten Boden fiel. Trotzki hatte Pionierarbeit für den Aufruf zur Gründung der Arbeitereinheitsfront gegen den Faschismus geleistet. Aber als 1933 dieser Aufruf damit anfing, Boden innerhalb der Sozialistischen Parteien zu gewinnen (und bald auch in den Kommunistischen Parteien), konnte man Trotzkis Anhänger als Spalter darstellen, und so wurden sie dargestellt; jetzt riefen sie zur Gründung neuer Parteien und einer neuen Internationale auf. Ihre Isolation wurde verstärkt.

Nachdem anfängliche Versuche einer „Neugruppierung“ mit verschiedenen zentristischen und linksreformistischen Gruppenb (z.B. der deutschen Sozialistischen Arbeiterpartei und der britischen Independent Labour Party) gescheitert waren (was eine Reiche Ernte von Polemiken gegen den Zentrismus von Trotzkis Stift verursachte), schlug Trotzki den drastischen Schritt des Entrismus in den sozialdemokratischen Parteien vor. Genau gesagt argumentierte er diesen Schritt für bestimmte Fälle – Frankreich zuerst (daher den Begriff „französische Wende“) –, aber in der Praxis wurde er verallgemeinert. Die Argumente lauteten, die Sozialdemokraten bewegten sich nach links, was ein günstigeres Klima für revolutionäre Arbeit schüfe; sie zögen neue Arbeiterschichten an und stellten ein unvergleichlich proletarischeres Umfeld dar als die isolierten Propagandagruppen, wo der Trotzkismus sich befand.

Dieser Vorgang wurde als kurzfristig betrachtet; ein heftiger harter Kampf mit den Reformisten und Zentristen, dann eine Spaltung und die Gründung einer neuen Partei. „Der Entrismus in eine reformistische oder zentristische Partei an sich schließt keine langfristige Perspektive ein. Er ist bloß eine Etappe, die unter bestimmten Umständen auf eine Episode beschränkt werden kann.“ [24]

Letzten Endes scheiterte der Vorgang bei seinem strategischen Ziel; er scheiterte dabei, das Kräfteverhältnis zu ändern bzw. die soziale Zusammensetzung der trotzkistischen Gruppierungen zu verbessern. Die grundliegenden Gründe für das Scheitern waren die folgen der Niederlage in Deutschland und die Wende der Kommunistischen Internationale zuerst zur Einheitsfront (1934) und dann zur Volksfront (1935), die große aus diesen Änderungen stammende Wirkung und der darausfolgende Rechtsruck der gesamten Arbeiterbewegung. Zusätzlich führte Stalins Kampagne gegen Trotzki dazu, daß Trotzki und seine Anhänger als faschistische Agenten denunziert wurden.

Die Umstände, die es 1919-21 Revolutionären ermöglichte, die nach links bewegenden zentristischen Massenparteien wie die deutsche USPD und die Mehrheit der französischen Sozialisten zur Kommunistischen Internationale zu gewinnen, waren 1934-35 einfach nicht vorhanden. Welche Fehler auch immer Trotzki oder seine Anhänger im Laufe der „französischen Wende“ machten, haben sie nur winzige Wirkungen haben können im Vergleich mit den Wirkungen der zutiefst ungünstigen Lage.

Einige der Gewinne, die für die Taktik des Entrismus behauptet wurden, waren wirklich. Sie bedeutete einen Bruch mit vielen, die Trotzki als „konservative Sektierer“ bezeichnete, d.h. mit denjenigen, die sich nicht der aktiven Politik im Gegensatz zur Propagandismus in kleinen Kreis innerhalb des intellektuellen Milieus anpassen konnten.

Gegen Ende 1933 schrieb Trotzki folgendes:

Eine revolutionäre Organisation kann sich nicht entwickeln, ohne das sie sich säubert, besonders unter Umständen der legalen Arbeit, wo nicht selten zufällige, fremde und entartete Elemente sich unter dem Banner des Marxismus sammeln ... Wir machen eine wichtige revolutionäre Wende. In solchen Momenten sind innere Krisen und Spaltungen absolut unvermeidlich. Sie zu fürchten, heißt, die revolutionäre Politik durch die kleinbürgerliche Sentimentalität und persönliche Intrigen zu ersetzen. Die Liga [die französische trotzkistische Gruppe] macht eine erste Krise unter dem Banner von großen und klaren revolutionären Kriterien durch. Unter diesen Umständen wird eine Abspaltung eines Teils der Liga ein großer Schritt nach vorne sein. Sie wird alles ablehnen, was ungesund, verkrüppelt und unfähig ist; sie wird den schwankenden und unentschlossenen Elemente eine Lehre erteilen; sie wird die besseren Teile der Jugendlichen abhärten; sie wird die innere Atmosphäre verbessern; sie wird vor der Liga neue große Möglichkeiten eröffnen. [25]

Zweifellos stimmt das alle prinzipiell und eigentlich wurden einige neue Kräfte aus den sozialistischen Jugendorganisationen rekrutiert, um diejenigen zu ersetzen, die beseitigt wurden (oder eher in den meisten Fällen ausstiegen). Nichtdestotrotz blieb das Kräfteverhältnis – die erbärmliche Schwäche der revolutionären Linken – grundsätzlich unverändert. Was dann?

Trotzki machte mit der Gründung der Vierten Internationale weiter. Nachdem er wiederholt erklärt hatte, daß sie keine unmittelbare Perspektive sein könne, da die Kräfte noch nicht vorhanden seien – so spät wie 1935 denunzierte er als „blöden Klatsch“ die Idee, daß „die Trotzkisten die Vierte Internationale nächsten Donnerstag erklären wollen“ [26] –, schlug er innerhalb eines Jahres genau das: die Erklärung der Neuen Internationale. Damals konnte er seine Anhänger nicht überzeugen. Bis 1938 hatte er sie zu seiner Ansicht bekehrt.

Die Kräfte, die 1938 die Vierte Internationale unterstützten, waren schwächer, nicht stärker als diejenigen, die 1934 existierten. (Die SWP der USA war die einzige ernsthafte Ausnahme.) Die Spanische Revolution war inzwischen erwürgt worden. Trotzki begründete seine Entscheidung durch eine partielle und nicht anerkannten Rückzug zur Halbspontaneität, die er vor 1917 befürwortete hatte, und auch durch einen Vergleich mit der Position Lenins in 1914.

Ende 1938 schrieb er:

Die Diskrepanz zwischen unseren Kräften und den Aufgaben morgen wird von uns viel deutlicher als von unseren Kritikern betrachtet. Aber die harsche und tragische Dialektik unserer Epoche arbeitet zu unserer Gunsten. Zur äußersten Grenze der Verzweiflung und der Entrüstung gebracht, werden die Massen keine andere Führung finden als die, die von der Vierten Internationale angeboten wird. [27]

Aber die Ereignisse des Jahres 1917 hatten positiv, wie die der Jahre 1918-19 negativ, und vor allem die Ereignisse des Jahres 1936 in Spanien gezeigt, daß Parteien, die in den Arbeiterklassen ihrer Länder durch eine lange Periode des Kampfs um Teilforderungen [partiellen Forderungen] verwurzelt wurden, unentbehrlich waren. Trotzki hatte das deutlicher als die meisten anerkannt. Jetzt, da solche Parteien nicht existierten und der bedarf außerordentlich dringend war, suchte er seine Zuflucht zu einem „Weltgeist“ der Revolution, der sie irgendwie aus der spontanen „Verzweiflung und Entrüstung“ schaffen würde, vorausgesetzt, daß „ein makelloser Banner“ hochgehaltenen werde. Das spontane Aufwallen würde im Laufe des Kriegs oder bald danach die isolierten und unerfahrenen „Führungen“ der Sektionen der Vierten Internationale in die Führung von Massenparteien hochheben.

Der Vergleich mit Lenin in 1914 war zweierlei unpassend. Als Lenin 1914 schrieb: „Die Zweite Internationale ist tot: Es lebe die Dritte Internationale“, war er schon der einflußreichste Führer einer wirklichen Massenpartei in einem wichtigeren Land. Trotzdem dachte er nicht daran, zur Gründung der Dritten Internationale aufzurufen, bis anderthalb Jahre nach der Oktoberrevolution und zu einer Zeit, wo seiner Meinung nach eine steigende revolutionäre Massenbewegung in Europa existierte. Daß Trotzki all das ignorieren sollte, war eine Würdigung seines revolutionären Willens. Politisch aber entgleiste und verwirrte dieser seine Anhänger, als nach seinem Tod ein sehr echtes Aufwallen an ihnen vorbeizog – was in ihrer isolierten Lage unvermeidlich war, und er machte es ihnen viel schwieriger, eine realistische revolutionäre Orientierung zu entwickeln.

Es gab ein Element des Beinahemessianismus in Trotzkis Vorstellungen zu dieser Zeit. In einer schrecklich schwierigen Situation, wo der Faschismus im aufstieg war, Niederlagen für die Arbeiterklasse dicht nacheinander kamen und ein neuer Krieg unmittelbar bevorstand, mußte man den Banner des Revolution hochheben, das Programm des Kommunismus erneut bekräftigen, bis die Revolution selbst die Lage verwandelte.

Vielleicht wäre es unmöglich gewesen, seine Anhängerschaft zusammenzuhalten, ohne irgend etwas von dieser Haltung, die, falls es so war, deshalb eine notwendige Abweichung von seiner reifen Ansicht war. Aber ihre späteren Kosten waren trotzdem wirklich hoch.

 

 

Anmerkungen

1. Isaac Deutscher: The Prophet Armed, London 1954, S.45.

2. 1903: Second Congress of the Russian Social-Democratic Labour Party, London, S.204.

3. Trotzki: Unsere politischen Aufgaben. Siehe Chris Harmann: Partei und Klasse, S.

4. Siehe Schurer, The Permanent Revolution, in Labedz, Revisionism, London 1962, S.73. Siehe auch Chris Harman: a.a.O.

5. ebenda, S.74. (Trotzki: Ergebnisse und Perspektiven 1906.)

6. Siehe T.Cliff: Lenin, Bd.1, London 1976, S.168-79, u. Lenin, Bd.2, London 1977, S.97-139.

7. Trotzki: Was nun?, Januar 1932

8. ebenda.

9. ebenda.

10. Trotzki: Manifest der Kommunistischen Internationale, Erlangen 1972.

11. Trotzki: Was Nun?, a.a.O.

12. Trotzki: Die spanische Revolution und die ihr drohenden Gefahren. Revolution und Bürgerkrieg in Spanien 1931-39, Frankfurt/Main 1975.

13. Trotsky: The groupings in the communist opposition, in Writings of Leon Trotsky 1929, New York 1975, S.81.

14. Trotsky: The International Left Opposition: its tasks and methods, in Writings of Leon Trotsky 1932-1933, New York 1972, S.56.

15. Trotzki: Geschichte der russischen Revolution, 1982, Bd.1, S.276.

16. Trotsky: The evolution of the Comintern, in Documents of the Fourth International, Bd.1, New York 1973, S.128.

17. Trotsky: Thermidor and Bonapartism, in Writings of Leon Trotsky 1930-31, New York 1973, S.75.

18. Trotzki: Für die Arbeitereinheitsfront gegen den Faschismus (Hervorhebung im Originaltext).

19. Trotzki: Deutschland: Der Schlüssel zur internationalen Lage

20. Trotsky: The Stalin bureaucracy in straits, in Writings of Leon Trotsky 1932, New York 1973, S.125.

21. Trotsky: To the editorial board of Prometeo, in Writings of Leon Trotsky 1930, New York 1975, S.285-6.

22. T. Cliff: Lenin, Bd.2, London 1976, S.12.

23. J. van Heijenoort: With Trotsky in Exile, Boston 1978, S.38.

24. Trotsky: Lessons of the SFIO entry, in Writings of Leon Trotsky 1935-36, New York 1970, S.31.

25. Trotsky: It is time to stop, in Writings of Leon Trotsky 1933-34, New York 1972, S.90-1.

26. Trotsky: Centrist alchemy or Marxism, in Writings of Leon Trotsky 1934-35, New York 1971, S.274.

27. Trotsky: A great achievement, in Writings of Leon Trotsky 1937-38, New York 1976, S.439.

 


Zuletzt aktualisiert am 18.3.2001