Stefanie Haenisch

 

Bosnien-Abkommen

Eine Chance für den Frieden?

(1996)


Aus Sozialismus von unten (erste Serie), Nr.5, Januar 1996, S.14-16.
Copyright © 1996 Verein für Geschichte und Zeitgeschichte der Arbeiterbewegung (VGZA) e.V.
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Das Friedensabkommen von Dayton wurde von den gleichen Politiker unterzeichnet, die vor nunmehr vier Jahren den Krieg begonnen hatten, von den Regierungschefs Kroatiens, Serbiens und des muslimischen Bosniens, Tudjman, Milosevic und Itzetbegovic. Schon das ist eine schlechte Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden. Den Vertrag unterzeichneten sie nur unter dem wirtschaftlichen und militärischen Druck der westlichen Großmächte, insbesondere der USA.

Mit dem Abkommen wird die Aufteilung unter die drei wichtigsten Volksgruppen Bosniens erstmals offiziell festgelegt. Aufgeteilt wird, in etwa, entsprechend der im Oktober 95 festgelegten Waffenstillstandslinie. Es entstehen zwei Kleinstaaten, die Kroatisch-Muslimische Föderation und die Serbische Republik Bosnien. Beide Kleinstaaten sollen ein Parlament und eine Armee haben, wobei in der kroatisch-muslimischen Föderation nochmals zwei getrennte Armeen bestehen, die gegenwärtig unter einem gemeinsamen Oberkommando zusammengefaßt sind.

Die beiden (in Wirklichkeit drei) Staaten sollen noch einmal durch ein gemeinsames Parlament mit eigenen Regierungskompetenzen aber ohne eigene Armee und Polizei bilden. Die Konstruktion spiegelt den Wahnsinn der Dreiteilung eines estnisch bis vor kurzem noch völlig durchmischten Staates wider.

 

Kriegsziele

Unzufrieden sind alle Kriegsparteien, weil sie ihre Kriegsziele nicht erreicht haben, allerdings in unterschiedlichem Maße. Obwohl die Serben – gemessen an den ursprünglichen Kriegszielen und an Verlusten von Gebieten mit ehemals serbischer Bevölkerungsmehrheit – im jugoslawischen Teilungskrieg am meisten verloren haben, ist der serbische Präsident Milosevic gegenwärtig noch am ehesten zufrieden. Serbien kann zwar Gebietsgewinne in Ostbosnien verzeichnen, aber die Gewinne dort stehen in keinem Verhältnis zu den großen Verlusten an serbischen Siedlungsgebieten in der Krajina, Westbosnien und Westslawonien.

Entscheidend für die Haltung von Milosevic war die Tatsache, daß Serbien sich seit dem massiven militärischen Eingreifen der USA und der NATO auf der Seite der Kriegsgegner auf der Verliererstraße befand und die serbische Wirtschaft durch den Krieg und die Wirtschaftssanktionen völlig zerrüttet sind. Jeder weitere Kriegstag hätte für Milosevic die Kriegsbilanz weiter verdüstert.

An diesem Punkt ist auch die Kalkulation der USA und der NATO aufgegangen, durch eine Stärkung Kroatiens die Machtbalance zu verschieben und Serbien zur Kapitulation zu zwingen. Die Opfer dieser Operation waren aber nicht die serbischen Kriegstreiber, sondem hunderttausende serbische Flüchtlinge.

Die muslimisch-bosnische Regierung, die schwächste Kriegspartei, deren Ziel die Aufrechterhaltung des bosnischen Staates unter muslimischer Vorherrschaft war, hat dieses Ziel nur auf dem Papier erreicht; Sarajewo als Hauptstadt Bosniens und die wichtigen Industriegebiete Zentralbosniens bleiben unter ihrer Kontrolle. Sie haben aber nicht nur in Ostbosnien wichtige Gebiete an die Serben verloren, sondern sind auch im neuen Bündnis mit Kroatien eindeutig die Schwächeren. Der Konflikt um die Machtverteilung im zukünftigen mushrnisch-kroatischen »Staat« in Bosnien ist langst noch nicht beendet, nicht zuletzt weil Tudjmans Appetit mit den militärischen Siegen zugenommen hat.

Der einzige Gewinner des Aufteilungskrieges um Ex-Jugoslawien, der kroatische Präsident Tudjman, hat das Abkommen mit dem größten Widerwillen unterschrieben. Er wurde in seinen Eroberungsfeldzügen die er als »Rückgewinnung« deklarierte, gestoppt. Um echte Rückgewinnungen von kroatischen Gebieten handelte es sich aber nur zu einem geringen Teil. Die meisten der »zurückeroberten« Gebiete waren zwar zuvor politisch Kroatien zugehörig, aber seit Jahrhunderten serbische Siedlungsgebiete gewesen, d.h. Gebiete, in denen die serbische Bevölkerung dominierte. Kroatien wurde praktisch nach Osten, in die Herzegowina ausgedehnt, die Krajina und Westslawonien wurden in Blitzkriegen der serbischen Kontrolle entrissen. Die Unterzeichnung des Bosnien-Abkommens stoppte die seit Oktober von Tudjman immer wieder angedrohte militärische Rückeroberung Ostslawoniens.

Über die Frage der Kontrolle des Posvina-Korridors, die einzige Verbindung zwischen den beiden Teilen der Serbischen Republik in Bosnien und gleichzeitig eine günstige Nord-Süd Verbindung zwischen dem kroatischen Binnenhand und den Industriegebieten Zentralbosniens, konnte keine Einigung erzielt werden. Eine Lösung blieb im Bosnien-Abkommen ausgeklammert.

 

 

Erfolg der Intervention?

Die militärische Intervention der NATO gegen die bosnischen Serben wird von den Politikern und Medien im Westen als entscheidend für die Beendigung des Krieges gewertet. Damit würde endlich der Zivilbevölkerung in Bosnien geholfen .Das entspricht jedoch leider nicht den Tatsachen. Denn der Krieg wurde, nachdem einmal begonnen hatte, durch Einmischung weiter angeheizt.

Schon 1990, lange vor Kriegsbeginn, gab es zwischen Tudjman (Kroatien) und Milosevic (Serbien) Geheimgespräche über die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas zwischen den beiden Staaten. Das führte dazu, daß sich die ethnischen Parteien Bosniens irn März 1992, noch vor der Herauslösung Bosniens aus Jugoslawien, darauf einigten, Bosnien in mehrere ethnisch bestimmte Kantone aufzuteilen. [1] Diesen Plan unterstützte die EU, indem sie einen prozentualen Kompromißvorschlag vorlegte. Damit war keine der drei Parteien einverstanden, der Krieg um die Aufteilung Bosniens begann.

Sämtliche nachfolgenden Kompromißvorschläge der EU-Unterhändler basierten auf ethnischner Aufteilung. Angesichts einer seit Jahrhunderten durchmischten Besiedlung Bosnien.Herzegowinas waren dies Wahnsinnspläne, Öl ins Feuer des Kriegs. Für die mehr oder weniger extremen nationalistischen Militärs und Politiker aller Seiten mußte und wurde die ethnische Säuberung Teil der Strategie der territorialen Eroberung. Die Einmischung von außen hat nicht nur dazu geführt, 1996 einen (vorläufigen ?) Waffenstillstand zu erzwingen; sie hat seit 1992 auch die ethnischen Konflikte mit ihren diversen Teilungsplanen angeheizt, statt mäßigend auf die Kriegsparteien einzuwirken.

Aufteilung Bosniens

Die Aufteilung Bosniens in serbische (hellgrau und moslemisch-kroatische Gebiete (dunkelgrau). Die weißen Linien zeigen die Aufteilung in einen US-amerikanischen, einen britischen, einen französischen und einen NATO-Sektor.

 

 

Machtverschiebung

Im Sommer 1994 schlug die Internationale Kontaktgruppe eine Aufteilung Bosniens im jetzt vereinbarten prozentualen Verhältnis vor. Die Großmächte betonten, daß sie einer Aufteilung mit anderen Verhältniszahlen nicht zustimmen würden. Es sei die letzte Chance. Die Vertreter der bosnischen Serben lehnten den Aufteilungsplan ab, weil sie damals 70 Prozent Bosniens kontrollierten und hofften, daß die gerade erfolgte Aufnahme Rußlands in den Kreis der intervenierenden Großmächte ihre Position verbessern könnte. Die bosnisch-rnuslimische Regierung und die Kroaten stimmten dem Aufteilungsproporz widerwillig zu.

Das war der Beginn des blutigsten und grausamsten Jahres dieses Jugoslawienkrieges.

Im Krieg wird die Aufteilung von Territorien durch die Schlagkraft von Armeen entschieden.

Die kroatische und die bosnische Armee wurde weiter aufgerüstet und von amerikanischen Militärberatern ausgebildet. Der vom ehemaligen US-Präsidenten Carter vermittelte Waffenstillstand brachte allen Seiten im Winter 94/95 eine Erholungspause. Im Frühjahr beginnen wieder die Kämpfe, und damit die ethnischen Säuberungen.

Kroatien beginnt und gewinnt im April einen Blitzkrieg zur »Rückeroberung« Westslawoniens. Die serbische Bevölkerung wird vertrieben. Im August führt die Operation »Gewittersturrn« zur Eroberung der Krajina zur größten Vertreibungswelle dieses Krieges überhaupt. 120 bis 150tausend kroatische Serben, deren Vorfahren seit 300 Jahren in der Krajina Gebiet lebten, müssen vor den kroatischen Truppen nach Osten fliehen. Die kroatische Armee brandschatzt die Dörfer und kleinen Städte, zerstört Kirchen, schlachtet das Vieh ab, plündert, läßt Plünderungen kroatischer Wochenendtouristen zu. Es sind auch viele Fälle bekannt, daß zurückgebliebene Alte, Kranke, Behinderte von kroatischen Truppen ermordet wurden.

Diese Politik der verbrannten Erde wird wochenlang nicht beendet, trotz Ermahnungen und Verurteilungen durch UNO und humanitäre Organisationen.

Der Erfolg dieser Aktionen: Kroatien hat nicht nur die territoriale Kontrolle über diese Gebiete gewonnen, sie sind nun weitgehend »serbenfrei«, wie auch die in der West-Herzegowina eroberten Gebiete serben- und moslemfrei sind.

In der Serbischen Republik Bosnien haben die ethnischen Säuberungen ebenfalls die Gebietsgewinne »abgerundet«: im Juli wurden die muslimischen Enklaven Srebreniza und Zepa in Ostbosnien eingenommen und ihre Bewohner in muslimisches Hoheitsgebiet vertrieben.

Anfang vergangenen September entschloß sich die Clinton-Regierung, die Voraussetzungen für ein Abkommen durch Einsatz militärischer Gewalt zu schaffen. Noch im gleichen Monat flogen US-Kampfflugzeuge 3.200 Einsätze gegen serbische Einrichtungen in Ost- und Nordbosnien. Sogar Marschflugkörper wurden eingesetzt. Unmittelbarer Zweck dieser massiven Bombardierung war, die Zerstörung der wichtigsten Einrichtungen der Telekommunikation und des Transports zu zerstören, so die serbischen Truppen »blind« und lahm zu machen, damit die reguläre Armee Kroatiens zusammen mit den kroatischen und moslemischen Verbänden die serbischen Gebiet in Nordwestbosnien überrennen konnten. Bei der Bodenoffensive wurde Tausende getötet und verwundet, wieder ergriffen etwa 125.000 Menschen die Flucht.

Auch die vorangegangene kroatische Operation in der Krajina war bereits von den USA logistisch und politisch unterstützt worden. So kam Tudjman als eigentlicher Sieger zu den Verhandlungen in die USA. Dank der umfangreichen Hilfe der USA bei der Vertreibung der Serben war es ihm weitgehend gelungen, sein erstes Ziel eines ethnisch homogenen Kroatiens zu verwirklichen. Außerdem hat er weite Gebiete Bosniens unter seine Kontrolle gebracht und de facto in eine kroatische Provinz verwandelt. Im Verlauf von zwei Monaten wirkten die USA als Schutzmacht der größten ethnischen Säuberung während des gesamten Kriegs. Dies war die eigentliche Grundlage für ihre Schirmherrschaft für die Verhandlungen in Dayton.

 

 

Homogenisierung

1995 wurde die Politik der ethnischen Vertreibung weitgehend zu Ende gebracht. Jetzt beginnt die Politik der ethnischen Homogenisierung, d.h. die Zwangsumsiedlungen und Vertreibung noch verbliebener Volksgruppen der anderen Seite.

Das ist der reale Kern der Angst, der in großer Zahl aus den Vororten Sarajewos flüchtenden Serben.

Die Unterstellung ihrer Stadteile unter die muslimisch-kroatische Föderation wird im Beisein von NATO-Truppen vielleicht nicht zu physischen Grausamkeiten gegen die Serben führen. Doch was geschieht in einem Jahr? Die politischen Rechte der ethnischen Minderheiten wurden in Dayton ebensowenig geregelt, wie bei der Anerkennung Kroatiens als selbständiger Staat 1991. Warum sollten die ethnischen Minderheiten außerdem Versprechungen von Regierungen vertrauen, die für ihre Massenvertreibungen im großen Stil schon berüchtigt sind. Das gilt leider für alle drei kriegsführenden Regierungen.

Auch die Angst, daß die muslimischen Nationalisten den Serben wichtige Lebensgrundlagen entziehen, bzw. sie davon ausschließen, ist nicht irrational. Eine muslimische Stadtverwaltung wird bei der Verteilung knapper Mittel – vom Arbeitsplatz bis zu Baustoffzuteilungen – nicht ohne Ansehen der »Nation« entscheiden?

Die Politik der ethnischen »Vereinheitlichung« hat bereits begonnen. So berichtete ein Sprecher des UN-Flüchtlingswerks schon Mitte hetzten November, daß sowohl in Kroatien, wie auch in Bosnien etwa 10.000 Menschen meist gegen ihren Willen in »zurückeroberten« Gebieten angesiedelt wurden. Dabei sei strikt nach Volksgruppen (Kroaten, bzw. Muslime) vorgegangen worden, ethnische Minderheiten seien ausgeklammert geblieben. [2]

Ca. drei Millionen Menschen wurden vertrieben. Es gibt riesige Lager um Serbiens Hauptstadt Belgrad. Dort leben etwa 800.000 Menschen, in Bosnien selbst leben mehr als eine Million Flüchtlinge, auch in Kroatien, Slowenien, Ungarn leben Hunderttausende in Lagern. Sie wissen nicht, wohin. Sie wissen nicht, ob ihre Hauser zerstört sind, oder jetzt andere Flüchtlinge darin leben.

Das gilt auch für die Fhüchtlinge in Deutschhand, die nach April 96 ihre Duldung verlieren.

 

Ordnungsmacht Kroatien

Die Stationierung der 60.000 Mann starken NATO-Truppe IFOR ist auf ein Jahr begrenzt. Ihre Aufgabe ist darauf beschrankt, die Waffenstillstandslinie zu entmilitarisieren, eine Pufferzone einzurichten und die Truppen territorial zu entflechten. Wenn sich die feindlichen Parteien daran halten, können sie binnen eines halben Jahres wieder mit leichten Waffen, binnen eines dreiviertel Jahres wieder mit schweren Waffen aufrüsten, in einem von den Großmächten genehmigten Rahmen.

Dies ist im Interesse der (westlichen) Großmächte nötig: sie wollen ein wirtschaftlich und militärisch starkes Kroatien, das stark genug ist, eine serbische Vorherrschaft über das ehemalige Jugoslawien zu verhindern und das in Ex-Jugoslawien zusammen mit Serbien in ihrem Interesse die Ordnung aufrechterhält. Ein annäherndes Kräftegheichgewicht zwischen Serbien und Kroatien gewährt den Großmächten den größten Einfluß auf beide und im Balkan insgesamt.

 

Frieden?

Der Nationalismus der herrschenden Kriegstreiber ist nicht besiegt worden, es hat nur eine relative Gewichtsverschiebung zugunsten Tudjmans gegeben. Dessen gewachsener Appetit bedrängt schon jetzt die Kroatisch-Muslimische Föderation. Anfang Januar kam es in Mostar zu militärischen Konflikten zwischen Kroaten und Moslems. Der EU-Administrator Hans Koschnick warnte vor einem bevorstehenden »Bürgerkrieg in Mostar« und befürchtete das »Ende der Kroatisch-Muslimischen Föderation«. Er beschuldigte Kroatien, den neuen gemeinsamen Staat zu boykottieren. [3]

Der neue bosnische Staat erweist sich als Totgeburt, die alte geheime Absprache der Aufteilung Bosniens zwischen Serbien und Kroatien steht weiter im Raum. Auch der Konflikt zwischen Serbien und Kroatien um Ostslawonien ist noch keineswegs gelöst.

Keine der Kriegsursachen wurde gelöst, der Deckel auf dem Topf verhindert nicht, daß es darin weiterkocht.

Solange »Friedensabkommen« von denjenigen geschlossen werden, die für die Grausamkeiten dieses Krieges verantwortlich sind und ihre Kriegsziele nicht aufgegeben haben, solange werden immer wieder die im Abkommen enthalten zahlreichen Keime für neue blutige Konflikte Nahrung finden.

Eine Chance für den Frieden entsteht nur da, wo viele Serben, Kroaten, Muslime, die die verheerende Wirkung des Nationalismus erlebt haben, anfangen ihn abzulehnen.

 

Anmerkungen

1. M.-J. Cahic, Der Krieg in Bosnien-Hercegovina, Ffm, 1995, S.1 83ff, wie auch: M. Glenny, Jugoshawien, Der Krieg, der nach Europa kam, München 1993, S.285ff.

2. Berliner Zeitung, 15.11.95

3. Frankfurter Rundschau, 30.12.95

 


Zuletzt aktualisiert am 4.2.2002